© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Fernab der intellektuellen Stickigkeit
Die „Italienischen Schriften“ mit ebenso provokanten wie treffenden Analysen des Geschichtsdenkers Ernst Nolte
Erik Lehnert

Man kennt das aus der Geschichte: Der Obrigkeit sind bestimmte Ansichten nicht genehm, so daß diejenigen, die sie dennoch vertreten, gezwungen sind, ihre Schriften pseudonym oder gar im Ausland zu verlegen. Meistens spielen sich solche Szenen in „vordemokratischen“ Staaten ab, die ihren Bürgern auf diese Weise das Leben schwermachen und sie so disziplinieren wollen. Ein jüngeres Beispiel ist „Die Alternative“ (1977) des DDR-Dissidenten Rudolf Bahro, die er heimlich im Westen erscheinen ließ und anschließend prompt verhaftet und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.

Das Zuchthaus ist Ernst Nolte erspart geblieben und auch seine publizistische Situation stellt sich etwas anders dar. Aber auch der international renommierte Historiker mußte ins Ausland, nach Italien, ausweichen. Nolte war seit 1994 der Zugang zu deutschen Periodika weitestgehend verwehrt worden. Der Historikerstreit (JF 22/11) lag acht Jahre zurück, bildete aber den Hintergrund für diese Lage. Anlaß war Noltes Spiegel-Gespräch „Ein historisches Recht Hitlers?“, das Rudolf Augstein mit ihm im Herbst 1994 geführt hatte. Seitdem war er, schreibt Nolte im Vorwort der „Italienischen Schriften“, „so etwas wie ein Ausgestoßener und Verfemter, denn ich hatte kritisch an dasjenige gerührt, was von führenden Politikern für die unantastbare Grundlage des deutschen Selbstverständnisses nach dem Zweiten Weltkrieg erklärt wurde“: die Unvergleichbarkeit von Auschwitz, was Noltes Bemühen um historisches Verstehen als gleichsam unanständig erscheinen lassen mußte.

Pikant ist, daß Augstein, der für Noltes Exil mitverantwortlich war, im kleinen Kreis geäußert haben soll, daß jeder Einsichtige die Thesen Noltes in fünfzig Jahren „für unbestreitbar halten“ werde. Auf die Frage, warum er das nicht öffentlich sage, habe Augstein geantwortet, daß er „kein Idiot“ sei und man seine Macht nicht überschätzen dürfe. Nolte war also ein Idiot im besten Sinne, der sich ja nach Dostojewski weniger durch Schwachsinn auszeichnet, als dadurch, daß er sich nicht verstellt und naiverweise gegen jede Erfahrung daran glaubt, daß sich die Wahrheit schon durchsetzen wird.

Die „Italienischen Schriften“ sind Aufsätze, Vorträge und Interviews, die auf deutsch geschrieben wurden und dann in Italien als Übersetzung erschienen. Einige wenige sind absolute Erstveröffentlichungen. Ergänzt wird dies durch eine „Intellektuelle Autobiographie“, die zuerst in Frankreich erschien und erhellende Einblicke in den Lebensweg und die Arbeitsweise Noltes gewährt. Die restlichen Texte sind um drei Themenbereiche gruppiert. Unter der Überschrift „Europa als Problem“ kreisen sie um die Frage, ob es eine europäische Identität gibt und worin diese ihre Gemeinsamkeiten haben könnte.

Dabei bezieht sich Nolte sowohl auf historische Gegebenheiten und Traditionen, behandelt aber auch aktuelle Themen, wenn es beispielsweise in Hinblick auf die Aufnahme der Türkei in die EU um die „Grenzen“ Europas geht, die eben nicht nur territorial, sondern auch inhaltlich gezogen werden müssen: „Die EU ist ein Gebilde aus geburtenschwachen Ländern, die darin aber im Einklang mit einer Haupttendenz der industriellen Zivilisation stehen. Es würde überaus gefährlich sein, ein Land aufzunehmen, das eine weitaus höhere Geburtenrate aufweist.“

Der zweite Teil behandelt einige „Fragen des Geschichtsdenkens“ und nimmt damit den Faden von Noltes letztem großen theoretischen Werk, „Historische Existenz“ (1998), auf. Dabei geht es um anthropologische Konstanten ebenso wie um das Werk Hannah Arendts und eine Kritik der „Werte“, die schließlich in die Liberalismus-Kritik mündet: Der Liberalismus, der immer eine vermittelnde Rolle gespielt habe, sei zum Liberismus mutiert, der letztendlich über den Umweg der Emanzipation und Selbstverwirklichungsideologie die Auslöschung der menschlichen Gattung betreibe: „Das europäische Liberale System war die sich selbst modernisierende und sich selbst säkularisierende und insofern die sich selbst überholende Gesellschaft.“ Ob davon der Islamismus profitiert, ist für Nolte noch nicht endgültig abzusehen, da auch dieser nicht vor dem Liberalismus gefeit ist.

Schließlich sind in dem Band drei Interviews abgedruckt, die nur einen kleinen Teil der insgesamt in Italien erschienenen Gespräche darstellen. Am interessantesten dürfte das Interview mit Antonio Gnoli sein, das in La Repubblica, einer der bedeutendsten Tageszeitungen Italiens, abgedruckt wurde. Darin geht es um die „Kultur der Rechten“, die es derzeit in Deutschland nicht gebe. Um von einer Kultur der Rechten sprechen zu können, müssen, so Nolte, rechtsgerichtete Tendenzen über „weitbekannte Zeitschriften“ verfügen und in der Lage sein, sich auf bedeutende Denker berufen zu können. In der Weimarer Republik sei das der Fall gewesen (Konservative Revolution), „in der deutschen Gegenwart (…) gibt es allenfalls bescheidene Ansätze dazu“. Die einzige Chance liegt daher, so muß man Nolte ergänzen, in dem Miteinander dieser Ansätze: der Denker und der Zeitschriften.

Ernst Nolte: Italienische Schriften. Europa, Geschichtsdenken, Islam und Islamismus. Landt Verlag, Berlin 2011, gebunden, 360 Seiten, 39,90 Euro

Foto: Ernst Nolte in seiner Bibliothek: Liberlismus ist zur Selbstverwirklichungsideologie einer „sich selbst überholenden Gesellschaft“ mutiert

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