© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Gerechtigkeit widerfahren
Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis für Publizistik: Auszüge aus der Dankesrede des Preisträgers Ernst Nolte
Ernst Nolte

Handelte es sich in meiner akademischen Laufbahn nicht unter politischen Gesichtspunkten im Grunde um die Geschichte einer langwährenden Niederlage, und nicht bloß des Autors, sondern „der Rechten“ insgesamt? Haben nicht die „rebellischen Studenten“ von 1968, obgleich nicht wenige von ihnen sich inzwischen erheblich verändert haben oder sogar zu der anderen Seite übergegangen sind, heute als solche oder in Gestalt von „Enkeln“ die meisten Redaktionen im Zeitungswesen und im Fernsehen längst in Besitz genommen? Wird nicht den Frauen und Männern der „Rote Armee Fraktion“ bei aller selbstverständlichen Kritik ein weit größeres Interesse entgegengebracht als den Opfern, die sie ermordeten? Hat sich hier in diesem Raum nicht lediglich eine kleine Gruppe versammelt, die immer noch klein bleibt, wenn die ganze Leserschaft der JUNGEN FREIHEIT, der Sezession, der ideaSpektrum sowie der Verlage Antaios und Landt in ihnen ihre Repräsentanten sehen würde?

Wenn man, wie es heute möglich ist, von allen Vorformen, in denen die Linke eine bedeutende, aber auch fragwürdige Rolle gespielt hat, von Bolschewismus, Entkolonialisierung, Feminismus, Emanzipation der Schwarzen und anderer Benachteiligter in ihren faktischen Verläufen absieht, läßt sich die folgende Definition formulieren: „Alle Linken wollen, wenngleich mit unterschiedlicher Kraft und Überzeugung, allen Menschen vorschreiben, sich schon heute und für die Zukunft, gemäß den „globalistischen“ Forderungen des militanten politischen Universalismus, wie Mitglieder jener weltweiten Einheit gleicher Menschen zu verhalten, und zwar ohne jede Rücksicht auf die „bornierten“ Realitäten der bisherigen „historischen Existenz“ wie etwa Nationalbewußtsein oder Kulturstolz. Aber diese unzähligen, von allen Beschränkungen durch die Geschichte wie Nation, Staat und Schicht freien Individuen werden nach Auffassung der Linken nicht nur ohne große Kriege, sondern auch ohne Konflikte und Entfremdungen nach Art einer archaischen Familie oder Sippe des vorgestellten „Urkommunismus“ zusammenleben, und eben hier liegt das „Utopische“, das mit „Modernität“ und ihren neuartigen Differenzierungen, etwa der immer intensiveren Arbeitsteilung, nicht zu vereinbaren ist. Mit Sicherheit werden sich neue Konflikte entwickeln, und vermutlich wird dann, wenngleich mit neuen Inhalten, abermals von „Linken“ und „Rechten“ die Rede sein dürfen.

Bitte erlauben Sie mir, zum Schluß einen philosophischen Begriff zu erläutern, der deutlich machen soll, daß es hier nicht bloß um Politik geht.

Es handelt sich um den Begriff der „Transzendenz“, der von den meisten Lesern wohl am ehesten als „Fortschritt“ oder „Fortschrittlichkeit“ verstanden werden dürfte. Sie wurde von mir, sicherlich unter dem Einfluß Heideggers, schon im „Faschismus in seiner Epoche“ folgendermaßen definiert: „Transzendenz ist: rückgewendeter begegnenlassender Ausgriff zum Ganzen“. In der Gegenwart ist die Richtung auf „das Ganze“, die Welt“ oder „das Universum“ oder vielleicht „das Nichts“, auf eine Weise real geworden, wie sie noch am Ende des Zweiten Weltkriegs kaum vorstellbar war: etwa durch den Flug von Menschen zum Mond oder möglicherweise bald zum Mars sowie die staunenswerten Forschungsergebnisse der Astronomie über Gestirne, die Milliarden von Lichtjahren von der Erde entfernt sind. Aber die Begegnung mit anderen menschlichen oder nichtmenschlichen Wesen hat durch eine Ausweitung, die es allen Individuen möglich macht, durch einen Klick auf dem Computer in Sekunden 1000 „Freunde“ zu gewinnen, einen so abstrakten Charakter erhalten, daß zwar die Welt im ganzen für jeden zugänglich geworden ist, aber nur nach der Art von Fotografien oder Spiegelungen oder Konstruktionen. Die Rückwendung zur Vergangenheit ist bloß noch ein Schatten ihrer einstmaligen Mächtigkeit, so sehr diese Vergangenheit bis in letzte Details erforscht sein mag. Die Transzendenz hat sich also, metaphorisch gesprochen, ihre hervorstechende Zukunftsgerichtetheit auf „das Ganze“ durch eine Art von Amputation erkauft.

Wenn der Mensch nicht die Fülle des Menschseins auch in ihren Grundzügen verlieren soll, muß er eine neue Art von Rückwendung und Begegnenlassen entwickeln, und dann wird dasjenige, was in der ganzen Geschichte als „zu Überwindendes“ galt, als „zu Gewinnendes“ wahrgenommen werden, so daß in neuem Lichte erscheinen wird, was abgelebt und überholt zu sein schien, nämlich das Konkrete und Endliche oder Partikulare: vor allem anderen „unser blauer Planet“, dessengleichen nach allem, was wir wissen oder vermuten dürfen, im ganzen Universum nicht nochmals zu finden ist.

Eine in diesem Sinne existierende Menschheit wird, wenn die politischen Begriffe von einst noch verwendbar sein sollten, eher eine „Rechte“ als eine „Linke“ sein. „Transzendenz“ als das Forttreibende, letztlich auch über „den Menschen“ Hinaustreibende dürfte sich dann als das Gefährdende schlechthin darstellen, so gewiß sie die Auszeichnung des Menschen als eines solchen bleibt. Über die konkrete Gestaltung eines menschlichen Lebens zu reden, das sich zu sich selbst und zu seiner „Welt“ zurückwendet, wäre bloße Spekulation. Man wird jedoch sagen dürfen, daß eine Menschheitszukunft wahrscheinlich ist, in der Gleichheit und Ungleichheit, Freiheit und Abhängigkeit nicht mehr als schroffe Gegensätze einander entgegenstehen, sondern in einem genuin „multikulturellen“ Zustand eine solche Einheit bilden, die den „linken“ und den „rechten“ Vorformen ihrer selbst Gerechtigkeit widerfahren läßt. So kann der Dank sich mit Zuversicht verbinden, obgleich Geduld das erste Erfordernis bleibt.