© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Nichts ist, wie es scheint
Der Tod des Uwe Barschel: Ein ehemaliger Staatsanwalt veröffentlicht seine Zweifel an der offiziellen Selbstmord-These
Wolfram Baentsch

Ein Buch, das vier Jahre lang nicht erscheinen durfte, hat den Medien einmal mehr die Wiedervorlage eines unsterblichen Themas beschert: Wie war das doch gleich mit dem Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, der im Alter von 43 Jahren in der Badewanne eines Genfer Hotels aufgefunden wurde, damals am 11. Oktober 1987? Hatte Uwe Barschel (CDU) sich das Leben genommen oder war er vielleicht ermordet worden?

Heinrich Wille, deutschlandweit bekannt geworden als Leiter der Lübecker Staatsanwaltschaft, die ein paar Jahre lang die Ermittlungen führte, konnte sein Buch mit dem vielversprechenden Titel „Ein Mord, der keiner sein durfte“ erst nach der Pensionierung veröffentlichen; aber die entscheidende Frage beantwortet er wie das sprichwörtliche „Radio Eriwan“. Im Prinzip spreche manches für Mord, vieles sogar. Aber dennoch könne Selbstmord nicht mit letzter Bestimmtheit ausgeschlossen werden. So hatte es schon am Ende des dicken Berichts geheißen, mit dem die Lübecker Staatsanwälte 1998 ihre Ermittlungen im Todesfall Barschel zuklappen mußten. Und so lautet die Quintessenz der Neuerscheinung nun auch wieder, zu der ihr Autor gleichwohl bemerkt, mit dem Ergebnis könne er gut leben.

In der Darstellung des Falles Barschel hat der pensionierte Chefermittler die Linie des politisch Opportunen nicht aus den Augen gelassen. Um so erstaunter darf er sein, daß er sich seit der Buchpräsentation einer ganzen Serie von Angriffen ausgesetzt sieht. Auf die Aussagen des Buches nehmen die Attacken dabei gar nicht Bezug. Von Schlampereien, die er sich früher im Umgang mit Beweismitteln geleistet haben soll, ist die Rede.

Die Provinzzeitungen erregen sich über ein nicht von Barschel stammendes schwarzes Haar, das in seinem Hotelzimmer geborgen und seit Jahrzehnten in einer Tüte aufbewahrt, nun plötzlich verschwunden und damit einem DNS-Test entzogen sei. Wer zeichnet für den Verlust verantwortlich, will der Anwalt der Familie Barschel wissen und stellt Strafanzeige gegen Unbekannt. Der Justizminister des Landes meint, die Behandlung der Asservate habe nicht den Vorschriften entsprochen, und der Generalstaatsanwalt droht Wille sogar mit einem Disziplinarverfahren.

Die Gründe für die Hatz auf den Pensionär sind erkennbar vorgeschoben. Im öffentlichen Diskurs um den Fall Barschel ist das ein altbekanntes Muster: Wann immer brisante Informationen aufgetaucht sind (solche, die auf Fremdverschulden am Tod von Barschel deuteten), flammte in den Medien eine erregte Debatte über Nebensächlichkeiten des Falles auf, die regelmäßig zur Sensation aufgeblasen werden.

Das war schon ganz früh so, am Sonntag, dem 11. Oktober 1987, als eine dpa-Meldung verbreitete, Barschel habe sich in Genf erschossen. Keiner fragte nach den Urhebern der Desinformation oder gar nach den Gründen. Nicht anders, als vier Tage später in der Baseler Zeitung (BAZ) die sorgsam formulierte Meldung mit dem folgenden Wortlaut stand: „Nach sehr zuverlässigen Informationen, welche die BAZ bekam, haben die politischen und die Justizbehörden von gewichtiger deutscher Seite und über mehrere Kanäle den Wunsch übermittelt bekommen, daß es in aller Interesse wäre, wenn man diesen Fall als Selbstmord einstufen könnte.“ – Keinerlei Echo in der Bundesrepublik, wo stattdessen über alle Kanäle nur verbreitet wurde, die Genfer Untersuchungsrichterin spräche von Selbstmord.

Selbstmord war offenkundig die offiziell gewünschte Version. Und so fand auch der renommierte Kriminologe Armand Mergen kaum Gehör, der den noch frischen Tatort inspizierte und zu dem Urteil kam, Barschel sei vermutlich ermordet worden.

Aus Vermutung Gewißheit zu machen, war zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik der koordinierte Einsatz allen verfügbaren kriminalistisch-wissenschaftlichen Sachverstands damals pure Selbstverständlichkeit. Nichts dergleichen. Die Spurensicherung am Tatort im Genfer Hotel Beau Rivage war ein einziges Desaster; und von deutscher Seite gab es nach Eröffnung eines „Todesermittlungsverfahren zum Nachteil von Dr. Dr. Uwe Barschel“ in Lübeck plötzlich überhaupt keine Anzeichen von Aktivität mehr. Und niemand schien sich darüber zu wundern, daß die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die doch sonst bei jeder besseren Wirtshauskeilerei ihre Zuständigkeit beansprucht und über die geballte Kompetenz des BKA gebietet, in dem weltweit aufsehenerregenden Todesfall eines deutschen Spitzenpolitikers null Interesse zeigte.

Jahre später nutzte der Genfer Generalstaatsanwalt Bernard Bertossa ein Interview mit der Zeitschrift Stern, um die untätigen Nachbarn bei den Ohren zu nehmen. Es sei doch klar, daß ein Motiv für einen möglichen Mord nicht unbedingt da zu suchen sei, wo sich das Opfer auf der Durchreise mehr oder weniger zufällig aufgehalten, sondern viel eher da, wo es gelebt und gewirkt hat. Wann machen die Deutschen endlich ihre Arbeit, mahnte der Jurist aus Genf. Aber die rührten sich noch lange nicht.

Im Jahre 1994 kam schließlich doch Bewegung in die lethargische Szene. Die Lübecker Staatsanwaltschaft bejahte nun den „Anfangsverdacht“ eines gewaltsamen Todes durch Fremdverschulden und beantragte auf dem Dienstweg über die Bundesanwaltschaft (die damit Gelegenheit gehabt hätte, den Fall an sich zu ziehen) beim Bundesgerichtshof, ermittelnd tätig werden zu dürfen. Karlsruhe gab dem Antrag statt. Aber wie mag es zu solcher Initiative gekommen sein, nach sieben Jahren der Untätigkeit seit dem Tod von Genf?

Im nördlichsten Bundesland war ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß, der zweite in der sogenannten „Barschel-Affäre“, auf eine pikante Verschwörung gestoßen. Der zwielichtige Journalist Reiner Pfeiffer war im Landtagswahlkampf von 1987 mitnichten Werkzeug des damaligen Ministerpräsidenten Barschel gewesen, wie bis dahin immer unterstellt. Pfeiffer hatte seine nur zum Schein gegen den damaligen Oppositionsführer Engholm gerichteten Schmutzaktionen tatsächlich in dessen eigenem Interesse – und mit Engholms Kenntnis – in Szene gesetzt. Mit durchschlagendem Erfolg.

Als der Spiegel die Pfeiffer-Anschuldigung, im Auftrag des Regierungschefs gehandelt zu haben, kurz vor dem Wahlsonntag in Großaufmachung explodieren ließ, war Uwe Barschel verloren. Keiner glaubte ihm mehr, auch nicht, als er mit seinem Ehrenwort versicherte, von Pfeiffers widerlichen Aktionen erst aus dem Spiegel erfahren zu haben.

Dank Pfeiffer regierten von nun an unangefochten die Sozialdemokraten, bis ihnen der Zufall in die Quere kam: Ein pensionierter Kriminalbeamter brachte ans Licht, daß die Landes-SPD Pfeiffer klammheimlich für seine Wahlhelferdienste mit gebündeltem Baren in Tranchen von zweimal 25.000 Mark gelöhnt hatte. Die in den Medien über so viele Jahre hingebungsvoll zelebrierte Legende vom Politschurken Uwe Barschel und dem bedauernswerten Opfer Engholm war damit auf den Kopf gestellt.

Das Buch eines ausgestiegenen Agenten versetzte den Märchenerzählern den nächsten Schlag. Victor Ostrovsky beschreibt in „Geheimakte Mossad“, daß Barschel von der politischen Bühne verschwinden mußte, weil er die völkerrechtswidrigen Waffengeschäfte unterbinden wollte, mit denen Israel via Schleswig-Holstein den Krieg Iran gegen Irak gefüttert hat. Sterben mußte er in Genf, um ihn an Aussagen zu hindern, die kurz bevorstanden. Auch wie der Politiker bewußtlos gemacht und sodann tödlich vergiftet und in die Badewanne gelegt worden ist, wird von Ostrovsky detailliert beschrieben.

Die Glaubwürdigkeit des Ex-Agenten stützte der angesehene Chemiker Professor Brandenberger mit seiner wohlbegründeten Analyse, wonach das tödliche Medikament (Cyclobarbital) in den Körper des Opfers erst gelangt war, als die Bewußtlosigkeit bereits eingetreten war.

Nach dem Zusammentreffen so vieler Mordhinweise ließen sich nun auch deutsche Ermittlungen nicht länger vermeiden. Weil die Staatsanwälte in unserem Lande aber politisch weisungsgebunden sind, mußten ihre Kontrolleure nicht ernsthaft fürchten, die Lübecker Ermittler würden ein sorgsam getarntes Kapitalverbrechen enthüllen. Davon ist Heinrich Wille in seinem Buch denn auch weit entfernt geblieben.

Den Zorn der politischen Instanzen hat er wohl eher mit der über weite Strecken des langstieligen Buches hinweg geübten Klage erregt, daß ihm die Vorgesetzten und die Medien die gebührende Anerkennung verweigert, ihm stattdessen immer wieder in den Rücken gefallen seien. Deshalb der Untertitel „Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates“.

 

Wolfram Baentsch arbeitete als Redakteur beim Spiegel und bei Capital, später war er Chefredakteur der Wirtschaftswoche.

2006 veröffentlichte er das Buch „Der Doppelmord an Uwe Barschel“ (Herbig, München 2006, geb., 317 Seiten, 24,90 Euro).

Heinrich Wille: Ein Mord, der keiner sein durfte. Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates. Rotpunktverlag, 2011, 384 Seiten, 24 Euro

 

Chronik eines Skandals

11. Oktober 1987

Wenige Wochen nach seinem Rücktritt als schleswig-holsteinischer Ministerpräsident wird Uwe Barschel tot in der Badewanne seines Hotelzimmers in Genf aufgefunden. Schnell gilt ein Selbstmord als Todesursache. 1998 schließt die Staatsanwaltschaft Lübeck die Ermittlungsakten: Ein Mordverdacht sei nicht zu belegen, Selbstmord nicht sicher auszuschließen.

2007

Zwanzig Jahre nach Barschels Tod untersagt der Generalstaatsanwalt dem Leitenden Oberstaatsanwalt Heinrich Wille die Veröffentlichung seines Buches zum Fall Barschel. Willes Klagen dagegen werden in allen Instanzen abgewiesen.

Juni 2011

Die Staatsanwaltschaft Lübeck kündigt an, die Todesursache neu zu ermitteln. Dazu werde sein Anzug einer DNS-Untersuchung unterzogen.

Oktober 2011

Ein Haar, das nicht von Barschel stammt und in seinem Hotelbett sichergestellt worden war, ist aus der Asservatenkammer in Lübeck verschwunden. Wegen Strafvereitelung im Amt hat der Anwalt der Witwe Uwe Barschels Anzeige erstattet.

Foto: Uwe Barschel bei der legendären „Ehrenwort-Pressekonferenz“ am 18. September 1987: Die Medien stellten den ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins nach seinem Tod als Schurken dar