© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Grunz! Quiek!
Realsatire: Ein Musikproduzent hat Geräusche eines Schweins gesampelt
Richard Stoltz

Das braucht man nicht zu glossieren, das kann man auch gar nicht mehr glossieren, das glossiert sich selbst.“ Diese Feststellung von Karl Kraus, bezogen im vorigen Jahrhundert auf eine Hervorbringung von Egon Erwin Kisch, hielten damals auch viele Kraus-Fans und leidenschaftliche Leser seiner Fackel für „etwas übertrieben und allzu polemisch“. Heute würden sie staunen. Immer mehr völlig unpolemisch gemeinte journalistische Texte sind inzwischen ihre eigene Realsatire.

Folgendes war vor einigen Tagen unter der Rubrik Musikkritik in einer Berliner Zeitung zu lesen: „Der House-DJ und Musikproduzent Matthew Herbert stellt heute abend im Berghain sein Album ‘One Pig’ vor. Die Stücke darauf hat er ausschließlich aus den Geräuschen eines Schweins zusammengesampelt, das er zu diesem Zweck von der Geburt bis zur Schlachtbank abhörte.“

In einem Interview erklärt der 1972 in England geborene Matthew Herbert die Entstehung so: „Das zugrundeliegende Material bestimmt die Musik weitestgehend. So ist das erste Stück, dem die Geburt des Schweines zugrunde liegt, sehr ruhig, denn die Geburt war auch sehr ruhig – man hörte bloß schweres Atmen, und dann flutschte ein Schwein raus! Ein späteres Stück, das die Verlegung des Schweins in einen anderen Stall dokumentiert, hat Industrial-Charakter, da wir das Schwein im Transportcontainer aufgenommen haben.“

Wohlgemerkt, die Realsatire ergibt sich nicht (jedenfalls nicht nur) aus der Schweine-Thematik und auch nicht aus dem Geseire des Interviewten, sie geht zu 99 Prozent aufs Konto des berichtenden Journalisten. Dessen Bierernst, sein völliges Einverstandensein mit dem „Komponisten“, der pures Schweinequieken für große Musik hält, sein Eifer, sich dem Jargon der Szene anzupassen – sie machen das Satirekraut erst wirklich fett.

Armes Schwein! Aber wenigstens kann man es aufessen. Dem zuständigen Berichterstattter kann man höchstens den nächsten Henri-Nannen-Preis verleihen.