© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Der Schlangenbeschwörer
Federschmuck und Haarausfall: Fotoporträts von Picasso in Köln
Sebastian Hennig

Der vor nun genau 130 Jahren in Málaga geborene Pablo Picasso war eine unermüdliche Posaune des eigenen Ruhmes, der nie die Luft ausging. In einer Industrie von Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafik, Keramik und Künstlerbüchern multiplizierte er seine Bilder zum Dekor der Epoche. So schaut er auf einer Fotografie von 1955 mit selbstzufriedener Heiterkeit einem Touristen hinterher, der mit Picasso-Zierat auf dem Hemd unfreiwillig-freiwillig auf der Promenade von Vallauris für ihn Reklame läuft.

Das Museum Ludwig in Köln präsentiert derzeit eines der Hauptwerke des spanischen Künstlers Pablo Picasso, das eindringlichste und originellste Bild, das er in vielen Variationen hinterließ, nämlich die fotografische Widerspiegelung seiner äußeren Erscheinung. In jener Zeit, als Picasso das bürgerliche Vorurteil über moderne Kunst repräsentierte, wurde die Erscheinung dieses kernig-volkstümlichen Kerls nicht nur immer zusammengedacht mit den Bildern, sondern hat sich vor sie geschoben.

Picassos Antlitz figuriert als unveränderliche Marke für ein heterogenes Werk. Sein kerniger Kopf mit den strahlenden Augen war das Zentralgestirn, um welches die Bilder kreisten. Von seiner Aura als Mensch erhielten diese zuletzt ihre Lebenskraft. Während diese Sonne seit seinem Tod 1973 langsam erkaltet, wird zuletzt offenbart werden, welche von den durch sie angestrahlten Objekten aus sich selbst zu bestehen vermögen. Der Maler hat immer zu unterscheiden gewußt zwischen Sein und Schein und gegenüber Malraux einmal geäußert: „…als ich nie Geld hatte, da war ich berühmt, ich war ein Maler! Nicht ein seltsames Tier.“

Wenn die Kamera mit dem Auge eines Reptils blickt, wie es der Maler Wilhelm Rudolph einmal feststellte, dann war Pablo Picasso ein Schlangenbeschwörer erster Güte. Auch vermochte er die Sogwirkung der Lichtbilder in Gruppenbildern stets auf sein Gesicht zu lenken. Die Schau in Köln und das begleitende Buch im Hatje Cantz Verlag stellen zugleich eine Enzyklopädie dar, sowohl der Prominentenfotografie wie der prominenten Fotografen der Epoche.

Für diese Aasgeier am Auslöser stellte der charismatische Spanier neben dem Treiben am Montparnasse und dem Indochinakrieg die optische Herausforderung des Tages. In den übermütigen Schnappschüssen von Jean Cocteau vor dem Café La Rotonde vom 12. August 1916 überlagern sich gleich zwei dieser Sensationen. Bereits dort stellt die Präsenz des kompakten kugeligen Kopfes von Picasso die schwierigen Häupter der Bohèmien-Freunde Modigliani und Jacob in den Schatten. Sechs Jahre bevor Robert Capa 1954 bei Thai-Binh auf eine Landmine trat, machte er das berühmte Foto des Malers, wie er am Strand von Golfe-Juan einen riesigen Sonnenschirm über die junge und schöne Lebensabschnittsgefährtin Françoise Gilot hält.

Auf einem anderen Bild der Serie schiebt der Maler den Kinderwagen. Im Understatement wirkt der Protz am selbstherrlichsten. Mit seinen großen braunen Augen ist er kernig und anheimelnd, ein sehr männlicher Plüschbär, das populäre Maskottchen der behaupteten unerschöpflichen Potenz moderner Kunst.

Am ältesten und gar nicht als „Picasso“ wirkt er auf den Pariser Fotos von Herbert List aus dem Jahr 1944. Lange strähnige Haare flankieren ein müdes, skeptisches Gesicht. Nach der deutschen Kapitulation beginnt die eigentliche Selbststilisierung. Eine sportlich-brutale Kriegsgewinnler-Frisur nivelliert den altersbedingten Verlust am Haupthaar. Beim Weltkongreß der Intellektuellen in Breslau, 1948, im Dreiteiler mit Krawatte aufgenommen von Julia Pirotte, legt er das halb verschattete Antlitz in sorgenschwere Falten. Tiefe senkrechte Kerben an der Nasenwurzel deuten auf schwerwiegende Geistigkeit: ein Schmierentheater für Zeitschriftencover.

Der visuelle Mythos Picasso ist nicht zuletzt ein Ereignis der Schwarzweiß-Fotoästhetik. Neben der stechenden Intensität der dunklen Augen ist die Plastik der sehnigen Pranken des extrovertierten Machers ein Hauptmotiv seiner Leibfotografen. Cézanne, Cranach, afrikanische Kunst und griechische Vasenmaler; nicht nur in seinem künstlerischen Werk wußte er sich zu bedienen, auch für die Lichtbildner schmückt er sich mit fremden Federn: als Popeye und Papa oder mit dem Federschmuck-Geschenk von Schaupieler-Legende Gary Cooper als Indianerhäuptling.

Ebenso bereitwillig probiert er seinen umfangreichen Fundus an Kopfbedeckungen. Er ist sich für keinen Gag zu schade und hat dabei auch wirklich nichts zu verlieren. Er macht tatsächlich immer eine passable Figur. Was man von seinen gemalten Bildern nicht so entschieden behaupten kann. Obwohl auch diese in der Reproduktion oftmals dichter wirken als im Original. Im polygrafisch befestigten Abbild wird uns der Mythos vom Genie Picassos noch eine Weile begleiten.

Die Ausstellung „Ichundichundich. Picasso im Fotoporträt“ ist bis zum15. Januar 2012 im Museum Ludwig Köln, Heinrich-Böll-Platz, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 02 21 / 22 12 61 65

Das Katalogbuch mit 272 Seiten (Hatje Cantz Verlag, Stuttgart) kostet 34 Euro. www.museum-ludwig.de