© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

„Eine Stunde Bauer am Tag“
Bio-Produkte, Selbstversorgung, Autarkie – immer mehr Bürger suchen nach der Vereinbarkeit von Modernem und Natürlichem. Aus den USA kommt eine neue Welle von Feierabend-Farmern. Brett Markham ist einer der Gurus der Bewegung.
Moritz Schwarz

Herr Markham, tagsüber arbeiten Sie als IT-Fachmann in einem Büro ...

Markham: ... und am Abend bin ich Bauer, genau.

Das geht?

Markham: Das geht.

Da ist der Deutsche Bauernverband anderer Meinung: Zehn Prozent der Erwerbstätigen arbeiten mehr als 48 Stunden pro Woche – bei den Landwirten sind es über dreißig Prozent.

Markham: Ich muß für meinen Bauernhof nur etwa eine Stunde pro Tag aufwenden – im Durchschnitt. Denn natürlich ist während Aussaat und Ernte mehr zu tun, im Winter weniger. Und ich spreche nicht von einem Garten mit ein paar Tomaten und Bohnen, sondern von einer Farm, die nicht nur achtzig Prozent des Bedarfs für mich und meine Frau deckt, sondern sogar noch einen Überschuß produziert, der mir ein kleines Zugeld einbringt.

7.000 Euro im Jahr, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, und das Zauberwort ...

Markham: ... heißt Mini-Farming.

Was ist das?

Markham: Landwirtschaft auf 1.000 Quadratmetern, also 0,1 Hektar.

Ein durchschnittlicher deutscher Bauernhof hat zwischen zehn und hundert Hektar.

Markham: Ich hätte früher selbst nicht geglaubt, daß das geht – das war, bevor ich das Konzept entwickelt habe.

Also, was ist Mini-Farming?

Markham: Mini-Farming bedeutet, nicht die Konzepte der Freizeitgärtnerei auf 1.000 Quadratmeter aufzublähen, sondern jene der professionellen Landwirtschaft darauf zu reduzieren.

Wo ist der Unterschied?

Markham: Freizeitgärtnern heißt, mehr an Zeit und Geld in sein Grundstück zu investieren, als man erwirtschaftet. Mini-Farming dagegen, mehr zu erwirtschaften, als man investiert. Der Unterschied ist Effizienz statt Ineffizienz.

Gut, wir sprechen also nicht über das Feierabendhobby eines Büromenschen?

Markham: Genau, kein Hobby – sondern eine Alternative.

Eine Alternative zu was?

Markham: Früher habe ich wie viele von uns gelebt, College, Bürojob, Auto, Apartment. Am Feierabend saß ich wie die meisten Amerikaner vor dem Fernseher. Zuvor, nach der Arbeit, habe ich im Supermarkt eingekauft und Nahrungmittel aus Massenproduktion und industrielle Fertigprodukte konsumiert. Bio-Produkte ließ ich dagegen links liegen, ich hielt sie für einen Trick, um den Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen. Und das, obwohl ich in einer landwirtschaftlich geprägten Gegend in Virgina aufgewachsen bin.

Was ist passiert?

Markham: Es war meine Frau, die mir erklärte, daß ein relevanter Unterschied besteht, und ich fing an, mich mit dem Thema Nahrung zu beschäftigen. Mir wurde klar, daß in der traditionellen Landwirtschaft nur das investiert wird, was unbedingt notwendig ist. Nährstoffe zum Beispiel, die für unsere Gesundheit, nicht aber für das Wachstum der Pflanzen von Bedeutung sind, werden den Böden dort nicht zugeführt und sind damit in so produzierten Lebensmitteln auch nicht enthalten. Laut Studien ist in den USA in den letzten fünfzig Jahren der Gehalt gewisser Nährstoffe in herkömmlich angebautem Gemüse um bis zu 85 Prozent zurückgegangen. Diese Produkte sehen schön aus, aber sie enthalten keineswegs das, was wir mit dem Anblick von prallem, saftigem und farbig leuchtendem Gemüse verbinden. Überhaupt werden nur Sorten angebaut, die sich für Massenproduktion und maschinelle Ernte eignen.

Das sind allerdings nicht immer die Sorten, die von Natur aus auch am nährstoffreichsten und am aromatischsten sind.

Markham: Eben, viele dieser besonders guten Sorten werden Sie niemals in Ihrem Supermarktregal finden, weil sie sich für die Hersteller einfach nicht rechnen.

Also haben Sie begonnen, selbst anzubauen?

Markham: Ja, aber nicht nur weil selbst produzierte Lebensmittel nährstoffreicher und geschmacksintensiver sind – sie sind auch giftstoffärmer. Achtzig Prozent des in den USA ausgesäten Getreides etwa ist mit Herbiziden besprüht, chemisch gedüngt sowie genetisch verändert. Ein in den USA gezogener Apfel enthält laut einem Verbraucherbericht von 1999 im Durchschnitt Spuren von vier verschiedenen Pestiziden – in manchen fanden sich sogar zehn verschiedene Rückstände, und bei Gemüsen waren es bis zu vierzehn unterschiedliche Giftstoffe. Darunter immer wieder auch Substanzen, deren Einsatz eigentlich längst gesetzlich verboten ist.

Mini-Farming ist also Öko-Landbau?

Markham: Unbedingt, ökologischer Anbau ist grundlegend! Und zwar nicht nur, weil der eigentliche Zweck, ein Gewinn an Lebensqualität, darauf fußt, sondern auch weil sich nur so die Wirtschaftlichkeit von Mini-Farming garantieren läßt.

Das klingt nach einem Widerspruch – sind ökologische Lebensmittel nicht kostenintensiver?

Markham: Das stimmt – in Ihrem Bio-Markt. Bei großen Flächen ist Bio-Produktion in der Tat teurer, bei kleinen Flächen jedoch ist es umgekehrt, denn hier lohnt es sich nicht, teure Spritzmittel, Kunstdünger und jedes Jahr das neueste genmanipulierte Saatgut zu kaufen. Sehen Sie, die großen Getreidefelder in den USA werden von der Aussaat bis zur Ernte dreimal gedüngt, ich dagegen dünge nur einmal und das reicht.

Aber nicht für alles.

Markham: Wie gesagt, zu achtzig Prozent. Was ich zukaufe, ist vor allem rotes Fleisch, weil für Rinder und Schweine auf 1.000 Quadratmetern nicht genug Platz ist. Das kaufe ich aber bei einem Bauern meines Vertrauens und nicht im Supermarkt. Außerdem kaufe ich Salz und exotische Gewürze zu, sowie einige verarbeitete Produkte, etwa Schokolade oder Worcestersoße, einfach weil mir manches herzustellen zu aufwendig ist – das muß jeder selbst entscheiden –, sowie etwas Getreide.

Und damit sparen Sie Geld?

Markham: Jede Menge! Denn um Lebensmittel zu kaufen müssen Sie Geld verdienen. Das heißt, Sie zahlen zunächst Einkommenssteuer und dann noch einmal Mehrwertsteuer. Um Lebensmittel im Wert von etwa 600 Dollar zu kaufen, müssen sie 1.000 Dollar verdienen. Selbstproduzierte Lebensmittel sind dagegen steuerfrei! Natürlich kostet die Herstellung, aber die müssen Sie im Supermarkt auch bezahlen.

Richtig, aber die ist – aufgrund der Massenproduktion – dort wohl günstiger als bei Ihnen.

Markham: Ich sage nein. Raten Sie, was ich im letzten Jahr für meinen Anbau ausgegeben habe: 200 Dollar! Produziert habe ich dafür aber Nahrungsmittel im Wert von etwa 15.000 Dollar! 15.000 Dollar, weil es sich um Bio-Lebensmittel handelt, die ich für viel Geld hätte verkaufen können – denn Sie wissen ja, wie teuer die im Laden sind. Bio-Geflügel etwa kostet im Laden das Fünffache gegenüber normalen Masthähnchen. Natürlich – bei Verkauf muß ich noch Steuern abführen, das ist klar.

Das klingt nach einer Geldmaschine, funktioniert aber nur deshalb, weil Sie natürlich zusätzliche Arbeitszeit investieren, quasi einen Nebenjob haben.

Markham: Das ist richtig, allerdings früher habe ich diese Zeit, wie gesagt, vor allem vor dem Fernseher verbracht. Heute kann ich zwar nicht mehr mitreden, wenn es um die neueste Staffel von „Two and Half Man“ geht, aber nach meinem Empfinden habe ich die letztlich unbefriedigende Tätigkeit des Fernsehens durch etwas ersetzt, das zu tun ich persönlich als etwas wirklich Wundervolles empfinde.

Trauen Sie dem modernen Leben nicht mehr?

Markham: Ich würde sagen, ich habe den entbehrlichen Teil des modernen Lebens durch wertvolles, natürliches Leben ersetzt, ohne aus dem notwendigen Teil des modernen Lebens auszusteigen. Obendrein spare ich Geld und verdiene noch quasi ein „dreizehntes Gehalt“ dazu. Denn die Bio-Läden bei uns in der Gegend suchen immer nach Lieferanten für gute Produkte. Ich erkundige mich, für welche sie am meisten zahlen und baue davon einen kleinen Überschuß an. So gehöre ich zu den wenigen amerikanischen Verbrauchern, die mitunter mit mehr Geld in der Tasche einen Laden verlassen, als sie mit hineingenommen haben – ohne den Inhaber überfallen und ausgeraubt zu haben.

Ist Mini-Farming im Grunde nichts weiter als eine der „Zurück zur Natur“-Utopien der siebziger Jahre?

Markham: Nein, Mini-Farmer sind keine „Aussteiger“. Der Witz ist gerade, daß man weiter dem normalen Leben nachgeht.

Was, wenn der Chef Überstunden verlangt, die Tomaten aber Wasser brauchen?

Markham: Die Tomaten müssen nicht unbedingt jetzt geerntet werden, in der Regel ist es kein Problem, dies morgen oder gestern zu tun, wenn ich heute mal wirklich den ganzen Tag im Büro bleiben muß. Und im Notfall: Modernes Arbeiten mit Smartphone und Laptop ist sehr flexibel.

Immer mehr Bürger denken über Krisenvorsorge nach. Ist Mini-Farming die Antwort auf den Banken- und Euro-Krach?

Markham: Die Wirtschaftskrise von 2008 hat Mini-Farming hierzulande sicherlich befördert. Die US-Arbeitslosenquote beträgt offiziell neun Prozent, tatsächlich sind es wohl 16 oder 17 Prozent, weil nur die gezählt werden, die staatliche Unterstützung erhalten. Und es gibt in der Tat etliche Mini-Farmer, die deshalb anbauen, weil Sie das im Gegensatz zu einem finanziellen Einkommen nicht mit ihrer Stütze verrechnen müssen. Die Mehrheit der Mini-Farmer sind aber Leute wie ich, die das nicht aus Not tun, sondern um ihr Leben zu verbessern, und die Voraussicht haben, auch die Unwägbarkeiten der Zukunft zu kalkulieren. Ich glaube zwar nicht, daß in Westeuropa oder den USA Lebensmittel künftig knapp werden. Aber bedenken Sie, daß unsere Lebensmittel zum Beispiel per LKW kreuz und quer durchs Land kutschiert und dabei – und in den Läden – mit Kühlgeräten gekühlt werden. Wenn sich Öl und Energie künftig dramatisch verteuern sollten, werden die Lebensmittelpreise dies widerspiegeln. Ob es so kommt, weiß ich nicht, aber im Gegensatz zu Ihnen muß ich es nicht fürchten und mir keine Gedanken darüber machen. Fakt ist, daß die Lebensmittelpreise in den Vereinigten Staaten im letzten Jahr um 17 Prozent gestiegen sind – die Gehälter aber nicht.

Ist Mini-Farming eine Form von neuem Konservatismus?

Markham: Nun, wissen Sie, in den USA gelten Leute, die Bio-Produkte anbauen, als Linke, Leute, die sich um Selbstversorgung und Autarkie kümmern, dagegen als Rechte. Nun sagen Sie mir, bin ich ein Linker oder ein Rechter?

Steckt hinter Mini-Farming wirklich keine Weltanschauung?

Markham: Wenn, dann würde ich sagen, die Idee dahinter ist, die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen. Es sind die ökonomischen Zwänge, die uns unter Druck setzen: Wir alle müssen morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, weil wir unsere Rechnungen bezahlen müssen. Natürlich ist das auch bei mir so, aber mit Mini-Farming kann ich diese Abhängigkeit von einem Wirtschaftssystem, das ja nicht immer für jeden von uns einwandfrei funktioniert, zumindest reduzieren. Ich habe ein zweites Standbein, indem ich das Grundstück, auf dem mein Haus steht, von etwas, das mich Geld kostet, in etwas, das mir Geld bringt, verwandelt habe. Und Nahrung wird heute von den meisten unterschätzt: Tatsächlich entscheidet sie aber maßgeblich über unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden und über einen Teil unserer Unabhängigkeit. Und ich habe mir die Kontrolle über diesen Sockel für ein selbstbestimmtes Leben zurückgeholt.

 

Brett L. Markham entwickelte 2005 ein Konzept, das er heute „Mini-Farming“ nennt, nach dem ein normaler Arbeitnehmer am Feierabend einen Klein-Bauernhof bewirtschaften kann, der ihn mit achtzig Prozent des nötigen landwirtschaftlichen Bedarfs versorgt. 2006 veröffentlichte Markham sein Buch „Mini Farming for Self Sufficiency“ noch im Selbstverlag, inzwischen erscheint es – sowie einige Folgebände – im New Yorker Verlagshaus Skyhorse Publishing. In Deutschland erschien das Buch 2011 unter dem Titel „Mini-Farming. Autark auf 1.000 Qudratmetern“ im Kopp-Verlag. Geboren wurde Markham 1966 in New York State, wuchs aber in Virgina auf. Heute bewirtschaftet der hauptberufliche IT-Fachmann den Mini-Farming-Musterhof „Markham Farm“ in New Hampshire, den Anhänger des Mini-Farming immer wieder zur Besichtigung besuchen.

www.markhamfarm.com

Foto: Mini-Farmer: „Tagsüber IT-Fachmann im Büro, abends Landwirt“

 

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