© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Auf dem Weg zum NPD-Verbot
Rechtsextremismus: Die Politik reagiert auf die Mordserie der Terrorzelle mit Gesetzesverschärfungen und Schuldzuweisungen
Marcus Schmidt

Plötzlich hat die CDU ein Neonazi-Problem. Am Wochenende berichtete der Hessische Rundfunk, daß ein Vorstandsmitglied der Kasseler CDU der rechtsextremen Kameradschaft „Freier Widerstand Kassel“ angehören soll. Die Reaktion der Partei folgte umgehend. Noch in dieser Woche soll der Mann aus der CDU ausgeschlossen werden. „Richtig so, sofortiger Parteiausschluß! Neonazis haben in keiner demokratischen Partei was zu suchen“, twitterte am Montag Familienministerin Kristina Schröder (CDU), in deren Ressort auch die finanziellen Programme für den Kampf gegen den Rechtsextremismus fallen.

Für die prompte öffentliche Reaktion Schröders gibt es gute Gründe. Rund drei Wochen nachdem die rechtsextremistische Mordserie der Zwickauer Terrorzelle aufgedeckt wurde, ist die Aufarbeitung endgültig in den Niederungen der Parteipolitik angekommen. Und die Familienministerin sieht sich unversehens dem Vorwurf ausgesetzt, sie habe den Kampf gegen den Rechtsextremismus vernachlässigt. Im Zentrum der Kritik steht dabei die von Schröder initiierte Extremismusklausel, mit der Organisationen, die staatliche Gelder für den Kampf gegen den Rechtsextremismus erhalten, versichern, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Schröder wird zudem vorgeworfen, die von ihr aufgelegten Programme gegen Linksextremismus und Islamismus hätten von der Gefahr des Rechtsextremismus abgelenkt.

Doch nicht nur diese vornehmlich parteipolitische Auseinandersetzung zeigt die Nervosität der Politik angesichts der Mordserie. So konnte sich Bundespräsident Christian Wulff bei Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nicht mit seinem Wunsch durchsetzen, im Bundestag eine zentrale Gedenkfeier für die zehn Opfer abzuhalten, berichtet der Spiegel. Lammert habe dies mit dem Hinweis abgelehnt, auch für die Opfer des RAF-Terrors oder die in Afghanistan gefallenen deutschen Soldaten habe es eine solche Veranstaltung nicht gegeben. Nun plant Wulff gemeinsam mit der Bundesregierung eine entsprechende Gedenkfeier – ohne Lammert.

Vor diesem Hintergrund haben sich die Diskussionen um mögliche Gesetzesänderungen als Reaktion auf die Morde der Terrorzelle konkretisiert. Bundes-innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) läßt in seinem Ministerium derzeit Pläne für die von ihm angekündigte sogenannte Verbunddatei ausarbeiten. Darin sollen umfangreiche und detaillierte Informationen über mutmaßliche rechtsextremistische Gewalttäter, Helfershelfer und Kontaktleute aufgeführt werden. Neben Name und Anschrift sollen beispielsweise Telekommunikationsanschlüsse, Bankverbindungen und Fahrzeuge der Verdächtigen gespeichert werden. Auch besondere Fähigkeiten der betreffenden Rechtsextremisten, wie etwa im Umgang mit Sprengstoff oder Waffen, sollen aufgenommen werden.

Aus dem Kompetenzstreit zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern geht unterdessen das Kölner Bundesamt gestärkt hervor. Die Bundesländer erklärten sich Ende vergangener Woche damit einverstanden, daß die Landesämter ab sofort Informationen, die für die Bekämpfung des Rechtsextremismus relevant sind, dem Bundesamt zur Verfügung stellen müssen. LautTagesspiegel betreffe diese Anordnung auch und gerade Berichte von V-Leuten. Sie müssen demnach im Original nach Köln geschickt werden. Bislang konnten sich die Landesämter durchaus weigern, dem Bundesamt angeforderte Informationen zu übermitteln.

In diesem Licht bekommen Berichte, nach denen mit Beate Zschäpe ein Mitglied der Terrorzelle zeitweilig als Informantin der Sicherheitsbehörden gearbeitet haben soll, also eine V-Frau war, eine ganz besondere Brisanz. Laut Leipziger Volkszeitung gibt es aus der Zeit zwischen 1998 und 2001 einen Hinweis, wonach Zschäpe staalicherseits „gedeckt“ sei. Dahinter sollen sich Zuträgerdienste von Beate Zschäpe aus der rechtsextremen Szene unter anderem auch für thüringische Sicherheitsbehörden verbergen, berichtet die Zeitung. Die Debatte über eine Verstrickung des Verfassungsschutzes in die Mordserie dürfte damit neue Nahrung erhalten.

Derweil zeichnet sich immer deutlicher ab, daß ein neuer Versuch für ein NPD-Verbot unternommen wird. Noch vor der Verhaftung des früheren stellvertretenden NPD-Vorsitzenden von Thüringen, Ralf W., als mutmaßlichen Helfer der Terrorzelle durch die Bundesanwaltschaft am Dienstag (siehe Seite 14), galt es in Berlin als sicher, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel und die unionsregierten Länder ein neues Verbotsverfahren in Angriff nehmen wollen. Die SPD und die Grünen sind sowieso dafür. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt erneuerte zudem in der Bild am Sonntag die Forderung, der Partei den „Geldhahn“ zuzudrehen und von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Dies gilt unter Verfassungsrechtlern jedoch als problematisch.

Foto: Innenminister Friedrich (CSU), BKA-Chef Ziercke: Mehr Kompetenzen für den Verfassungsschutz

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