© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Alptraum der Euro-Visionäre
Euro-Krise: Beim Rettungsfonds EFSF wurde Fachwissen ausgeschaltet / Wer ist für den Pfusch verantwortlich?
Wolfgang Philipp

Es war vorauszusehen: Dem Geschäftsführer der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), Klaus Regling, wird es trotz Anfangserfolgen nicht gelingen, das zur Refinanzierung ihrer „Stabilitätshilfen“ an Irland, Portugal und demnächst Griechenland benötigte Fremdkapital (vorgesehen sind 440 Milliarden Euro) an den Kapitalmärkten der Welt überhaupt oder geschweige denn zu tragbaren Zinsen aufzutreiben. Die EFSF ist nicht kreditwürdig (JF 47/11).

Dieser Rettungsfonds besitze die „Feuerkraft einer Wasserpistole“, spottet Stephen King, Chefvolkswirt der britischen Großbank HSBC. Börsianer sprechen angesichts der vom Finanzmarkt abgestraften EFSF-Anleihen von einer „hochgradig problematischen Emission, in der sich das tiefsitzende Mißtrauen gegen den Euroraum zeigt“. Andere Spezialisten nannten die EFSF eine „eierlegende Wollmilchsau“. Verzweifelt pocht der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, auf Umsetzung der „seit langem getroffenen Entscheidungen zur EFSF“: Der Italiener wird vergeblich warten.

Mit der EFSF haben die „Euro-Retter“, allen voran Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy, ihr Prestige verbunden. Auf die zuständigen Gremien wurde enormer Druck ausgeübt, die Entscheidungen fielen in kürzesten Fristen, das öffentliche Getöse war groß. Einen Schwerpunkt bildete die ganztägige Bundestagsdebatte am 29. September. Die Gründe für diese negative Entwicklung sind bekannt. Dabei sollte man es aber nicht bewenden lassen. Es muß die Frage gestellt werden, wie Fehlentscheidungen derartigen Ausmaßes zustande kommen konnten. Wer hat die handelnden Politiker beraten?

Geradezu ein juristischer Kunstfehler war der Gedanke, die EFSF als eine kleine Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts zu konstruieren. Diese Gesellschaft, deren Aktionäre die 17 Euro-Staaten sind, ist privatrechtlicher Natur und hat ein absolut unzureichendes Eigenkapital von nur 28 Millionen Euro. Schon geringfügige Abschreibungen auf herausgelegte Stabilitätsdarlehen würden das Eigenkapital aufzehren und zur Insolvenz führen. Auch dürfen AGs grundsätzlich keine Darlehen an ihre eigenen Aktionäre gewähren; nach deutschem Recht wäre eine solche verbotene Kapitalrückzahlung sogar nichtig. Auch hat man noch nie eine AG erlebt, die ihr Geld bei möglichst unsicheren Schuldnern anlegt. Kompetente Fachleute hätten den Politikern sagen müssen, daß ihre „Vision“, die Kapitalmärkte der Welt warteten nur darauf, den durch Schulden heruntergekommenen Euro-Staaten „Sanierungsdarlehen“ zu gewähren, nicht realistisch ist.

Die fehlende Kreditwürdigkeit der EFSF AG soll durch „Bürgschaften“ ihrer Aktionärsstaaten „gerettet“ werden. Die Bürgen haften nur jeweils nach Maßgabe ihrer Beteiligung an der AG als „Teilschuldner“, falls die EFSF ihre Schulden nicht bedienen kann. Aus Sicht der Gläubiger ist diese Teilschuldnerhaftung abstoßend: Sie müßten ihre notleidende Forderung bei 14 oder 15 selbständigen Bürgen in kleineren oder größeren Teilbeträgen beitreiben. Auch hier konnte jeder Fachmann voraussehen, daß so etwas im Markt nicht funktionieren kann. Die EFSF-Schuldverschreibungen kann man nur an unwissend gelassene Anleger verkaufen. In diesem Fall wären später auch Vorwürfe wegen Täuschung über das gehandelte Produkt möglich.

Absurd ist der von den „Visionären“ bevorzugte Gedanke, die EFSF-Darlehen auch noch zu „hebeln“. Die Anleger sollen den notleidenden Staaten unmittelbar Kredite gewähren, die jeweils nur bis zu einem Teilbetrag von 20 Prozent von der EFSF „garantiert“ werden. 80 Prozent des Risikos müssen die Anleger aber selbst tragen. Die Garantie der EFSF ist darüber hinaus fragwürdig. Auch hier hätten Fachleute einschreiten müssen, statt die „Euro-Retter“ in eine solche Falle laufen zu lassen. Denkbar ist allerdings auch, daß die Fachleute richtig geraten haben, die Politiker aber in ihren Wahnvorstellungen „beratungsresistent“ waren.

Daß die EFSF eine Fehlkonstruktion ist, haben die Politiker inzwischen selbst erkannt: Den ab 2013 geplanten dauerhaften Rettungsfonds ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus, JF 40/11) konstruieren sie ganz anders: Sie gehen vom Modell der Aktiengesellschaft und auch von dem Bürgschaftsmodell ab, ohne dies aber gegenüber der Öffentlichkeit oder dem Parlament zu begründen. Diese Einsichten hinderten sie aber nicht, noch im September durch Bundestagsbeschluß die Aufgaben der EFSF qualitativ und quantitativ stark zu erweitern. Wer hat zu solch widersprüchlichem Verhalten geraten, wenn man selbst erkannt hat, daß die Grundlagen nicht mehr stimmen?

Ganz unabhängig von politischen Fehlvorstellungen kann man heute sagen, daß die EFSF-Konstruktion auch rein fachlich ein Pfusch ist, für den die Verantwortlichen namhaft und auch schadensersatzpflichtig gemacht werden müssen. Milliarden von Steuergeldern sind in diesem „Faß ohne Boden“ versickert. Wie werden die europäischen Spitzenpolitiker diese Blamage überstehen beziehungsweise wem werden sie die Schuld für solche „Beratung“ zuweisen? Hier haben viele Köche jeweils bei Spitzentreffen (sie hätten besser die Fachleute verhandeln lassen sollen) eine Fehlleistung von historischen Ausmaßen produziert. Wenn Europa Schaden erlitten hat, dann jedenfalls auf diese Weise: Lächerlichkeit tötet.

 

Neuer Euro-Rettungsfonds ESM

Vor einem Jahr wurde von den EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, den bisherigen Euro-Rettungsfonds EFSF auslaufen zu lassen. An dessen Stelle soll 2013 als dauerhafte Einrichtung der „Europäische Stabilitätsmechanismus“ (ESM) treten. Er werde „einem Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung gewähren, wenn dessen regulärer Zugang zur Finanzierung über den Markt beeinträchtigt ist“, heißt es im bislang bekannten Entwurf. Wenn ein Euro-Staat als eingeschränkt zahlungsfähig oder kreditunwürdig angesehen wird, übernimmt der ESM die Staatsfinanzierung. Die Ersteinlage des ESM beträgt 80 Milliarden Euro. Entsprechend seines Anteiles von 27,15 Prozent müßte Deutschland eine Einzahlung von mindestens 21,7 Milliarden Euro tätigen. Die ESM-Mitglieder verpflichten sich „bedingungslos und unwiderruflich“, dies zu tun. Laut Bundesfinanzministerium wird dieses Jahr aber kein Gesetzgebungsverfahren zum ESM mehr initiiert, „da die europäischen Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind. Insofern ist der Zeitplan für das Gesetzgebungsverfahren insgesamt noch offen.“

Foto Trügerische Hoffnung auf volle Geldkoffer: Wie werden die EU-Spitzenpolitiker diese Blamage überstehen?

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