© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Es gibt Stadtbezirke und Regionen in Ostdeutschland, in denen man sich als Mensch mit fremdländischem Aussehen nicht sicher bewegen kann“ (Karen Krüger, FAZ, 19. November 2011). Notwendige Ergänzungen: „Es gibt Stadtbezirke und Regionen in Westdeutschland, in denen man sich als Mensch mit inländischem Aussehen nicht sicher bewegen kann“; „Es gibt eine Universitätsstadt in Westdeutschland, in der man sich als Mann mit sehr kurzen Haaren oder Lonsdale-Pullover nicht sicher bewegen und als NPD-Mitglied vor den Augen seiner Kommilitonen krankenhausreif geprügelt werden kann.“

Man hatte schon vermuten müssen, daß die Buchreihe der Süddeutschen Zeitung „Le Snob“ nach einem Bändchen über Reizwäsche, einem weiteren über Maßschneiderei und einem dritten über Zigarren eingeschlafen sei. Aber nun liegt ein viertes vor, das sich mit Champagner befaßt. Trotzdem darf man Zweifel am längerfristigen Erfolg des Unternehmens haben, das exklusiven Geschmack zelebrieren will – die Zeiten sind nicht danach.

Die neuerliche Ehrung des Anthropologen Michael Tomasello trägt vielleicht zu einer intensiveren Rezeption seines Werks bei. Dabei sollte es auch darum gehen, jene Ableitungen aus seinen Theorien vorzunehmen, die ihm selbst eher fernliegen. Etwa die, daß die Betonung der menschlichen Sozialität notwendig zur Definition von Grenzen der Gemeinschaft führt, daß gerade der von Tomasello hervorgehobene Kooperationswille des Homo sapiens abhängig ist von einer Menge an Beziehungen, die ich überblicke, kenne, verstehe.

„Snob“ ist eines jener Worte, deren Verwendung kaum noch etwas mit dem zu tun hat, das sie in ihrer Ursprungssprache bedeuteten. Damit wird noch nicht einmal das Problem der Erstbedeutung berührt, da es sich jedenfalls bei dem „s. nob.“ für „sine nobilitate“, also „nicht von Adel“, in den Studentenregistern Oxfords bereits um nachträgliche Interpretation handelte. Auch wenn man Thackerays Klassiker „Buch der Snobs“, das unlängst in einer gefeierten deutschen Neuausgabe erschien, zu Rate zieht, wird die Sache kaum klarer. Das dort geschilderte Panoptikum militärischer, aristokratischer, königlicher, geistlicher, politischer, von Universitäts- und City-Snobs erweckt jedenfalls den Eindruck, als ob mit dem Schimpfwort jeder belegt werden kann, der unfähig ist, sich angemessen – taktvoll – zu benehmen. Keinesfalls ist der Snob einfach der Gernegroß, auftrumpfende Emporkömmling etc. Es gibt Snobs auch und gerade in den arrivierten Kreisen, die sich seit langem im Adelskalender verzeichnet finden; vor allem aber sind sie in Thackerays Heimat zu Hause: „Den britischen Snob (…)umgibt gewöhnlich kein Lärm, kein Getue, sondern die Gelassenheit der tiefen Überzeugung. Wir sind besser als der Rest der Welt; wir ziehen diese Meinung gar nicht in Zweifel; sie ist ein Axiom.“

Bildungsbericht in loser Folge XV: Das einzig überraschende am neuen „Bildungsatlas“ ist, daß nicht einmal Bertelsmann die Stärke des Süd-Nord-Niveau-Gefälles ignoriert. Im übrigen bleibt man derart mit Zukunftsorientierung befaßt, daß die Erforschung der Ursachen – Jahrzehnte linker Schulpolitik und bürgerlicher Feigheit – obsolet erscheint oder jedenfalls inopportun.

Ein typischer Fall von europäischem Kulturverständnis: Arte produziert in französisch-polnischer Zusammenarbeit einen Film über den Deutschen Orden.

Die hiesige Vorstellung von einem Snob – dafür spricht auch der Ansatz von „Le Snob“ – ist eigentlich die des Dandys. Wieweit man sich damit vom britischen Konzept entfernt, wird, will man ein aktuelleres Beispiel wählen, auch an dem Roman „Snobs“ von Julian Fellowes deutlich. Im Kern geht es um die Konfrontation zwischen einer attraktiven Frau der Mittelklasse, die aus Kalkül ein Mitglied der Hocharistokratie heiratet, die Verbindung aus Sentimentalität und Disziplinlosigkeit – typische Merkmale kleiner Leute – kündigt, sich ins Unglück stürzt und schließlich reumütig zu ihrem Gatten zurückkehrt. Was besticht, ist die Tatsache, daß bei Fellowes keine „Entlarvung“ stattfindet. Weder wird die Frau wegen ihres berechnenden Wesens verdammt, noch der Adel denunziert wegen der Fassadenhaftigkeit seines Lebens. Die Sympathie Fellowes liegt offensichtlich bei letzterem, dem er selbst entstammt und seit Jahren als konservativer Peer im Oberhaus vertritt. Begründet ist die Neigung aber vor allem in der Wahrnehmung, wie gekonnt der Adel Haltung bewahrt, obwohl er seine Rolle als lebender Anachronismus durchaus verstanden hat. Fellowes bewundert Stilsicherheit. Insofern sind Snobs die, die glauben, oben mitspielen zu können, aber ohne diese Eigenschaft zu besitzen, die man nicht erbt im biologischen Sinn, die vielmehr das Ergebnis kultureller Züchtung ist.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 16. Dezember in der JF-Ausgabe 51/11.

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