© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Im Westen was Neues
Geopolitik: Amerika wendet sich stärker nach Asien und tritt China auf die Füße
Günther Deschner

Der Besuch der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton in Birma hat eine klare Signalwirkung: Es geht dabei weniger um diesen bislang isolierten Staat selbst, sondern um seinen mächtigen Nachbarn und (noch) einzigen Verbündeten, um China. Anders als in Europa, das die Volksrepublik als Wirtschaftsfaktor diskutiert, als Markt, als Wettbewerber, hat das Thema in den USA eine sicherheitspolitische, militärische Dimension. In Washington gibt es längst Positionspapiere, in denen festgehalten wird: Eine der künftigen zentralen militärischen Herausforderungen für die Vereinigten Staaten wird China sein. Es gibt unmittelbare militärische Berührungspunkte, in der Taiwan-Frage zum Beispiel, indirekt vielleicht auch in der Nordkorea-Frage oder beim Verhalten Chinas im Südchinesischen Meer.

Der jüngste Strategieschwenk der US-Regierung machte dies in den zurückliegenden Novemberwochen deutlich. Trotz notwendiger Einsparungen würden die Vereinigten Staaten ihre Truppenpräsenz im Asien-Pazifik-Raum aufstocken, erklärte Präsident Barack Obama kürzlich bei seinem Besuch Australiens im Parlament in Canberra: „Die USA sind eine pazifische Macht“, so begründete er die angekündigte Verstärkung der amerikanischen Militärpräsenz im Pazifik, „und wir sind hier, um hier zu bleiben!“

Eines der Ziele der USA als Pazifikstaat sei es, die Zukunft der Region mitzugestalten, sagte der US-Präsident. Und das bedeute auch mehr US-Truppen in der Region. In einem ersten Schritt sollen ab 2012 US-Marineinfanteristen, Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge im nordaustralischen Darwin stationiert werden. Von dort könnten die Einheiten in kürzester Zeit Südostasien erreichen – was naturgemäß vor allem in China mit Argwohn beobachtet wird. Washington rechtfertigt sein Auftrumpfen und die Aufrüstung seiner Freunde in Fernost mit den steigenden Militärausgaben Chinas. Diese hätten sich in zwei Jahrzehnten verdreifacht und 2010 rund 160 Milliarden Dollar erreicht.

Die letzten „Prunkstücke“ der Chinesen sind der Prototyp eines Tarnkappenjägers und ein vor zwölf Jahren von der Ukraine gekaufter Flugzeugträger. Im Verhältnis zum amerikanischen Militärhaushalt – rund 900 Milliarden Dollar für das laufende Haushaltsjahr – sind die chinesischen Militärausgaben aber bescheiden.

Die USA unterhalten im pazifischen Raum ein dichtes Netz von Stützpunkten. Kernstück ist die Insel Guam, die 1898 den Spaniern entrissen wurde. Eine zweite große Flotten- und Luftwaffenbasis ist auf der japanischen Insel Okinawa. In Südkorea stehen fast 30.000 GIs. Die atomar bestückte 7. US-Flotte ankert in japanischen und südkoreanischen Häfen. Schon jetzt besitzen die USA rund um die Erde mehr als 700 Militärbasen in 130 Ländern. Chinesen (und ebenso die Russen) sind also keineswegs überempfindlich, wenn sie ein Eindämmen, Zurückdrängen oder sogar die Einkreisung durch die Amerikaner und deren Verbündete befürchten.

Ein paar Tage nach Obamas Canberra-Erklärung unterzeichnete Außenministerin Hillary Clinton in Manila ein weiteres Militärabkommen mit einem pazifischen Land. Es sieht die Lieferung moderner Zerstörer und weiterer umfangreicher maritimer Rüstungsgüter an die Philippinen vor. Deren Nachbarland Indonesien hatte jüngst von Amerika bereits 24 ausgemusterte F-16-Jagdbomber mit moderner Elektronik und Waffentechnik erhalten. Mehr Marineinfanteristen, mehr Marine und mehr Militärpräsenz: Washington setzt auf einen Strategieschwenk in der Asien-Pazifik-Region. Daß Peking seine Vormachtstellung gefährdet sieht, ist naheliegend.

Auch bei den beiden Gipfeltreffen der asiatischen Staaten, die in den vergangenen Wochen stattfanden, zeigte sich, in welche Richtung der geopolitische Wind weht: Nur eine Woche nachdem der US-Präsident den Apec-Gipfel der „Asiatisch-pazifischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ auf Hawaii ausgerichtet hatte, nahm er erstmals auch am Treffen des „Verbands Südostasiatischer Staaten“ (Asean) in Bali teil, wo nach Einschätzung der Neuen Zürcher Zeitung als „neue weltpolitische Konstellation“ die Verschiebung des politischen und wirtschaftlichen Schwergewichts vom transatlantischen zum pazifisch-asiatischen Raum sowie „die wachsende Bedeutung des Verhältnisses zwischen China und den USA“ zutage trat. Obama, selbst in Hawaii und Indonesien aufgewachsen, gab sich selbstbewußt: Asien habe für die Vereinigten Staaten hohe Priorität, denn hier werde entschieden, „ ob das kommende Jahrhundert von Konflikt oder Zusammenarbeit gekennzeichnet sein wird“.

Beobachter fürchten nun, daß ein stärkeres militärisches Engagement Wa-shingtons im Asien-Pazifik-Raum zu einer verfahrenen Situation zwischen den beiden Ländern führen könnte: zu einer Art militärischem Patt, wie es im Kalten Krieg zwischen den Westmächten und dem Ostblock bestand. Die zunehmende Projizierung amerikanischer Macht auf die Länder Ostasiens ist damit nicht bloß eine regionale Angelegenheit. Sie ergänzt die Bemühungen Washingtons, Rußland klein zu halten, den Iran zu isolieren und Chinas Aufstieg rechtzeitig zu konterkarieren. Alles in allem ein Stück Geopolitik eben, auf das auch der beginnende US-Präsidentschaftswahlkampf seine Schlaglichter wirft.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen