© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Marina Weisband. Die Piratin hat nichts von einem pickeligen Computernerd
Politik als Kunst
Marcus Schmidt

Die politische Karriere von Marina Weisband begann an einem Mittwoch. Vor gut zwei Monaten, am 5. Oktober, trat die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei nach dem Wahlerfolg in der Hauptstadt zusammen mit dem Parteivorsitzenden Sebastian Nerz und dem Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Andreas Baum, vor die Bundespressekonferenz, um die deutschlandweiten Ambitionen der Piraten zu unterstreichen.

Seitdem ist Weisband so etwas wie das Gesicht der Piratenpartei – und Liebling der Medien. Während Nerz, ein ehemaliges CDU-Mitglied, auf der Pressekonferenz hölzern versuchte, die zahlreichen weißen Flecken im Programm der Piraten zu erklären, übernahm Weisband immer wieder die Initiative und beantwortete geschickt und mit wachsendem Vergnügen die Fragen der Hauptstadtjournalisten. Sie paßte mit ihrer aufwendig geflochtenen Julia-Timoschenko-Frisur so gar nicht zu dem Bild vom pickeligen Computernerd, mit dem bis dahin viele die Piratenpartei in Verbindung gebracht hatten.

Der Auftritt brachte Weisband denn auch zahlreiche Presseanfragen, Interviews und einen Blog auf der Internetseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein. Hier schreibt sie nun unter dem Titel „Salon Skurril“ über Kunst und Kultur. Denn mehr noch als Politikerin versteht sich die 1987 in Kiew geborene Psychologiestudentin als Künstlerin, wie die zahlreichen Zeichnungen belegen, die sie auf ihrer Internet-seite präsentiert. Und etwas von der Künstlerin strahlt auch auf die Politikerin Marina Weisband ab. Hier wie dort liebt sie den großen Auftritt, wallende Kleider, die große Geste – und sei es nur, daß sie zum Auftakt des Bundesparteitages am vergangenen Wochenende in Offenbach die Veranstaltungshalle in Kunstnebel hüllen ließ – der epischen Stimmung wegen, wie sie sagt.

In die Piratenpartei hat Weisband, die 1994 mit ihren Eltern als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen ist, ihre politische Grundüberzeugung geführt, daß erst informierte Menschen wirklich frei sind. Das Internet mit seinen schier unbegrenzten Informationen biete hierfür völlig neue Möglichkeiten. Die Partei selbst ist für sie dabei mehr eine Art Betriebssystem, das es den informierten Bürgern ermöglichen soll, die Politik nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen. Ein ausführliches Programm sei hierfür eigentlich nicht nötig, glaubt Weisband.

Dennoch hat sie die programmatische Aufrüstung der Partei auf dem Bundesparteitag (siehe Seite 6) als Geschäftsführerin maßgeblich mit vorangetrieben. Den deutlichen Schwenk nach links, den die Piraten dabei vollzogen haben, trägt sie ohne Einschränkungen und aus Überzeugung mit. Nur von einem linken Steckenpferd will Weisband nichts wissen: Eine Frauenquote lehnt sie strikt ab.

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