© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

E-Mails von der Schwiegermutter
Digitale Kultur: Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung versucht den Einfluß des Internets auf die Demokratie auszuloten
Henning Hoffgaard

Wir haben hier heute einen zweiten Kabarettisten“, schimpft eine Gruppe von Mittdreißigern vor dem Hauptgebäude des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes Adlershof im Südosten Berlins. Der eine heißt Frank Lüdecke und verdient mit Kabarett sein Geld, mit dem zweiten meinen die Teilnehmer des 3. Demokratie-Kongresses der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) den Projektleiter Internet der CDU-nahen Organisation, Stephan Eisel.

Der zog sich in der vergangenen Woche den Unmut des Publikums zu, als er den sozialen Netzwerken im Internet keine so herausgehobene Bedeutung zumessen wollte wie sein Parteikollege und Diskussionspartner Peter Tauber. Bereits in der Diskussion mußte Eisel deswegen viel Kritik einstecken: „Sie haben nichts verstanden“, rief Tauber dem Internet-Projektleiter zu. Um den Einfluß der „digitalen (Un)Kultur“ auf die Demokratie, mit der sich der Kongreß eigentlich beschäftigen wollte, ging es dabei schon lange nicht mehr. Im Vordergrund stand vielmehr die Frage, was welcher Politiker über Facebook und den Kurznachrichtendienst Twitter mitteilen sollte und was er lieber für sich behält. Während Tauber seine etwa 2.400 Fans bei Facebook von seinen Gedanken zum Betreuungsgeld bis zum Zahnarztbesuch an allem teilhaben läßt, beharrt Eisel darauf, daß es diese soziale Interaktion früher auch gegeben habe. Nur eben etwas anders. Und weil es ums Internet geht, durfte mit Martin Delius auch ein Mitglied der Piratenpartei nicht fehlen. Der Geschäftsführer der Berliner Abgeordnetenhausfraktion sprach sich für mehr Transparenz demokratischer Prozesse aus und lobte dabei auch die Kommunikationsplattformen der Piratenpartei, die ganz neue Möglichkeiten eröffnet hätten. „Elitedenken“, raunt ein älterer Herr und fordert vehement, dem Piraten die Redezeit zu kürzen.

Mit derlei Widerspruch muß Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht rechnen. Mit halbstündiger Verspätung betritt der Innenminister das Rednerpult und hebt in seiner Grundsatzrede die Bedeutung der Vernetzung von Verfassungsschutz und Polizei zur Abwehr extremistischer Gefahren hervor. Nach diesem kurzen Ausflug in die Tagespolitik plaudert der Innenminister aus dem Nähkästchen seines eigenen „Surfverhaltens“. Zwar fehle ihm die Zeit, um selbst alle Anfragen auf Facebook zu beantworten, dennoch verfolge er die Diskussionen im Netz intensiv. Ins Schwärmen kommt Friedrich, wenn er über die Chancen der „digitalen Revolution“ zu sprechen kommt. So könnten die interaktiven Netzwerke durchaus dazu dienen, den Familienzusammenhalt zu stärken, nach dem sich besonders viele Jugendliche immer mehr sehnten. Selbst seine über 70 Jahre alte Schwiegermutter schreibe mittlerweile regelmäßig E-Mails und nutze das Internet. Gefährlich werde das Netz jedoch dann, wenn Extremisten es für Dinge nutzten, „die mit Freiheit nichts zu tun haben“.

Zumindest das Publikum ist noch nicht ganz von den Vorteilen der sozialen Netzwerke im Internet überzeugt. Ein Drittel gibt an, kein Facebook-Profil zu besitzen, und über die Hälfte nutzt auch Twitter nicht. Daß die Union noch Nachholbedarf in Sachen digitale Dialogformen hat, beweist der ehemalige Präsident des Europaparlaments und Stiftungsvorsitzende Hans-Gert Pöttering. Der schwärmt zwar vom „direkten Austausch“, fügt dann jedoch an, es biete sich auf dem Kongreß die Möglichkeit, einmal Experten „zuzuhören“. Die meisten Zuhörer wirken allerdings eher, als wollten sie lieber mitreden.

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