© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

US-Gläubigerschutz heißt nicht unbedingt Schutz der Gläubiger
American Insolvenz
Markus Brandstetter

Die amerikanische Fluggesellschaft Delta Air Lines hat es einmal getan, ihre Konkurrenten Continental und US Airways bereits zweimal und manch ein Unternehmen aus der Stahlbranche sogar schon fünfmal – und trotzdem leben sie alle fröhlich weiter. Die Rede ist vom Gang vor den US-Insolvenzrichter. Nun war also American Airlines (AA) an der Reihe, gemessen an den beförderten Passagieren die viertgrößte Fluglinie der Welt.

Probleme gab es ja schon lange. Während große US-Wettbewerber wie Delta und United von 2005 bis 2010 die Anzahl der jährlich beförderten Passagiere verdoppelten – was auch der Lufthansa gelang –, hat bei AA im selben Zeitraum das Geschäft stagniert. Die Kosten waren seit Jahren zu hoch, die Pensionszahlungen an die Piloten im Ruhestand belasteten das texanische Unternehmen stark. Und was tut nun eine US-Fluglinie, die von den Finanzierungskosten nicht runterkommt und gegen die mächtige Piloten-Gewerkschaft APA keine Chance hat? Richtig: Sie geht in die Insolvenz. Und fliegt dann noch lange gewinnträchtig weiter. Nur die Kosten sind danach deutlich niedriger, und auch sonst hat man inzwischen viel unnötigen Ballast abgeworfen.

Das Zauberwort zur Einleitung dieser Volte heißt „Chapter 11 Bankruptcy Protection“. Damit ist das elfte Kapitel des amerikanischen Insolvenzrechts gemeint, in dem die Fortführung eines insolventen Unternehmens unter Gerichtsaufsicht geregelt ist. Während der Sanierung nach Chapter 11 genießt eine US-Firma sogenannten Gläubigerschutz. Das bedeutet aber nicht, daß dadurch die Ansprüche der Gläubiger besonders geschützt wären, nein, das heißt im Gegenteil, daß die Gläubiger ihre Ansprüche gegen das Unternehmen bis zum Ende der Insolvenz nicht mehr gerichtlich durchsetzen können. In der Praxis bedeutet dies, daß, wenn nach dem Ende einer Insolvenz Großgläubiger oft noch anteilig etwas erhalten, die Scharen der Kleingläubiger meist auf ihren Forderungen sitzenbleiben.

Deutsche Investoren, die sich bei US-Firmen engagieren, sollten das nie vergessen. Obwohl viele und sehr bekannte amerikanische Konzerne wie General Motors, Chrysler oder Texaco nur dank Chapter 11 überlebten, wird diese Rechtspraxis aber immer wieder kritisiert, weil sie zu betrügerischem Konkurs geradezu einlädt und insolventen Unternehmen die Möglichkeit gibt, mit ihren nun niedrigeren Kosten besser geführten Wettbewerbern gute Kunden abzujagen.

Aber ganz egal, wie eine Insolvenz in den USA auch immer ausgeht, eine Gruppe von Gewinnern steht immer schon von vornherein fest: die amerikanischen Anwälte. Als der Automobilhersteller Chrysler 2009 in die Insolvenz ging, betrug die Rechnung einer großen Anwaltskanzlei nur für den ersten Monat bereits zwölf Millionen US-Dollar.

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