© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

„Am Ende stehen wir mit Frankreich alleine da“
Euro-Krise II: Zwei Berliner Konferenzen offenbarten erneut die höchst unterschiedlichen Sichtweisen von Politikern und Experten
Christian Dorn / Jörg Fischer

Vorige Woche trafen sich Finanzexperten und Politiker in Berlin, um über die Zukunft des Euro zu diskutieren – „Die europäische Schuldenkrise überwinden“ hieß das Motto am Dienstag in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), „Ja zu Euro und Europa – Sanierer zeigen Auswege“ am Freitag im Hotel Adlon. Und der Kontrast hätte nicht größer sein können. Denn in der KAS lautete die Parole „Weiter so – koste es, was es wolle!“, im Adlon hingegen: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!“

Daß der frühere Minister Evripidis Stylianidis von der griechischen Nea Demokratia fordert, „das Solidaritätsprinzip in Europa“ müsse weiterentwickelt werden“, mag verständlich sein. Doch daß der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse allen Ernstes behauptete, die „No-Bailout“-Klausel in den EU-Verträgen sei gar nicht verletzt worden, denn die besage ja nur, „daß man andere nicht rauskaufen muß, aber man kann“, das verschlug manchem die Sprache. Griechenland werde in der Euro-Zone bleiben, glaubt Kruse, denn „es wäre eine Schönwettergemeinschaft, wenn man Griechenland rauswirft – am Ende stehen wir mit Frankreich alleine da“. Und überhaupt: „Sonst müßten wir auch Bremen oder Berlin rausschmeißen“, meinte der Hamburger mit Blick auf hochverschuldete Stadtstaaten.

Realistischer, wenn auch bitterer, war hingegen die Prognose von Efthymios Christodoulou, Chef der Athener EFG Eurobank: „Unser Lebensstandard muß gesenkt werden – so wie in allen Entwicklungsländern.“ Danuta Jazłowiecka, Europaabgeordnete der polnischen Regierungspartei PO, ist angesichts der Misere ganz froh, daß ihr Land nicht Euro-Mitglied ist, denn „gerade weil Polen nicht zur Euro-Zone gehört, konnten wir unsere Exporte erhöhen“.

Daß nicht nur Griechenland, sondern auch Portugal und andere Defizitländer nicht in der Euro-Zone zu halten sind, war hingegen Konsens unter den Finanz­experten Wilhelm Hankel, Eberhard Hamer, Dirk Müller, Thorsten Polleit und Markus C. Kerber sowie dem FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler. Die Unternehmensberaterin Andrea Prym-Bruck sieht zwar im Euro-Projekt prinzipiell viele Vorteile – doch angesichts der dramatischen Entwicklung empfahl sie speziell dem Mittelstand, sich darauf einzustellen, daß es „keine erwartbaren Ereignisse mehr gibt“.

Der Mittelstandsexperte Hamer (er hat jetzt mit Schäffler eine aktuelle Broschüre zur Euro-Krise veröffentlicht) mahnt, vor allem den Einfluß der Dollar-Krise nicht zu unterschätzen. Die US-Finanzindustrie sei Hauptgläubiger der europäischen Schuldner: Euro-Kreditverluste würden sie hart treffen und den Dollar gefährden. Zudem sei ein erheblicher Teil der ausfallgefährdeten Euro-Kredite bei amerikanischen Assekuranzen rückversichert. Dies erkläre das besondere Interesse der US-Regierung an einer Fortsetzung der bisherigen Euro-Rettungspolitik: „Die USA hoffen, durch Zeitgewinnen ihre eigene, viel schlimmere Finanzkrise überwinden zu können“, so Hamer. Die US-Finanzindustrie und die Notenbank Fed wollten durch Geldmengenausweitung (Quantitative easing) die amerikanischen Schulden entwerten: „Diesen Weg verlangen sie auch von der EZB.“ Da dieses durch den Aufkauf von Euro-Staatsanleihen schon längst vertragswidrige Praxis ist, hat der Berliner Jura-Professor Kerber bereits Klage gegen die EZB erhoben. Zudem gelte es, den geplanten Euro-Rettungsfonds ESM „mit allen Mitteln“ (politisch wie juristisch) zu bekämpfen.

Frank Schäffler, Eberhard & Eike Hamer: Warum lassen wir das geschehen? Verlag Mittelstandsstiftung, Hannover 2011, broschiert, 76 Seiten, 5 Euro

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