© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Roosevelts Kalkül ging auf
Vor siebzig Jahren eskalierte der Zweite Weltkrieg mit dem japanischen Angriff auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii
Rolf Bürgel

Vor siebzig Jahren, am 7. Dezember 1941 griff die japanische Marineluftwaffe mit 355 Bombern und Torpedoflugzeugen in zwei Wellen, gestartet von sechs Flugzeugträgern, die in Pearl Harbor auf der Hawaii-Insel Oahu stationierte US-Pazifikflotte an, die völlig überrascht wurde. Der Geschwaderführer Mitsuo Fuchida konnte also gleich nach Angriffsbeginn das vereinbarte Codewort „Tora – Tora – Tora“ (Tiger) funken als Bestätigung dafür, daß die Überraschung gelungen war. Die Schäden waren erheblich. Versenkt bzw. beschädigt wurden acht Schlachtschiffe sowie zahlreiche Kreuzer, Zerstörer und andere Schiffe. Zahlreiche Flugzeuge und sonstige Militäreinrichtungen wurden zerstört. Der Stützpunkt hatte 2.403 Tote und 1.178 Verwundete zu beklagen, während die Verluste der japanischen Angreifer nur sehr gering waren. Das eigentliche Ziel aber hatte der Angriff nicht erreicht. Er galt schwerpunktmäßig den drei Flugzeugträgern der Flotte, die aber zum Zeitpunkt des Angriffs nicht im Hafen waren. Hier hatte der ansonsten so gut informierte japanische Geheimdienst total versagt.

Der Angriff war ein Schock für die Amerikaner. Er wurde zum Trauma und ist es bis heute geblieben. Es war das erste Mal in der jüngeren Geschichte, daß ihr Land von einer fremden Macht direkt angegriffen wurde. Am nächsten Tag erklärten die USA Japan den Krieg. Vor dem Kongreß sprach Präsident Franklin D. Roosevelt seine berühmt gewordenen Worte: „Gestern, am 7. Dezember 1941 – einem Tag der in Schande fortleben wird – wurden die Vereinigten Staaten von Amerika plötzlich und vorsätzlich von See- und Luftstreitkräften des Kaiserreiches Japan angegriffen. (…) Wir werden uns immer an den Charakter des Angriffes auf uns erinnern.“ Waren Kongreß und Volk bisher mehrheitlich gegen einen Krieg, so standen sie jetzt geschlossen hinter ihrem Präsidenten.

Der Weg, der nach Pearl Harbor führte, läßt sich bis in das Jahr 1854 zurückverfolgen. Der Inselstaat Japan, auch Nippon genannt, war bis dahin eine wenig bekannte Insel vor der asiatischen Küste, auch deshalb, weil das Eiland seit beinahe 250 Jahren in völliger Isolation zur übrigen Welt gelebt hatte. Kein Japaner durfte die Insel verlassen, kein Fremder sie betreten. Dann kamen die Amerikaner. Im Jahr 1854 erschien ein US-Geschwader. Ausgestattet mit einem Schreiben an den japanischen Kaiser verlangte der Geschwaderchef Kommodore Matthew Perry die Öffnung japanischer Häfen für den Welthandel, sprich den amerikanischen Handel. Die Verhandlungen dauerten drei Jahre, bis die Japaner nachgaben. Die Amerikaner ahnten nicht, was für eine Entwicklung sie da in Gang gesetzt hatten!

Als Perry japanischen Boden betrat, fand er einen mittelalterlichen Feudalstaat vor, in dem die Krieger noch eiserne Rüstungen trugen und mit Pfeil und Bogen schossen. Doch die Japaner lernten schnell. Nur fünfzig Jahre später besiegten sie die Großmacht Rußland im Krieg 1904/05. Damit begann die japanische Expansion in Asien, deren Triebkraft keineswegs Eroberungslust, sondern der Mangel an Rohstoffen war, die importiert werden mußten. Schwerpunkt war hierbei China und Korea. Das japanische Bestreben, in dem zerfallenden chinesischen Riesenreich die Kontrolle zu erringen, wurde zur imperialistischen Herausforderung, nicht nur der europäischen Großmächte. Es führte vor allem zu Spannungen mit den USA, die das Verhältnis der beiden Staaten bis Pearl Harbor maßgeblich bestimmten. Besonders die aggressive Außenpolitik Tokios gegenüber dem Vasallenstaat Mandschukuo und der kompromißlos geführte Chinesisch-Japanische Krieg ab 1937 verschärften den Gegensatz zusehends.

Durch den Krieg, der im September 1939 in Europa ausgebrochen war, erhielten die Spannungen zwischen Japan und den USA aus der Sicht Roosevelts einen neuen Akzent. Ihm ging es nicht mehr um eine Übereinkunft mit Japan. Sein eigentliches Ziel war die Teilnahme am atlantischen Krieg gegen Deutschland. Doch dem würde der Kongreß, in dem die Kriegsgegner in der Übermacht waren, niemals zustimmen. Also versuchte Roosevelt das Deutsche Reich dazu zu provozieren, den ersten Schuß abzugeben, beispielsweise durch den US-Navy-Geleitschutz für britische Konvois trotz der Neutralität der USA. Hitler befahl den U-Booten jedoch, anders als 1917, größte Zurückhaltung gegenüber US-Schiffen. So versuchte es Roosevelt durch die „Hintertür“ (Charles C. Tansill „Die Hintertür zum Kriege“). Und die hieß Japan. Wenn es zum Krieg zwischen den USA und Japan kommen würde, würde Hitler in Roosevelts Kalkül in den Krieg eintreten müssen.

Am 14. August 1941 unterzeichneten Roosevelt und Churchill in einer Bucht von Neufundland auf dem britischen Schlachtschiff „Prince of Wales“ die „Atlantik-Charta“ (JF 33/11) als Grundlage einer gemeinsamen Kriegführung gegen Deutschland, in der aber auch festgelegt wurde, daß die USA im Falle eines japanischen Angriffs auf die fernöstlichen Besitzungen Großbritanniens und der Niederlande – die niederländische Exilregierung saß in London – sofort unterstützend in den Krieg eingreifen würden. Roosevelt gab diese Zusicherung, ohne vom Kongreß dazu ermächtigt zu sein. Denn nur der Kongreß konnte einen Krieg erklären.

Geheimhaltung war daher oberstes Gebot. Darum lehnte Roosevelt auch den Vorschlag Churchills ab, Japan diese Vereinbarung in Form einer Warnung zukommen zu lassen. Wenn der Kongreß, der wie die Mehrheit des amerikanischen Volkes vom Krieg nichts wissen wollte, davon erfahren hätte, wäre Roosevelt aller Wahrscheinlichkeit nach seines Amtes enthoben worden. Um sein Ziel zu erreichen, mußte Roosevelt also dafür sorgen, daß Japan den ersten Schuß abgab. Besonders das amerikanische Öl-Embargo schnürte den Handlungsspielraum des im Krieg um seine „Wohlstandssphäre“ befindlichen Japan völlig ein. Alle mit Tokio geführten Verhandlungen über diese Frage erwiesen sich als reine Scheinverhandlungen.

Der britische Minister für Produktion, Oliver Lyttelton, hat am 20. Juni 1944 dazu festgestellt: „Amerika provozierte Japan in einem derartigen Ausmaß, daß die Japaner gezwungen waren, Pearl Harbor anzugreifen. Es ist eine Travestie der Geschichte, zu sagen, daß dieser Krieg Amerika aufgezwungen wurde.“ Wieso aber traf der japanische Angriff die US-Flotte in Pearl Harbor so überraschend und völlig unvorbereitet? Wer trug die Verantwortung für dieses Desaster? Diese Frage beschäftigte die Amerikaner während des gesamten Krieges. Daher setzte der Kongreß am 11. Mai 1945 einen Ausschuß aus Mitgliedern von Senat und Repräsentantenhaus ein, um diese Frage zu untersuchen.

Dieses „Joint Committee“ nahm seine Tätigkeit am 15. November 1945 auf und beendete sie am 31. Mai 1946. In 70 Verhandlungstagen wurden 43 Zeugen gehört und 183 Dokumente mit Beweismaterial vorgelegt. Verlauf, Erkenntnisse und Ergebnis der Untersuchung hat der Mitherausgeber der Chicago Tribune, George Morgenstern, in einem Buch veröffentlicht, das 1947 erschien und für großen Wirbel sorgte. Es wurde deutlich, daß sowohl die politische Führung bis zum Präsidenten einschließlich sowie die militärische Führung an dem Desaster alles andere als unschuldig waren. Bereits Monate vor dem Angriff war den US-Nachrichtendiensten der Einbruch in den „Purpurcode“ gelungen, den Schlüssel, den die Japaner im weltweiten Nachrichtenverkehr mit ihrem diplomatischen Korps nutzten.

Die Amerikaner nannten diese Kryptoanalyse „Magic“. Im Jahre 1941 wurden durch „Magic“ 700 japanische Chiffremeldungen abgefangen, davon 200, die bis zum 2. Dezember 1941 zurückdatierten und sich mit Schiffsbewegungen befaßten, die unmißverständlich auf den Krieg hindeuteten, sogar auf Zeit und Ort des ersten Angriffs. US-Präsident, Außenminister, Generalstabschef und Marinechef hielten die so gewonnenen Kenntnisse während des Krieges aber streng geheim. So erfuhren auch die Befehlshaber in Pearl Harbor nichts von der ihnen drohenden Gefahr.

Mehr noch, die Verantwortlichen hielten es nicht einmal für notwendig, sie rechtzeitig zu warnen, um die nötigen Vorkehrungen treffen zu können. Aber noch war es nicht zu spät. Noch hätte man reagieren können. Noch hätte die Flotte auslaufen und sich so dem Angriff entziehen können. Auch die Abwehr des Stützpunktes aber war völlig ungenügend. Das war kein Geheimnis. Aber es geschah nichts! Die erste Warnung vor einem japanischen Luftangriff traf erst sieben Stunden nachdem der Angriff bereits begonnen hatte in Pearl Harbor ein. Erst dem Untersuchungsausschuß wurden die von „Magic“ abgefangenen und entschlüsselten japanischen Funkmeldungen am 15. November 1945 vorgelegt.

George Morgenstern schreibt dazu: „Pearl Harbor gab der amerikanischen Kriegspartei ein Mittel, sich von der Abhängigkeit von einem zögernden Kongreßzu befreien, um ein widerstrebendes Volk in den Krieg zu führen. (…) Verfassungsgemäße Verfahren waren nur noch dazu da, um umgangen zu werden, bis schließlich die Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden, die in Händen des Kongresses lag, darauf reduziert war, vollendete Tatsachen anzuerkennen.“ Am Ende ist Roosevelts Plan dann doch noch aufgegangen. Drei Tage nach Pearl Harbor, am 11. Dezember 1941, erklärten die beiden Dreibundmächte Deutschland und Italien den USA den Krieg, obwohl der Vertrag keinen Automatismus enthielt.

Foto: Rettungsversuche am Schlachtschiff „USS West Virginia“ nach japanischem Überfall auf Pearl Harbor, 7. Dezember 1941: Die Flotte hätte auslaufen und sich dem Angriff entziehen können

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