© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Studien gegen den Dogmatismus
Der Islamwissenschaftler Tilman Nagel bietet einen Überblick über die derzeit maßgebliche Mohammed-Forschung
Karl-Heinz Kuhlmann

Im Grundsätzlichen unterscheidet sich die Sicht gläubiger Muslime auf Mohammed von jener historisch Interessierter, seien sie Agnostiker, Atheisten oder religiös gebunden. Die letztgenannten suchen alle Aufklärung über den Lebensweg jenes Mannes, der am Beginn des 7. Jahrhunderts in der Mitte Arabiens eine religiöse Bewegung schuf, die, von einem aggressiven Kampfgeist durchdrungen, rasch weite Gebiete Vorderasiens und Nordafrikas eroberte, ihrem Glauben unterwarf und zu einem Herrschaftsgebäude eigener Art zusammenfügte. Was waren die benennbaren Voraussetzungen dieses Geschehens, was die unvorhersehbaren, unableitbaren Wendungen, die es beeinflußten?

Kurz, es geht den nicht durch den muslimisch geprägten Fragenden um die Erhellung und Darstellung eines Vorganges von weltgeschichtlicher Bedeutung. „Das Geschehen ist unter Beachtung der methodischen Standards zu schildern, denen Historiographie in einer von Wissenschaft bestimmten, das heißt der Vorläufigkeit und der Revidierbarkeit unterliegenden Weltsicht zu genügen hat.“ Mit diesen Sätzen leitet Tilman Nagel, emeritierter Islamwissenschaftler der Universität Göttingen und einer der bedeutendsten Islamforscher Deutschlands, sein Buch „Mohammed. Zwanzig Kapitel über den Propheten der Muslime“ ein. Es ist dies ein Extrakt aus seinen beiden anderen umfangreichen Werken „Mohammed. Leben und Legende“ (JF 28/08) sowie „Allahs Liebling. Ursprung und Erscheinungsformen des Mohammedglaubens“ (JF 46/08). Läßt man einmal eine andere Forschungsrichtung über die Entstehung des Islams und das Leben des Propheten beiseite, die erhebliche Zweifel an der bisherigen Sicht auf die Frühgeschichte dieser Religion hegt, so findet man wohl in Nagels Werken die zur Zeit maßgeblichen wissenschaftlichen Studien auf diesem Feld.

In den zwanzig Kapiteln wird auch dem Nichtfachmann das Konstrukt „Mohammed“ und damit dessen nachträgliche Dogmatisierung aus den verfügbaren Quellen deutlich vor Augen geführt. Dies ist in der gegenwärtigen Debatte um islamische Lehrstühle an deutschen Universitäten und die Ausbildung von muslimischen Religionslehrern um so wichtiger, als diese den methodischen Standards einer historischen Wissenschaft nicht genügen. Beispielhaft dafür sind die Abberufung von Muhammad Kalisch (Universität Münster) auf Druck muslimischer Verbände und die ausdrückliche Weigerung des an die Universität Osnabrück berufenen Bülent Ucar, den Propheten überhaupt zu kritisieren. Es bleibt zu hoffen, daß Nagels Studien auch verantwortliche Stellen der Landesregierungen erreichen, und damit die Hochschulen vor akademisch verbrämten Koranschulen bewahren.

Tilman Nagel: Mohammed. Zwanzig Kapitel über den Propheten der Muslime. Oldenbourg Verlag, München 2011, gebunden, 332 Seiten, 29,80 Euro

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