© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Majestäten im Klimawandel
Der antarktische Lebensraum der Kaiser- und Königspinguine ist bedroht / Horrorszenario übertrieben?
Bodo Schmid

Die ansonsten knochentrockene Naturwissenschaftliche Rundschau zeigt im aktuellen Heft (11/11) Mut zum Boulevard. Erschreckt die Redaktion ihre Leser doch mit dem Leitaufsatz des Zoologen Achim Kostrzewa, der wie ein Alarmruf klingt: „Königspinguine bald Opfer der globalen Erwärmung?“ Die Lektüre bestätigt indes die alte Weisheit, daß nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Durchaus angemessen erscheint allerdings die Herausstellung einer extremen Gefahrenlage, in der sich die gefiederten Bewohner der Antarktis befinden.

Und zutreffend ist auch Kostrzewas Hinweis auf das seit 2010, als die British Ornithologists’ Union (BOU), nach der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft die zweitälteste Vogelkunde-Organisation der Welt, ihre Jahrestagung in Leicester dem Thema „Klimawandel und Vögel“ widmete, gerade in der Fachöffentlichkeit erheblich gestiegene Interesse an einer prekären Entwicklung, die sich, wie ein seit Mitte der neunziger Jahre breiter werdender Strom meeresökologisch-zoologischer Publikationen belegt, besonders anschaulich an den Küsten des siebenten Kontinents studieren läßt.

Pinguine sind deshalb für Forscher zum beliebten Untersuchungsobjekt geworden, weil sie, gleich den Eisbären im Nordpolarbereich, als ideale Indikatoren des Klimawandels gelten. Existieren sie doch in der sensi­blen antarktischen Konvergenzzone, wo sich kaltes Wasser der Polregion mit dem wärmeren Wasser von Atlantik, Pazifik und Indischem Ozean mischt. Dabei steigt nährstoffreiches Tiefenwasser in lichtdurchflutete Zonen auf und schafft ideale Bedingungen für das Gedeihen von Phyto- und Zooplankton (unter anderem Kleinkrebse wie Krill).

Der darauf basierende Fischreichtum dieser Gewässer ist das Nahrungsreservoir von 175 Millionen Vögeln, darunter 26 Millionen, die den aufrechten Gang beherrschen: der Pinguine, die in 17 Arten in ihren Brutkolonien auf den subantarktischen Archipelen leben. Deren Tisch ist jedoch nur dann für alle ausreichend gedeckt, wenn das komplexe Zusammenspiel von Wassertemperatur, Salzgehalt und jahreszeitlicher Meereisausdehnung ungestört bleibt. Genau daran scheint es mittlerweile zu hapern.

Wie französische Forscher, die eine kleine Kolonie der Königspinguine (Aptenodytes patagonicus) auf den Crozet-Inseln im Indischen Ozean seit 1997 beobachten, vorrechnen, reicht eine Erhöhung der Wassertemperatur um 0,25 Grad Celsius, um die Überlebenschance der Alttiere um neun Prozent zu reduzieren. Denn wärmeres Wasser verschlechtert ihre Ernährungslage. Steigt das globale Klima bis 2100 um das vielzitierte Maximum von zwei Grad Celsius, erhöhte sich die Pinguinmortalität um 72 Prozent, was zu ihrem Aussterben auf den meisten Brutinseln führte. Viele Seevogel- und Pinguinspezialisten halten, wie Kostrzewa anmerkt, dieses französische Horrorszenario für übertrieben.

Der deutsche Zoologe will hingegen die Plausibilität der Modellrechnungen seiner Kollegen nicht bezweifeln. Sind doch die kleineren Adeliepinguine (Pygoscelis adeliae) auf Südgeorgien, der am weitesten in den Südatlantik vorgeschobenen antarktischen Insel, wegen der Klimaerwärmung bereits ausgestorben. Ein Schicksal, das den Königspinguinen ebenso drohe, wenn sich die antarktische Konvergenzzone weiter in Richtung Südpol bewegt. Dann wären die Fischgründe nicht nur weniger ergiebig, sondern lägen auch zu weit entfernt von den heutigen Pinguin-Kolonien, was ein erfolgreiches Brutgeschäft verhindern würde.

Im Unterschied zu den Franzosen glaubt Kostrzewa aber die Zukunft des Königspinguins selbst unter gravierend veränderten meeresökologischen Parametern als nicht hoffnungslos einschätzen zu müssen. Denn vor allem diese Art könnte auf weiter südlich gelegene Inseln ausweichen und so praktisch ihrem Jagdrevier hinterherziehen. Was freilich nur den Populationen der atlantischen Kolonien gelänge, da sie über Ausweichquartiere in Richtung Antarktischer Halbinsel und den ihr vorgelagerten Südlichen Shetlandinseln verfügten.

Entgegen der alarmistischen Überschrift seiner Studie gelangt Kostrzewa daher zu einem relativ optimistischen Fazit: „Der Königspinguin hat zumindest im atlantischen Sektor seines Verbreitungsgebiets gute Chancen, eine Klimaerwärmung durch eine Verlagerung des Brutgebietes nach Süden zu überleben.“ Solche halbwegs frohe Kunde ist von Kostrzewa für die größte unter den Pinguinarten, den Kaiserpinguin (Aptenodytes forsteri), indes nicht zu vernehmen.

Hier zitiert er statt dessen kommentarlos Prognosen, die dessen Aussterben bis zur nächsten Jahrhundertwende entweder als sicher annehmen, oder Hypothesen aufgrund jüngster Erhebungen des britischen Polarforschungsprogramms (British Antarctic Survey/BAS), die wenigstens einen klimatisch induzierten, erheblichen Rückgang der Populationen für gewiß halten.

Zumal die erste von 39 der bisher registrierten Kaiserpinguin-Kolonien, die auf der westlichen Antarktischen Halbinsel lag, bereits komplett verschwunden ist. Da diese wenig erforschte, an Extremtemperaturen bestens angepaßte Art entlang der unwirtlichen Küsten des antarktischen Festlandes oder auf den Eisflächen der vorgelagerten Inseln brütet, würde die infolge des Klimawandels südwärts wandernde Konvergenzzone zwar näher vor die Haustür der „Kaiser“ rücken.

Doch Kalkulationen, die bei einer solchen veränderten ökologischen Konstellation mit dem Aussterben dieser Art rechnen, gehen, wie das Modell des französischen Crozet-Teams, von einem strengen Automatismus zwischen Wassererwärmung und Verringerung des Nahrungsangebots aus. Der den Kaiserpinguinen näherrückende Tisch wäre also kärglicher gedeckt. Eine Misere, der aber auch die Königspinguine nicht durch Verlagerung ihrer Brutplätze entkämen und die somit allen Pinguinarten ein Ende bereiten könnte.

Der British Ornithologists’ Union-Report „Climate Change and Birds“: www.bouproc.blogspot.com/2010/09/climate-change-and-birds.html

Foto: Königspinguine: Bald Opfer der globalen Erwärmung?

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