© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Ursus Wehrli feiert Triumphe, indem er eine konservative Tugend auf die Spitze treibt.
Der Terminator
Baal Müller

Van Gogh, dieser Schlamper; Jackson Pollock dieser Schmierfink!“ muß sich der Schweizer Künstler Ursus Wehrli gedacht haben, als ihm ein Einfall kam, mit dem er mittlerweile auch hierzulande die Feuilletons begeistert: Flugs knüpfte er sich etwa van Goghs Gemälde „Schlafzimmer in Arles“ vor –und räumte es auf: Wehrlis Version des gleichen Bildes zeigt all die Alltagsgegenstände, die der Malerfürst noch im Schlafzimmer verteilt gemalt hatte, fein säuberlich verstaut.

Wer konservative Sekundärtugenden wie Ordnung für langweilig hält, darf sich von Wehrli eines Besseren belehren lassen. Seit bald zehn Jahren genießt der 1969 im Kanton Aargau geborene Komödiant den Erfolg seiner Idee: „Kunst aufräumen“ hieß sein erster Bildband (2001), dem nach „Noch mehr Kunst aufräumen“ (2004) aktuell „Die Kunst, aufzuräumen“ (2011) folgt. Und eigentlich ist damit schon fast alles gesagt: Wehrli nimmt sich das Chaos vor, zerlegt es in seine Bestandteile und ordnet es. Ob van Gogh oder eine Portion Pommes frites – die strammstehen wie die Zinnsoldaten –, nichts, und vor allem kein Meister, ist vor ihm sicher. Und neben dem Klischee von der „langweiligen“ Ordnung dekonstruiert Wehrli, im wahrsten Sinne des Wortes, auch das vom Künstler als schöpferisch-chaotischem Genie.

Einen weiblichen Akt Egon Schieles reduziert er auf sein malerisches Verfahren, indem er die Kontur der Zeichnung als Bindfaden interpretiert – und kurzerhand aufwickelt. Jackson Pollock muß sich gar noch mehr Aufräum-
arbeit gefallen lassen – seine bunten Kleckse verschwinden einfach wieder in den Farbtöpfen.

Nicht nur aufgrund der Begeisterung von Publikum und Kunstkritikern, sondern auch wegen des universalen – fast möchte man sagen: metaphysischen – Charakters des Aufräumprojektes ergibt es sich fast von selbst, dieses auf sämtliche Lebensbereiche auszuweiten: In „Die Kunst, aufzuräumen“ werden nicht nur das erwähnte fritierte Kartoffelschnellgericht sortiert, sondern etwa auch ein Parkplatz nach Farbe der Autos geordnet oder ein Weihnachtsbaum – allerdings nicht nur nach Schmuck und Baum, sondern auch nach Nadeln und Stamm.

Links ein Foto aus dem wahre Leben, rechts Wehrlis Vision von einer besseren Welt – so die Ordnung seiner Bildbände. Und natürlich ist es für einen Bühnenkünstler – Wehrli tourte mit Partnerin als Komiker-Duo „Ursus & Nadeschkin“ gerade auch durch Deutschland – naheliegend, aus dem Aufräumen auch eine Performance zu machen.

Sein Erfolg besteht in der witzigen Art, mit der er einem Bedürfnis nach Vereinfachung entgegenkommt, und doch sind die Fragen, die er aufwirft, von grundsätzlicher Art: Wieviel Ordnung macht das Chaos zum Kosmos? Ist die Ordnung das Ziel oder der Tod der Schöpfung? Auch Sekundärtugenden berühren eben manchmal die letzten Dinge.

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