© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Hinterhalt statt offener Feldschlacht
FDP: Noch vor Bekanntgabe des Ergebnisses stürzt der Mitgliederentscheid zur Euro-Rettung die Partei in eine Krise
Paul Rosen

Der Titel für Frank Schäffler steht fest, unabhängig davon, wie der Mitgliederentscheid bei der FDP letztlich ausgeht: „Er ist so etwas wie der David Cameron der FDP“, sagte der liberale Generalsekretär Christian Lindner in der Berliner Morgenpost über den Euro-Rebellen aus Westfalen-Lippe, der wie David gegen Goliath gegen den politisch-medialen Komplex anstürmt. Dabei hat sich Cameron auf dem EU-Gipfel in letzter Konsequenz gegen die Abtretung zentraler demokratischer Rechte wie der Budgethoheit an den Brüsseler Beamtenapparat gestemmt. Von einem Politiker aus dem Mutterland der Demokratie und des Parlamentarismus war nichts anderes zu erwarten.

Mit der Demokratie ist es bei der FDP nicht so weit her. Die Epigonen von Theodor Heuss ordneten die Wahlunterlagen zum Mitgliederentscheid für oder wider den Euro-Rettungsschirm ESM so geschickt, daß die Unterlagen vom Parteivolk oft übersehen oder falsch ausgefüllt wurden. Das wirft ein Schlaglicht auf den Vorsitzenden Philipp Rösler und Lindner: Statt offener Feldschlacht suchen sie Landgewinn mit Kniffen und Tricks.

Bei Redaktionsschluß sah es nicht so aus, als ob das erforderliche Quorum für die Gültigkeit von Schäfflers Mitgliederentscheid erreicht werden würde. Damit kann herauskommen, was will: Das Ergebnis ist unverbindlich. Dennoch wird es Konsequenzen haben, vor allem für Rösler, der immer den lieben Nachbarn mimt, aber in der Bild am Sonntag seinen wahren Ellenbogencharakter erkennen ließ, als er schon vor Schluß der Abstimmung öffentlich bekanntgab: „Ich gehe jetzt davon aus, daß das Quorum nicht erreicht wird.“ Und weiter stellte er fest: „Also bleibt es bei der Linie der Partei.“ Ob jedoch diese Partei weiterhin Bestandteil des deutschen Parlamentsgefüges bleibt, ist eine ganz andere Frage. Rösler, das steht für viele auch in der Bundestagsfraktion fest, hat mit der Präjudizierung des Mitgliederentscheids endgültig überzogen. Er dürfte – möglicherweise auch vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2012 – sein Vorsitzendenamt verlieren.

Es gilt die alte Regel, wonach jede Parteiführung gestürzt wird, die der Funktionärskaste die Mandate nicht mehr sichern kann. Folgen könnte ihm Fraktionschef Rainer Brüderle, der an Kurs und Koalition nichts ändern würde.Wenn eine Mehrheit der am Entscheid teilnehmenden Mitglieder für den Euro-Rebellen Schäffler gestimmt haben sollte, dürfte dies den Bestand der Berliner Koalition vorerst nicht gefährden. Rösler hatte vor einem Sieg Schäfflers gewarnt: „Wir fliegen raus, es wird eine große Koalition geben und eine Banklizenz für den Rettungsschirm, das will Herr Steinmeier, und Euro-Bonds, die will Herr Gabriel.“ Das war nur ein Horrorgemälde. In Wirklichkeit steht die große Mehrheit der FDP-Fraktion fest an der Seite von Angela Merkel.

Sollte es eine – weniger wahrscheinliche, aber dennoch mögliche – Mehrheit gegen Schäffler geben, wird sich diese Fraktion gestützt sehen und noch enger an die Kanzlerin heranrücken. Der Spiegel wunderte sich bereits, daß es „im Bundestag keine bürgerliche Kraft gibt, die die Skepsis der Bevölkerung aufnimmt“. Und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung staunte über die FDP: „Aber zu einer großen Anti-Euro-Partei reicht es (noch) nicht.“

Breite bürgerliche Schichten in Deutschland, die Guido Westerwelle 2009 mit 14 Prozent an sich zu binden verstand, haben Angst vor den immer höher werdenden Schuldentürmen in Europa und erwarten, daß die Bundesregierung sie vor der finanzpolitischen Katastrophe und der Geldentwertung schützt. Doch Merkel gibt weitere Garantien, spielt mit den Goldreserven und wird bald mit Euro-Bonds liebäugeln. Wer die vier Grundrechenarten beherrscht, weiß, daß Schulden nicht mit Schulden bekämpft und Pleitiers nicht zu Strafzahlungen herangezogen werden können, wie die Bundesregierung behauptet.

Damit wird – auch wenn der Zeitpunkt unklar ist – die Stunde der Aufrechten wie Schäffler kommen, die die Dinge sehen wie sie sind und nicht wie sie sein sollen. Aufgewachsen im östlichen Teil von Westfalen-Lippe, ist Schäffler wie die Menschen dort: Man bleibt sich selbst treu und wechselt nicht die Gesinnung. Die Gradlinigkeit dieser Menschen zog den preußischen Reformer vom Stein in den Bann, der sich in Cappenberg bei Lünen niederließ. Und in der Zeit des Nationalsozialismus stand in Münster der Kardinal von Galen wehrhaft gegen das Regime, unterstützt von einer widerstandsbereiten Bevölkerung.

Der politisch-mediale Komplex ahnt die Gefahr und überschüttet Schäffler mit Hohn und Spott. Er stört die Kreise der Berliner Diadochen der alten Bundesrepublik: „Die Rede wirkt wie Schäfflers Gesten, ein wenig ungelenk“, höhnte die Süddeutsche Zeitung. „Er spricht eher verhalten, manchmal stockend, in einem näselnden Akzent, der entfernt an den Rentner Herbert Knebel erinnert, das Alter Ego des Kabarettisten Uwe Lyko“, spottete der Freitag.

Aber instinktiv spüren sie die frische Kraft des Rebellen gegen verbrauchtes Diadochentum: „Dessen Stunde ist gekommen, wenn sich die Mächtigen zu sehr vom Volk entfernen“, ahnt der Spiegel. Wenn Europa im Schuldensumpf versinkt, wird dies auf die Parteienlandschaft in Deutschland Auswirkungen haben: Mutige Liberale wie Schäffler könnten sich mit anderen in der CDU wie Wolfgang Bosbach, Klaus-Peter Willsch und vielen noch Namenlosen zu einer neuen bürgerlich-konservativen Fraktion zusammenschließen. Denn Probleme suchen sich ihre Lösungen. Und finden sie.

Foto: FDP-Chef Philipp Rösler (l.), Kontrahent Frank Schäffler: „Wir fliegen raus“

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