© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Zweierlei Maß in Sachen Rassismus
England: Während Emma West für ihre Verbalattacken Weihnachten im Gefängnis verbringt, bleiben vier Somalierinnen trotz rassistischer Gewalt auf freiem Fuß
Robert Grözinger

Ende November 2011 war Emma West in einer Londoner Straßenbahn in Streit mit einer Schwarzen geraten und hatte diese und andere Fahrgäste in vulgärer Weise beschimpft. Die drastische Verbalattacke war mit Schimpfwörtern gespickt, die zum alltäglichen Vokabular der englischen Arbeiterklasse gehören.

Mit ihrem Sohn auf dem Schoß schrie die frühere Zahnarzthelferin unter anderem: „Was ist bloß aus diesem Land geworden? Alles voll mit Schwarzen, alles voll mit Scheiß-Polen. … Du bist kein Engländer. … und du auch nicht! Keiner von euch ist ein Engländer! Schert euch heim in eure beschissenen Länder, aber kommt nicht her und bleibt in meinem! … England ist heute ein Nichts! England ist nur mehr ein Scheißhaufen! … Du bist nicht britisch, du bist schwarz. … Schaut euch die scheiß Straßenbahn an, wer weiß ist und wer schwarz. Hier sind nur schwarze und scheiß verbrannte Leute.“

Die Szene wurde mit einem Mobiltelefon gefilmt und am 27. November auf der Video-Plattform Youtube ins Internet gestellt. Seitdem wurde der Film über zwölf Millionen Mal angeschaut, bevor ihn die Nutzerin von der Plattform entfernte. Einen Tag später wurde West verhaftet und dem Croydoner Amtsgericht vorgeführt. Dort entschied man, die Frau nach einer Anhörung zu inhaftieren. Ihr wurde ein „schwerer Fall rassistischer Belästigung“ zur Last gelegt.

Ein konkreter Anlaß für die Tirade ist im Film nicht erkennbar. Der wahrscheinlichste Grund sei daher „schlichte Verzweiflung darüber, ständig von multikultureller Propaganda bombardiert zu werden, während sie sich, anders als die weiße liberale Elite, täglich in Situationen befindet, wo sie im eigenen Land zur ethnischen Minderheit gehört“, analysiert Publizist Robert Henderson in seinem Blog „England calling“ die Szene. Es bestehe für sie keine Möglichkeit, gegen diese „gefühlte Invasion“ zu protestieren, und kein Politiker einer etablierten Partei vertrete ihre Ansichten.

Am 6. Dezember stellte die 34jährige Mutter einen Antrag auf Freilassung unter Kaution, der jedoch abgelehnt wurde. Dies geschehe zur eigenen Sicherheit der Verhafteten, begründete Richter Ian McNeal seine Entscheidung. Tatsächlich wird seit Veröffentlichung des Videos in unzähligen Kommentaren dazu aufgerufen, West zusammenzuschlagen, zu vergewaltigen oder zu ermorden. Im sozialen Netzwerk Facebook gibt es eine Gruppe, die ihre Sterilisation fordert. Selbst der Vorsitzende der Labour-Partei, Ed Miliband, hatte per Twitter seine „Follower“ dazu aufgefordert, Hinweise zu geben, um die Frau zu identifizieren.

Erst am 3. Januar bekommt West wieder eine Chance auf eine Entlassung. Dann wird sie ohne Verurteilung bereits 37 Tage in Schutzhaft verbracht haben – zusammen mit Insassen, die in überdurchschnittlichem Maße ethnischen Minderheiten angehören. Seither macht sich Protest über die Behandlung Wests bemerkbar. Einbrecher erhalten in England normalerweise erst nach dem dritten nachgewiesenen Delikt eine Freiheitsstrafe, erklärt Henderson. Der Direktor der britischen „Libertarian Alliance“, Sean Gabb, ergänzt: „Hätte Emma West ein Kopftuch getragen und über die ‘Kafir’ herumgeschrien, die ihre Brüder und Schwestern im Irak oder Afghanistan ermordeten, hätten die Ordnungshüter sie ignoriert.“ Es könne sehr wohl sein, meint Henderson weiter, daß West auch nach ihrer Freilassung ihre Kinder vorerst nicht wiedersehen wird, da sie sehr wahrscheinlich in Pflege gegeben werden.

Nicht immer handelt die britische Justiz bei rassistischen Übergriffen derart drakonisch wie im Fall Emma West. Kürzlich wurde Rhea Page im englischen Leicester von vier somalischen Frauen nicht nur verbal mit Worten wie „Tötet die weiße Schlampe“ massiv und grundlos angegriffen, sondern auch tätlich mit Schlägen und Tritten, unter anderem gegen den Kopf, während die 22jährige bereits am Boden lag. Für eine derartige Mißhandlung droht in England eine Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsentzug, selbst wenn kein rassistischer Antrieb nachweisbar ist. Der Verteidiger der vier Angeklagten behauptete in der Verhandlung am 6. Dezember, daß seine Mandantinnen, die zur Tatzeit betrunken waren, als Muslime den Umgang mit Alkohol nicht gewohnt sind. Richter Robert Brown hatte ein Einsehen. Da der Freund Pages seine Partnerin mit „unangemessener Gewalt“ vor den Angriffen geschützt habe, so Brown, erhielten die jungen Damen nur sechs Monate auf Bewährung.

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