© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

„Freund“ Deutschlands in der Klemme
Jean-Claude Juncker: Einst sonnte sich der Sprecher der Euro-Gruppe im Erfolg des Euro, nun kämpft er um dessen Überleben und wirkt müde / Ein Portrait
Friedrich-Thorsten Müller

Als Hansdampf in allen Gassen und „Europamacher“ wird Jean-Claude Juncker, der 57jährige Chef der Euro-Gruppe, gerne wahrgenommen. Erst jüngst hat sich der luxemburgische David wieder vollmundig gegen Deutschland mit dem Verweis auf eine inakzeptabel hohe Gesamtstaatsverschuldung in Stellung gebracht, ganz als würde sich die deutsche Lage durch Bürgschaften für südeuropäische Pleitestaaten verbessern.

Es sind diese Querschüsse ohne inhärente Logik zur Untermauerung der europäischen Idee, die manch bitteren Nachgeschmack nach sich ziehen und so sein permanentes Auftreten in der Öffentlichkeit in fahles Licht setzen. Und bei näherem Hinsehen erkennt man, letzteres hat seine Spuren hinterlassen.

Der Eurovisionär ist in den vergangenen Monaten merklich gealtert. Das ist auch nicht weiter überraschend, denn als Vorsitzender des Gremiums zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Euro-Zone steht er wie kein zweiter Europapolitiker im Zentrum des öffentlichen Interesses. Unaufhörlich kämpft er für die „maximale“ Einmischung Brüssels gegen nationale Kleinstaaterei, für Euro-Rettungsschirme und Euro-Bonds, womit in Nordeuropa wenig Freunde zu gewinnen sind. Gleichzeitig erhält er für seinen Druck auf südeuropäische Länder, sich radikale Sparkurse zu verordnen, gar Morddrohungen.

Immer wieder muß in letzter Zeit deshalb auch dementiert werden, daß Jean-Claude Juncker amtsmüde sei und den Vorsitz der Euro-Gruppe noch vor dem regulären Ende der laufenden Amtsperiode Mitte 2012 zur Verfügung stellen werde. Als sicher kann aber gelten, daß er die Funktion nach dem offiziellen Ende seiner Amtszeit im nächsten Jahr nicht mehr ausüben will.

Er möchte sich danach, wie er sagt, „wieder auf sein Amt als luxemburgischer Premierminister konzentrieren“. Dies scheint auch nötig, hatten sich doch nach seiner letzten Rede zur Lage der Nation in Luxemburg 86 Prozent der Bürger bei einer Internet-Umfrage von RTL unzufrieden über seine Wahrnehmung der Luxemburger Probleme geäußert. Etwas anders stellt sich mit einer abweichenden Frage die Lage aus Sicht des Escher Tageblatts dar, das in diesem Sommer aber immer noch einen Popularitätseinbruch um elf auf 77 Prozent Sympathien für Juncker vermeldete.

Dafür sollte nach seinen Vorstellungen zukünftig ein hauptamtlicher Chef-Finanzminister die Euro-Gruppe leiten. Mit einem eigenen Mitarbeiterstab ausgestattet, könnte dieser als ständiger Koordinator und Ansprechpartner für Finanzmärkte und Öffentlichkeit installiert werden. Sollte er sich mit diesem Vorschlag durchsetzen, wäre das für ihn ein versöhnlicher Abgang.

Denn die Entwicklung seiner tatsächlichen Bedeutung steht seit 2009 im Gegensatz zu seiner drastisch steigenden Medienpräsenz. Gerne wäre Jean-Claude Juncker Präsident des Europäischen Rates geworden. Daß es nicht dazu kam, verhinderte vor allem der französische Präsident. Aber auch Angela Merkel verweigerte ihm die Unterstützung.

Noch stärker dürfte ihn aber getroffen haben, daß sich seit Anfang 2010 die beiden wichtigsten Politiker der Euro-Gruppe auf direkte Vier-Augen-Gespräche verständigt haben. Bis dahin war der sowohl in Französisch wie Deutsch verhandlungssichere Juncker, der ja bereits seit 2004 Euro-Gruppen-Vorsitzender ist, zwischen Frankreich und Deutschland ein anerkannter Vermittler.

Ein wichtiger Grund für diesen Bedeutungsverlust ist sicher, daß die zwei großen Nachbarländer Luxemburg, Juncker die Rolle des „ehrlichen Maklers“ seit der Finanzkrise nicht mehr ganz so leicht abnehmen. Luxemburg hat als eines der wichtigsten Finanzzentren Europas ein großes Interesse daran, daß insbesondere Deutschland seine Kreditwürdigkeit kränkelnden Südeuropäern zur Verfügung stellt. Bei einer Staatsverschuldung von lediglich 19,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts würde Luxemburg aus Euro-Bonds resultierende steigende Zinsen für Nordeuropäer auf dem Anleihemarkt kaum spüren.

Der egoistische Einsatz für Luxemburg als „Steueroase“ 2009 noch zu Zeiten der großen Koalition in Deutschland – damals stellte der erzürnte Finanzminister Peer Steinbrück Luxemburg auf eine Stufe mit Burkina Faso – tat hier sein übriges. Juncker konterte historisierend: Luxemburg habe sich „seit dem Kriegsende um ein gutes Verhältnis zu Deutschland bemüht“, doch würden immer wieder „Flächenbrände neu entzündet“. Hilfreich war der Rekurs dennoch nicht, da die europäischen Kritiker in der Sache im Recht waren. Daran ändert auch Junckers tragische Familiengeschichte wenig. Immerhin starben einige seiner Verwandten in deutschen Konzentrationslagern, und sein Vater wurde beim Zwangsdienst als Wehrmachtssoldat schwer verwundet.

Dabei ist es durchaus diese Familiengeschichte und die kollektive Erfahrung der Luxemburger, die ihn für Jahrzehnte zumindest für die Öffentlichkeit zu einem der bekanntesten Europäer gemacht hat.

Als Jean-Claude Juncker 1954 in Redingen geboren wurde, ist die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs noch allgegenwärtig. Daß er dies bis heute auch geschickt instrumentalisiert, um deutsches Entgegenkommen zu erreichen, steht auf einem anderen Blatt: So kann man ihn durchaus in Berlin auch einmal bei einer Zivilcourage-Preisverleihung an „Sitzblockierer gegen Rechts“ antreffen, wo er sich mit Äußerungen zum Holocaust-Mahnmal, das „diesem Land und dieser Stadt gut stehen“ würde, zitieren läßt.

Sein Werdegang als Politiker ist übrigens sehr gradlinig. Früh stand fest, daß er Berufspolitiker werden würde. In eine in der Christlich-Sozialen Volkspartei (CSV) beheimatete Arbeiterfamilie hineingeboren, trat er nach dem Abitur ebenfalls der CSV bei und studierte bis 1979 Rechtswissenschaften an der Universität Straßburg. Er wurde im Februar 1980 vor der Anwaltskammer vereidigt und als Rechtsanwalt zugelassen, übte diesen Beruf aber nie aus. Vielmehr schlug er sogleich den Weg als Berufspolitiker ein und wurde schon 1982 Staatssekretär für Arbeit und soziale Sicherheit.

Seit dieser Zeit ist Jean-Claude Juncker stets mindestens Mitglied der luxemburgischen Abgeordnetenkammer gewesen. Die meiste Zeit war er aber sogar Minister verschiedener luxemburgischer Regierungen. Seit dem 20. Januar 1995 ist er luxemburgischer Premierminister und somit inzwischen Europas dienstältester Regierungschef.

Durch seine Mehrsprachigkeit und seine Tätigkeiten als Finanzminister, sowie die Vertretung Luxemburgs als Gouverneur beim Internationalen Währungfonds, wurde er auf dem internationalen Parkett wahrgenommen. Im Anschluß gestaltete er den Vertrag von Maastricht maßgeblich mit. Höhepunkt seines Wirkens war der „Kompromiß von Dublin“, der 1996 zur Einigung zwischen Deutschland und Frankreich im Stabilitäts- und Wachstumspakt führte und wesentlich ihm zugeschrieben wird.

Vom deutschen Kanzler Helmut Kohl, der auf Juncker bereits 1990 aufmerksam wurde, ist aus dieser Zeit bekannt, daß er diesen für einen „Glücksfall“ hielt. Die ungleiche Männerfreundschaft führte dazu, daß beide jahrelang wöchentlich miteinander telefonierten und Kohl den deutlich Jüngeren gerne für seine Europapolitik mit einspannte, „um den Deutschen über den Euro nationale Alleingänge zuverlässig zu verbauen“.

So erfolgreich Junckers politische Vita als innenpolitisch kaum herausgeforderter allmächtiger „Kaiser von Luxemburg“ (Helmut Schmidt) und Vorzeigeeuropäer unterm Strich erscheinen mag, ist sein Privatleben nicht frei von Tragik. Nach einem Verkehrsunfall vor 20 Jahren schwebte er drei Wochen zwischen Leben und Tod. Als seine größte persönliche Tragödie würde er vermutlich bezeichnen, daß seine seit 1979 bestehende Ehe mit Christiane Frising kinderlos blieb. Legendär ist in diesem Zusammenhang seine Rede Ende Januar 2009 in der luxemburgischen Abgeordnetenkammer, wo er sich unter Tränen offen zu seiner unfreiwilligen Kinderlosigkeit bekannte.

Vermutlich sind es neben den Abgründen des Politbetriebs solche privaten Schicksalsschläge, die den wortgewaltigen und menschlich einnehmenden Europäer auch eine problematische Seite beschert haben.

Im zwischenmenschlichen Kontakt gilt er als „exzessiver Umarmer und Duzer“. Eine gewisse Selbstherrlichkeit kann man auch aus der wiederholten Ignoranz des luxemburgischen Rauchverbots in Gastronomien herauslesen. Und nicht zuletzt wird dem Großoffizier der Französischen Ehrenlegion und Karlspreisträger gerne eine „krankhafte Medaillensucht“ unterstellt, die ihm inzwischen über 40 Ehrungen vor allem aus Deutschland eingetragen hat.

So erhielt der „verläßliche Freund“ Deutschlands (Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Grüne) im April den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg, im Mai den Hanns-Martin-Schleyer-Preis sowie Ende November den rheinland-pfälzischen Landesverdienstorden. Künftig sei „noch mehr Europa angebracht“, damit die EU aufgrund sinkender Bevölkerungszahl nicht an Einfluß in der Welt verliere, erklärte Juncker bei der Preisverleihung sein Credo, verabsäumt es aber in Gesprächen mit dem Generalanzeiger und der Süddeutschen Zeitung nicht, die Deutschen angesichts ihrer Milliardenhaftungen zurechtzustutzen.

Die Debatte um die Zukunft des Euro in der Bundesrepublik sei „störend“, erklärte er, und überhaupt verwundere ihn, daß die Deutschen meinten, als „einzig Tugendhafte immer für die anderen zu zahlen. So ist es nicht.“ Europa heiße eben auch teilen.

 

Euro-Gruppe

Ins Leben gerufen wurde die Euro-Gruppe im Jahr 1998. Als informelles Gremium der EU diente sie der besseren Koordinierung der Währungspolitik im Zuge der europäischen Währungsunion. An den monatlichen Treffen nehmen die jeweiligen Finanzminister der Eurostaaten sowie der EU-Wirtschaftskommissar und der Chef der Europäischen Zentralbank teil. Bis Ende 2004 wechselte der Vorsitz halbjährlich unter den Ministern. Dann wählten sie den luxemburgischen Ministerpräsidenten und Finanzminister Jean-Claude Juncker für zwei Jahre zum Sprecher. Obwohl er nach zwei Amtszeiten nicht mehr hätte kandidieren dürfen, wurde Juncker 2008 und 2010 einstimmig für den ungeliebten Posten wiedergewählt. Immer darum bemüht, mehr Einfluß – es gibt kein ständiges Sekretariat – zu gewinnen, stieß der Luxemburger jedoch in Paris und Berlin auf Widerstand.

Foto: Ein nachdenklicher „Mister Euro“ Jean-Claude Juncker: Am Ende der Fahnenstange angelangt?

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