© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Matthäus steht meist im Schatten. Dabei war er womöglich Augenzeuge
Der Künder
Karlheinz Weissmann

Matthäus steht zu Weihnachten im Schatten des Lukas. Das geht so weit, daß selbst die entscheidenden Elemente „seiner“ Weihnachtsgeschichte – der Auftritt der Weisen aus dem Morgenland, die Boshaftigkeit des Herodes, der Kindermord in Bethlehem, die Flucht nach Ägypten – der lukanischen zugeschlagen werden. Die Zurücksetzung hat mit der größeren Ausführlichkeit und Farbigkeit des Lukas zu tun, aber in der Sache selbst keinen Grund. Zumal das Evangelium des Matthäus als erstes im Neuen Testament steht. Ein Vorrang, der Tatsache geschuldet, daß es traditionell als das älteste gilt, verfaßt von einem Augenzeugen, jenem Mann, den Jesus sah „am Zoll sitzen, der hieß Matthäus, und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.“ (Matthäus 9.9)

Diese knappe Berufungsgeschichte überliefert allerdings nur Matthäus selbst, und auch sonst bleibt der Apostel – unsere Zeichnung zeigt ihn nach einem Gemälde Rembrandts von 1661 – eine blasse Figur. Selbst die altkirchliche Überlieferung weiß wenig über ihn zu sagen; die Vorstellung, er habe in Äthiopien Mission getrieben, findet sich nur in nachbiblischen Legenden.

Zuletzt spricht wenig für die Identifizierung des Evangelisten mit dem Jünger. Viel dagegen für die Annahme, daß Matthäus zur ersten Generation der „Judenchristen“ gehörte, jenen also, die die jüdische Gemeinschaft verließen und sich dem neuen Glauben anschlossen. Sie hatten selbstverständlich ihre Traditionen, die sich oft mit denen der „Heidenchristen“, also derjenigen, die von Herkunft Nichtjuden waren, stießen.

Im Fall des Matthäus dürfte das Anstoßnehmen erheblich gewesen sein, vielleicht – so die Vermutung mancher Forscher – war er gerade kein Zöllner und Sünder, sondern Pharisäer, das heißt einer von den strengen Frommen. Das Evangelium, das Matthäus verfaßt hat, ist jedenfalls durchsetzt von Bezugnahmen auf das Alte Testament, dem Bemühen, den Christen die „bessere Gerechtigkeit“ zuzuschreiben – eigentlich: das wahre Verständnis der Thora –, den heftigen Strafandrohungen im Hinblick auf das Endgericht und der Reflexion der Frage, wie die Vorhersagen der Propheten in Jesus erfüllt wurden.

Aus dieser Theologie des Matthäus erklärt sich auch die besondere Gestalt seines Weihnachtsevangeliums. Mit Lukas gemeinsam hat er die Vorstellung von der Jungfrauengeburt, aber alles beginnt mit dem Satz: „Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“ (Matthäus 1.1) Für den gewesenen Juden Matthäus ist nicht nur die Abkunft vom Stammvater Israels wichtig und die Zugehörigkeit zur Dynastie der Davididen, um den Anspruch auf die Messianität Jesu zu begründen, sondern auch die Parallelität zwischen Mose und Jesus (Kindermord, Aufenthalt in Ägypten), ohne daß er Zweifel daran ließe, daß hier mehr ist als Mose.

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