© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Vorsitzender auf Abruf
FDP: Um Parteichef Philipp Rösler wird es einsam
Michael Martin

Wer meinte, die FDP könne tiefer nicht mehr sinken, wurde vergangene Woche eines Besseren belehrt. Während die Parteibasis mit Spannung das Ergebnis der Mitgliederbefragung zum Euro-Rettungsschirm erwartete, überboten sich Funktionäre auf Bundes- und Landesebene an peinlichen Auftritten.

Zuerst erklärten Parteichef Philipp Rösler und sein Generalsekretär Christian Lindner den Aufstand der „Euro-Rebellen“ um den Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler frühzeitig für gescheitert. Eine voreilige Einschätzung, denn letztlich verfehlte die Beteiligung mit 31,6 Prozent nur knapp das erforderliche Quorum von einem Drittel. Von den 20.364 abgegeben Stimmen entfielen rund 54 Prozent auf den Antrag des Bundesvorstands, 44 Prozent auf den Antrag von Frank Schäffler und seinen Mitstreitern.

Während Rösler diesen Pyrrhussieg als „klaren Erfolg für seinen Kurs feierte“, bleiben an der Basis offene Fragen. Warum wurde aus dem Umfeld des Generalsekretärs Lindner frühzeitig kolportiert, rund 3.000 Stimmen seien ungültig? Am Ende stellten sich nur 260 Wahlzettel als unbrauchbar heraus. Aber: Die Süddeutsche Zeitung berichtet davon, daß weitere 2.400 Wahlzettel gar nicht mitgezählt wurden. Sie seien unvollständig eingesandt worden.

Und die spannendste Frage: Warum warf Lindner seinen Job als Generalsekretär Mitte der vergangenen Woche plötzlich hin? Übernahm Lindner die Verantwortung für das Organisationschaos beim Mitgliederentscheid? Machte er sich aus dem Staub, weil er nicht mit dem sturmreif geschossenen Parteivorsitzenden Rösler auf der FDP-Titanic versinken wollte? Erhellendes gab es wenig. Rösler sei gestärkt, heißt es nun aus der Partei. Doch dies darf bezweifelt werden. Spätestens nach der Wahl in Schleswig-Holstein im Frühjahr werde sich die Zukunft des Wirtschaftsministers entscheiden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete die Liberalen gar als Splitterpartei: „Das Personal ist verbraucht: Die Uralten (Generation Genscher) und die ziemlich Alten (Generation Westerwelle) sind entmachtet, die Jungen (Generation Rösler) sind gefühlte Ewigkeitsjahre an der Macht, könnten es aber trotzdem nicht, und die noch Jüngeren (Generation Justin Bieber) sind aus Versehen bei den Piraten gelandet.“

Es gibt wenig Anlaß zur Hoffnung für die Liberalen. An der Basis ist das Rumoren laut und deutlich, ganze Ortsverbände brechen zusammen, eine Austrittswelle hat eingesetzt. Rösler versuchte Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, ernannte flugs den Bundestagsabgeordneten Patrick Döring zum neuen Generalsekretär. Dumm nur, daß gegen ihn ein Strafverfahren wegen Unfallflucht eingeleitet werden soll. In einem Brief an die Mitglieder versuchte Rösler am Wochenende die Flucht nach vorne. In dem Rundschreiben bat er die Mitglieder schon fast flehend, auf den Neujahrsempfängen der Partei „das Gute der FDP zu betonen“. Das muß man allerdings in diesen Tagen erst einmal finden. Die Umfragewerte der Partei sind seit Monaten sowohl im Bund als auch in den Ländern unter der Fünf-Prozent-Hürde. Kritiker werfen der Partei vor, es gehe ihr nur noch um den Machterhalt. So habe sie es versäumt, sich als Euro-kritische Partei zu positionieren. Andere monieren, die Parteiführung sei schlicht und ergreifend zu unerfahren. In den Landesverbänden wächst daher der Wunsch, Fraktionschef Rainer Brüderle möge auch den Bundesvorsitz übernehmen. Auch eine Rückkehr von Außenminister Guido Westerwelle als Parteichef scheint nicht mehr ausgeschlossen.

Ein Meisterstück der politischen Selbstzerfleischung liefert in diesen Tagen die Landtagsfraktion im Saarland. Seit 2009 regiert die FDP hier mit CDU und Grünen. Und von Beginn an lieferten die Liberalen ein Sammelsurium an Peinlichkeiten. Nachdem der Landeschef Christoph Hartmann und Fraktionschef Horst Hinschberger vor rund einem Jahr ihre Ämter aufgeben mußten – beide spielten in einer Affäre um eine parteinahe Stiftung eine dubiose Rolle –, gelangte mit dem erst 30 Jahre alten Christian Schmitt ein politischer Quereinsteiger an die Spitze der Fraktion. Er galt vielen als Hoffnungsträger. Schmitt, Juniorchef in einem mittelständischen Betrieb, verkörperte Seriosität und Bodenständigkeit. An denen in der Saar-FDP zum Tagesprogramm gehörenden Intrigen beteiligte er sich nicht.

Schon seit Wochen galt er als amtsmüde, nur zwei Stunden nach Christian Lindner warf auch Schmitt das Handtuch. Seine Parteifreunde überraschte er mit dem Schritt, sich unmittelbar danach der CDU-Fraktion anzuschließen. Die Jamaika-Koalition bleibt damit zumindest zahlenmäßig stabil, doch die FDP zerfällt zunehmend. Landeschef Oliver Luksic forderte Schmitt auf, sein Mandat zurückzugeben. Dies kann er nicht wirklich ernst gemeint haben. Nachrücker Schmitts wäre der Kommunalpolitiker Michael Luckas. Gegen diesen läuft ein Parteiausschlußverfahren, da er in seinem Gemeinderat eine gemeinsame Fraktion mit einem Vertreter der Linkspartei gebildet hatte. Und als wäre das alles nicht genug, geriet Schmitts designierter Nachfolger Christoph Kühn umgehend in den Fokus einer Dienstwagen-Affäre. Sollte auch Kühn stolpern, wäre Jamaika am Ende. Und die FDP auf Jahre diskreditiert.

Foto: FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, Parteivorsitzender Philipp Rösler: Sehnsucht nach Seriosität

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