© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Milliardenüberschuß bei Kassen und Gesundheitsfonds
Teure Demenz
Jens Jessen

Das deutsche Gesundheitswesen zeigt sich derzeit quicklebendig: Über 3,9 Milliarden Euro Überschuß für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), der Gesundheitsfonds badet in einem Überschuß von 4,4 Milliarden und einer Liquiditätsreserve von 8,6 Milliarden. Dabei hatten Politiker und Kassen die Unbezahlbarkeit der Gesundheitsversorgung prognostiziert. Die steigende Lebenserwartung und die damit einhergehende Zunahme chronischer Krankheiten würden die GKV-Ausgaben hochschaukeln. Der Versorgungsreport des Wissenschaftlichen Instituts der AOK rudert nun zurück. Die demographisch bedingten Ausgaben sollen bis 2050 jährlich nur um 0,4 Prozent steigen.

Daß sich die Zahl der Demenzkranken auf über drei Millionen erhöht, läßt die GKV aber unverständlicherweise kalt. Doch die Prognosen der Bloomberg School (JHSPH) in Baltimore sollten nicht nur dem Gesundheitsminister den Angstschweiß auf die Stirn treiben. In 33 Jahren werden vermutlich mehr als 106 Millionen Menschen weltweit an Morbus Alzheimer leiden – von denen rund 43 Prozent auf eine intensive Pflege und Betreuung angewiesen sein dürften. Der Gesundheitsökonom Peter Oberender hat die Brisanz bereits 2010 aufgezeigt. Schon heute leiden etwa 650.000 Menschen in Deutschland an Alzheimer.

Weitaus weniger bekannt ist unter Ärzten, welche sozioökonomischen Folgen daraus resultieren. So kommen pro Alzheimer-Patient und Jahr insgesamt 43.800 Euro an volkswirtschaftlichen Kosten zustande. Mit nahezu 30.000 Euro wird die Familie des Betroffenen belastet, sie trägt den Großteil der anfallenden Betreuungskosten. An zweiter Stelle steht die gesetzliche Pflegeversicherung (GPV), denn 12.965 Euro stammen aus diesem Topf. Die GKV, so rechnet der Bayreuther Professor vor, beteiligt sich nur mit 1.095 Euro je Alzheimer-Patient und bildet mit 2,5 Prozent das Schlußlicht der drei Finanzierungsquellen.

Wenn die Trennung von Pflege- und Krankenkasse nicht aufgehoben wird, kann die GKV aufatmen. Die Demenzkranken sind der Pflege überlassen und belasten nur in geringem Umfang die GKV. Dieser Zustand wird jedoch nicht aufrechterhalten werden können. In Deutschland betragen die direkten Gesamtkosten bei neurodegenerativen Erkrankungen 18 Milliarden Euro, wobei die medizinische Versorgung inklusive Medikamente lediglich zehn Prozent zu dieser Summe ausmacht.

Bezieht man auch die Pflegekosten (direkt und indirekt) ein, ergibt sich schon heute eine Summe von 40 Milliarden Euro pro Jahr. Die aktuellen positiven Finanzzahlen mögen der GKV gefallen, da sie bisher nur einen minimalen Beitrag für die Alzheimer-Patientenbetreuung leistet. Wenn die unsinnige Trennung von GKV und GPV aber beseitigt würde, sieht das ganz anders aus. Das bittere Ende für die GKV wäre unausweichlich.

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