© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Der Anarch für die Bahnhofsbuchhandlung
Ernst Jünger: Eine neue Rowohlt-Monographie weist Merkwürdigkeiten auf
Sebastian Hennig

Für den, der sich vor dem Bad in den Quellen scheut, also für die Warmduscher unter den allgemeingebildeten Ständen, hält der Rowohlt Verlag seit je seine Taschenbuchreihe mit Monographien bereit. Rowohlts Rotations-Romane (rororo) bezeichneten in der Nachkriegszeit im Tageszeitungsformat auf Holzschliffpapier gedruckten wohlfeilen Lesestoff. Mit den Zeiten ändern sich die Umstände, und mittlerweile lächeln die Dichter und Lenker im farbigen Abbild vom Titel der Taschenbuchreihe.

So nun auch Ernst Jünger auf einer Fotografie von 1978. In dieser Zeit hatte er vorübergehend ein mildes Altersgesicht, dem sich erst später wieder schärfere Züge einkerbten. „Eine Hand, die in Ehren die Waffe hält, eine Hand, die die Feder in Ehren hält – sie ist stärker als alle Atombomben, als jede Rotationspresse“, bemerkte er 1956 in seiner Dankesrede für den Literaturpreis der Stadt Bremen.

Wenige Jahre darauf erschien die erste rororo-Monographie über Jünger. Verfasser war Karl Otto Paetel ein Gefährte aus stürmischen Zeiten. Das Buch ist ein Zeugnis der vorübergehenden Entkrampfung im öffentlichen Umgang mit dem Autor und gibt die ganze Bremer Rede wieder. Ausführlich wird die von Jünger und Eliade herausgegebene Publikation Antaios vorgestellt. Die Hoffnungen der frühen sechziger Jahre gingen nicht in Erfüllung. Die „Zeitschrift für eine freie Welt“ konnte gerade noch bis 1971 gegen den Wind des Zeitgeistes kreuzen.

Ganz als Kind dieses Geistes tritt das neue Bändchen des promovierten Romanisten Thomas Amos hervor (JF 42/11). Es beginnt mit einer „Causa Jünger“ am Beispiel der Verleihung des Goethe-Preises 1982. Für den informierten Leser ist die Versuchung groß, die Lektüre hier bereits abzubrechen, wenn da nicht die Neugierde darauf wäre, wie sich der Autor an den schwierigen Stellen verhält und was die Allgemeinheit mit dieser wirksamen Publikation für ein Bild vermittelt bekommt. Worauf dürfen sich die bekennenden Jünger-Leser im öffentlichen Umgang mit ihrem Autor in nächster Zeit also einstellen?

Es zeigt sich im Fortgang, daß Amos, bei einigen unüberwindlichen Vorbehalten, keineswegs nur als Verstärker der linksintellektuellen Ressentiments gegen Jünger wirkt. Selbst seine ständige Herabsetzung von Jüngers Prosa gegenüber dem Genie Thomas Manns wirkt mit der Zeit so putzig, daß man sie nicht mehr ganz ernst nehmen kann. Gönnerhaft bemerkt Amos: „Von einigem Mut zeugt es, daß der achtzehnjährige Jünger schließlich den Ausbruch wagt.“

Das ist die unvermeidliche Hintergrundstrahlung, auf der sich eine sonst ganz passable Darstellung entfaltet. Denn weder erliegt Amos ganz der Versuchung, Jünger zum Surrealisten oder protestantischen Mystiker zu stilisieren, noch entschärft er dessen unmißverständliche Distanz zu den modernen Strömungen, indem er einen Autor der Moderne aus ihm macht. Von alledem liegt etwas im Buch, aber es wird zurückhaltend angewendet. Eine differenzierte Einschätzung der einzelnen Aspekte des Werkes findet statt. „Der Arbeiter“ wird ausführlich erwähnt. Die späten Tagebücher finden die verdiente Würdigung.

Für jene, die Jünger nicht direkt berühren wollen, liegen Handschuhe und Zangen bereit. Der unbefangene Leser wird letztlich vor allem die Lust verspüren, Jünger in seinem eigenen Werk zu begegnen. Ein Jahrhundertbuch wie „In Stahlgewittern“ noch nicht gelesen zu haben, wird nach der Lektüre des Kapitels „Chronist des Großen Krieges“ gewiß von einigen Lesern als ein korrigierbares Defizit empfunden werden. Die Zitate, sowohl aus den Werken als auch der Zeitzeugen, sind gut gewählt. So daß Amos es zuläßt, daß seine Deutungen durch den Quellentext korrigiert werden.

Ein Fehlgriff ist es bestimmt, Jüngers Werke als „semidokumentarisch“ abzuqualifizieren. In der französischen Pleiade-Ausgabe sind eben nicht „Das abenteuerliche Herz“ oder „Auf den Marmorklippen“ abgedruckt, sondern gerade die Kriegstagebücher. Die Schilderung verläuft weniger chronologisch als entlang des Werkes. So findet „Die Zwille“ neben „Afrikanische Spiele“ Beachtung.

Als Beispiel für die ambivalente Betrachtungsweise des Biographen soll hier seine Einschätzung des Romans „Die Zwille“ stehen: Amos schreibt zuerst etwas irritierend über ein Werk, das nach einem disparaten Intermezzo eine neue Qualität in Jüngers Autorschaft einläutet: „Der 1973 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorab gedruckte Roman wirkt, verglichen mit der damaligen, gesellschaftskritischen deutschsprachigen Literatur, anachronistisch und bieder, wenn man nicht gar eine gezielte Provokation des Autors darin sehen möchte.“ Um dann zu denken zu geben, daß sich darin Jüngers Distanz zum „herrschenden Zeitgeist“ kund gebe und letztlich festzustellen: „Um so innovativer ist der untergründige metafiktionale Anspruch des Romans …“

Einige Male scheint es, als würde hier ein kluger Therapeut mit seinen Lesern wie mit Patienten reden, die er nicht durch unverstellte Konfrontation mit der Wahrheit in neue Tobsuchtsanfälle stürzen möchte. Milde schwächt er das Jünger-Zitat ab: „Warum sollte ich mich ‘zur Demokratie bekennen’ und gerade heute, wo ich sie täglich beobachte …“. indem er nahelegt, es wäre mehr „Apercu denn echte Überzeugung“. So seltsam das Bändchen auch anhebt, so akzeptabel ist es doch im Ganzen.

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