© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Wie christliche Feste sinnentleert und umgedeutet werden
Banalisierung des Heiligen
von Georg Alois Oblinger

Was ist wichtiger – die Verpackung oder der Inhalt? Diese Frage könnte sich dem Beobachter der deutschen Feiertagskultur aufdrängen. Da gibt es sehr viel „Drumherum“, sehr viel Verpackung, sehr viel Brauchtum. Ist da überhaupt noch ein Inhalt erkennbar? Wird nicht vielerorts der Inhalt durch ein allzu üppiges Brauchtum verdeckt oder in einer zunehmend säkularen Gesellschaft auf dieses reduziert?

Im April 2011 warb die Thalia-Buchhandlung in Bonn in ihrem Schaufenster mit dem Slogan „Die schönsten Geschenke fürs Hasenfest“. Aufgrund massiver christlicher Proteste mußte die Schaufensterdekoration zwar entfernt werden. Doch ist das Fest der Auferstehung Jesu Christi nicht längst zu einem bunten Frühlingsfest mit Hasen und Eiern uminterpretiert worden? Ist Weihnachten für viele Menschen nicht zu einem reinen Familien- oder Geschenkfest mutiert? Die Krippe mit dem Mensch gewordenen Gottessohn wurde ersetzt durch einen Mann mit weißem Rauschebart und roter Zipfelmütze, der auf einem von Rentieren gezogenen Schlitten durch eine Schneelandschaft fährt. Die rote Zipfelmütze ist mittlerweile übrigens nicht nur zur Pflichtbekleidung auf sogenannten Weihnachtsmärkten geworden. Gelegentlich ist sie auch als Kopfbedeckung erotisch gekleideter weiblicher Schaufensterpuppen anzutreffen.

Besonders schwer hat es heute das Pfingstfest. Seine Thematik, die Herabkunft des Heiligen Geistes, ist für Fernstehende allzu transzendental und betont zu sehr den Bereich des Himmlischen. Noch dazu liegt der Termin im Frühsommer sehr günstig für Urlaubsreisen, die hier oftmals deutlich günstiger sind als in der Hauptreisezeit im Hochsommer. Laut einer demoskopischen Erhebung wissen drei Viertel aller Deutschen überhaupt nicht, was an Pfingsten gefeiert wird. Bereits 2003 charakterisierte Gernot Facius Pfingsten in der Welt als das „fremde Fest“. Hier ist besonders deutlich erkennbar: Wo die Menschen nicht mehr über den Inhalt eines christlichen Festes Bescheid wissen, bleiben die Gotteshäuser leer und der Festtag wird zum inhaltsleeren arbeitsfreien Tag, der für Ausflüge oder sonstige Freizeitaktivitäten genutzt wird.

Völlig verlorengegangen sind die vorbereitenden Zeiten und Bußzeiten vor den großen Feiertagen. Weihnachts- und Osterdekorationen sind schon zu Beginn der Advents- beziehungsweise Fastenzeit anzutreffen, um dann am Festtag selbst entsorgt zu werden. Denn dann ist für viele Menschen das Fest bereits vorbei. Wo Feiertage auf Geschenk-Austausch und Dekoration reduziert und nicht mehr als Begegnung mit Gott erlebt werden, ist der Wegfall einer notwendigen inneren Vorbereitung dann die logische Konsequenz.

Dort, wo staatliche Gesetze noch auf den inneren Gehalt christlicher Festtage hinweisen, werden sie von einer weitgehend entchristlichten Gesellschaft immer mehr in Frage gestellt. Dies gilt beispielsweise für das Musik- und Tanzverbot am Karfreitag. Sven Lehmann, grüner Landesvorsitzender in Nord-rhein-Westfalen, forderte kürzlich dessen Aufhebung. Seine Begründung lautete: „Es kann nicht sein, daß die Minderheit der Leute, die christlichen Glauben aktiv praktiziert, der Mehrheit vorschreibt, wie sie den Tag zu verbringen hat und ihr durch das Verbot bestimmter Veranstaltungen den Abend vermiest.“

Die Spaßgesellschaft will die christlichen Feiertage beibehalten, sie allerdings von ihrem ursprünglichen Inhalt lösen. Als sinnentleerte Festtage werden sie kaum lange bestehen können. Dies scheint vielmehr ein notwendiges Übergangsstadium zu sein, bevor man ihnen einen neuen Inhalt überstülpen kann. Gerade über die Jugendkultur kann eine solche Umdeutung leicht erreicht werden. Für große Teile der Gesellschaft ist dies schon erreicht beim Doppelfest Allerheiligen und Allerseelen.

Bemerkenswerterweise flieht die Spaßgesellschaft als erstes vor einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Frage: Was kommt nach dem Tod? Anstelle des bewußten Nachdenkens und des Glaubensbekenntnisses ist bloßer Klamauk getreten, der heute in Halloween-Partys und begleitendem Brauchtum seinen Ausdruck findet. Es fällt auf, daß hier keinerlei Berührungsängste mit vorchristlichen Religionen bestehen. Die Strategie christlicher Missionare wird hier in umgekehrter Richtung angewandt. Diese verstanden es meisterhaft, heidnische Feste zu übernehmen und mit christlichem Inhalt zu füllen. Heute werden christliche Feiertage in unserer Gesellschaft ausgehöhlt oder mit neuem Inhalt gefüllt, der dann sogar ein heidnischer sein kann.

Eine falsche Akzentsetzung in der Verkündigung kann eine solche Umdeutung sehr begünstigen. Wo die Weihnachtsbotschaft beispielsweise auf die Formel „Mach es wie Gott – werde Mensch“ verkürzt wird, biedert man sich an den Zeitgeist markiger Werbesprüche an, verkündigt aber keineswegs christliche Glaubensgeheimnisse.

Auch an Ostern ist es zu wenig, nur davon zu reden, daß die „Sache Jesu“ weitergehen muß. Wo das leere Grab und die Erscheinungen des Auferstandenen entweder ausgeblendet oder gar in Frage gestellt werden, macht sich der Prediger mitschuldig an der Verdunstung des Glaubens und an der Sinnentleerung kirchlicher Feiertage, die stets in der Verharmlosung der christlichen Botschaft ihren Anfang nimmt.

Der Münchener Kardinal Reinhard Marx hat bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe die Frage gestellt: „Kann es sein, daß ein Teil der Krise unseres kirchlichen Lebens auch darin besteht, daß unsere Rede von Gott und unsere Rede zu Gott manchmal zu verharmlosend, zu kitschig, zu banal, zu kleinkariert, zu sentimental und gedanklich anspruchslos war und ist?“ Diese Frage sollte uns zu ernsthafter Gewissenserforschung dienen.

Noch desaströser sieht es in der evangelischen Kirche aus, wobei jedoch erkennbar ist, daß sich die katholische Kirche immer mehr in dieselbe Richtung entwickelt. Treffend beschrieb der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer die Lage nach dem Evangelischen Kirchentag im Juni 2011: „Die evangelische Kirche scheint fest entschlossen, die Verharmlosung der Religion (...) weiterzutreiben“, schreibt Fleischhauer. Die Erodierung des Glaubens sei eine Folge der „Verschiebung des Erlösungshorizonts, der sich ganz aufs Heute richtet“. Die Folgen der Selbstsäkularisierung seien heute an vielen Gottesdiensten ablesbar. Fleischauer: „Kaum ein Pastor traut sich noch, ungeniert von Himmel und Hölle zu sprechen, und wenn, dann ist das nur allegorisch gemeint, wie er sich hinzuzufügen beeilt. Statt dessen findet sich in jeder guten Sonntagspredigt die Litanei über den Kriegstreiber Amerika, die Schrecken der Globalisierung, das Elend der Hartz-IV-Empfänger.“

Das Weihnachtsfest ist vielleicht das Fest, das am meisten verkitscht und vermarktet wird. Zum Weihnachtsfest als Fest der Menschwerdung Gottes haben sich in langer Tradition die meisten Bräuche entwickelt. Jeder Brauch verweist auf das Zentrum des Glaubensgeheimnisses. Dieses gilt es wieder freizulegen. Und wenn die jeweiligen Bräuche in allen Lebensbereichen auch in der Öffentlichkeit anzutreffen sind, dann ist dies eine große Chance. Für die Christen gilt schließlich der Missionsbefehl, das Evangelium in die ganze Welt hinauszutragen. Wo Bräuche und Traditionen geschleift werden, geht immer auch eine Möglichkeit verloren, die Botschaft des Glaubens auch in einer manchmal glaubensfeindlichen Umwelt präsent zu halten und die Menschen mit dem christlichen Glauben zu konfrontieren. Dazu müssen die alten Bräuche allerdings nicht nur gepflegt, sondern auch erklärt werden.

Durch das Denken von Karl Rahner (1904–1984) wurde in der Theologie die sogenannte „anthropologische Wende“ eingeleitet. Er wollte die damalige Theologie, die zum intellektuellen Gedankenspiel zu erstarren drohte, auf den Menschen hin öffnen und die Bedeutung der Heilsgeheimnisse für unser konkretes Leben stärker betonen. Heute besteht eindeutig die gegenteilige Gefahr: daß nämlich der Mensch in seinem Denken nur noch um sich selbst kreist und schließlich sich selbst feiert. Nicht der Mensch, sondern der dreieinige Gott ist aus dem Blick geraten.

Das Kirchenjahr – auch liturgisches Jahr genannt – ist „das feiernde Gedächtnis der Heilstaten Gottes in Jesus Christus im Ablauf eines Jahreskreises“ (Adolf Adam). Die Feier des Kirchenjahres muß wieder zum Ausdruck einer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus werden. Die zahlreichen Bräuche bieten einen Anknüpfungspunkt, um mit Nichtchristen über die zentralen Glaubensgeheimnisse ins Gespräch zu kommen. Dabei muß dann allerdings der jeweilige Kern freigelegt werden. Gerade hierbei wird deutlich, daß das Heilsangebot Gottes alle Menschen und Zeiten umfaßt, also universal ist. Der christliche Verkündigungsauftrag erstreckt sich daher nicht nur auf die Bischöfe, Priester und Religionslehrer, sondern auf die gesamte Kirche als Volk Gottes.

Alle sind aufgerufen, den christlichen Glauben an Kinder und Enkel, aber auch an Nachbarn und andere Menschen in der Gesellschaft weiterzugeben. Dies geschieht nicht nur durch Worte, sondern ebenso durch das Feiern der Glaubensgeheimnisse im kirchlichen Gottesdienst sowie durch die Pflege christlichen Brauchtums, die zwischen beiden die Brücke darstellt.

Die Feier eines bestimmten Glaubensgeheimnisses ist nicht nur ein dankendes Rückwärtsschauen. Sie hat auch eine Bedeutung für jeden Christen in der Gegenwart heute. Denn indem er sich seiner Glaubensauffassungen im Gottesdienst oder auch in kulturellen Bräuchen vergegenwärtigt, rückt er näher an Gott. Sein Glaube, der in dieser Welt grundsätzlich gefährdet ist, wird gestärkt.

Schließlich hat das Kirchenjahr darüber hinaus noch eine eschatologische Dimension. Jedes kirchliche Fest ist ein Schauen in die Zukunft. Christen antizipieren die Feier ohne Ende, die anbrechen wird, sobald der Herr wiederkommt und sein Heil in seiner ganzen Fülle verschenken wird. Feiern ist also immer auch ein Ausschauhalten nach dem wiederkehrenden Christus und daher eine persönliche Vorbereitung auf diesen Jüngsten Tag.

In einer Zeit fortschreitender Säkularisierung und weitverbreiteter Ignoranz gegenüber den christlichen Glaubensinhalten haben alle, die noch am kirchlichen Leben teilnehmen, die dringende Verpflichtung, durch die Feier des Kirchenjahres sich Christus selbst inniger zu verbinden und sich mit den jeweiligen Glaubensinhalten vertraut zu machen. Nur so können kirchliche Feiertage wieder das werden, was sie einmal waren: wichtige Meilensteine einer persönlichen Christus-Beziehung und daher eine Quelle der Liebe und der Hoffnung für das Leben.

„Halte Ordnung, und die Ordnung wird dich erhalten.“ Das Wort des Kirchenvaters Thomas von Aquin läßt sich auch sehr gut auf das Kirchenjahr beziehen. Das Kirchenjahr verleiht den Mysterien des Glaubens eine feste Ordnung. Wer es in rechter Weise mitfeiert, in dessen Leben wird eine Ordnung einziehen, die trägt. Statt einer Banalisierung des Heiligen geschieht dann eine Heiligung des Alltags.

 

Georg Alois Oblinger, Jahrgang 1967, ist tätig als Publizist, Religionslehrer und Pfarrer in der Diözese Augsburg. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über religiöse Schriftsteller („Das Verstummen christlicher Dichter“, JF 33/10).

Foto: Religiöse Verkitschung: Das Krippenfest entwickelt sich immer stärker zu einem weltlichen Konsum- und Familienfest

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