© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Heimatschutz jenseits einer Terrorzelle
Ernst Rudorff war der Begründer des „Deutschen Bundes Heimatschutz“, eines Vorläufers unserer heutigen Natur- und Denkmalschutzbewegung
Hans-Joachim von Leesen

Mit der Industriellen Revolution, vor etwa 150 Jahren veränderte sich das Gesicht Deutschlands. Städte wuchsen ungeregelt, Industrieanlagen entstanden und damit stieg auch die Belastung der Umwelt durch Rauch, schädliche Abgase und durch Dreck und die Vergiftung der Flüsse durch Abwässer. Die Gesellschaft nahm arglos die Belastungen in Kauf. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber wuchs die Kritik an der immer materialistischer werdenden Kultur, am Fortschrittsglauben, an der Technikbegeisterung. Preußische Sozialkonservative fürchteten die Zerstörung des Staates durch ausufernden Kapitalismus und verlangten soziale Reformen. Literaten übten scharfe Kritik an der Oberflächlichkeit des in Deutschland herrschenden Lebensgefühls der bürgerlichen Welt.

Für eine dieser Reformbestrebungen steht Ernst Rudorff. Der Professor an der königlichen Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg, geboren am 18. Januar 1840 in Berlin, veröffentlichte im 45. Band der Preußischen Jahrbücher, herausgegeben von Heinrich von Treitschke, 1880 einen Aufsatz „Über das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur“. Er sorgte sich darum, daß die ursprünglichen Beziehungen der Menschen zur Natur zerstört werden.

Die Ursachen sieht er in der gedankenlosen Zerstörung der Natur und Landschaft „allein aus praktischen Gründen“, so daß „das bunte, anmuthige Land zu einem möglichst kahlen, glatt geschorenen, regelmäßig geviertheilten Landkartenschema umgearbeitet wird. (...) Ein einseithiges Hervorkehren der materiellen Gesichtspunkte, ein völliges Ignorieren der idealen ist längst in der Behandlung aller hierher gehörenden Fragen an der Tagesordnung.“ Er fordert deshalb: „Dieser Einseitigkeit müßte endlich ein Ende gemacht werden.“

Auch die fortschreitende Zerstörung historischer Baudenkmäler findet seine Kritik. Er weist darauf hin, wie zur selben Zeit, in der die Natur vereinheitlicht wird, die regionalen deutschen Dialekte, Brauchtum wie Trachten, regionales Liedgut wie Volkslieder, kurz jede Form der regionalen Kultur eingeebnet und vereinheitlicht werden.

So beklagt er die drohende monotone „eine Welt“, wenn man fortfährt, alle nationalen Eigenarten von Natur, Architektur, Denkmälern, Sitten und Gebräuchen einander anzugleichen, um der augenblicklichen wirtschaftlichen Vorteile und des technischen Fortschritts willen. „Das Rennen und Hasten nach Wohlleben, die ganze Phrase der zivilisirten Gesellschaft in Tracht und Gewohnheiten ist dieselbe diesseits und jenseits des Ozeans. Wenn es weiter nichts mehr gibt auf der Welt als das, so ist die Frage erlaubt, warum man sich überhaupt noch bemüht, die Barriere aufrecht zu erhalten, die ein Staat dem anderen gegenüber errichtet. Dann ist doch das Klügste, die ungeheuere Langeweile des Einerlei mit Einführung des Volapük (Einheitssprache) als Weltsprache zu besiegeln.“

Rudorff fand eine wachsende Zahl von Fürsprechern, so daß er 1903 den „Aufruf zur Gründung eines Bundes Heimatschutz“ veröffentlichte. Etwa 700 Personen, überwiegend dem Bildungsbürgertum entstammend, unterzeichneten den Gründungsakt und führten als Arbeitsfelder auf: 1) Denkmalpflege; 2) Pflege der überlieferten ländlichen und bürgerlichen Bauweise; 3) Schutz der landschaftlichen Natur einschließlich der Ruinen (Denkmäler); 4) Rettung der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt sowie der geologischen Eigentümlichkeiten; 5) Volkskunst auf dem Gebiete der beweglichen Gegenstände; 6) Sitten, Gebräuche, Feste und Trachten.

Am 30. März 1904 wurde in Dresden der „Bund Heimatschutz“ gegründet, dem in den folgenden Jahren rasch in den Ländern und Provinzen Deutschlands regionale Heimatschutzverbände folgten. Sie entwickelten als Vereinigungen der konservativen Kulturkritik eine rege Tätigkeit vor allem auf den Gebieten des Bauwesens, des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Heimatschützer nahmen Stellung zu den Plänen, Talsperren anzulegen, sorgten sich um die Neckar-Kanalisation, wandten sich gegen zunehmende Verunreinigung von Gewässern usw.

Eine wichtige Aufgabe sahen sie in der Entwicklung einer Alternative zu der zwischen den historischen Stilen schwankenden Architektur der Gründerjahre. Von dem ebenfalls als Kritik gedachten „Bauhaus“ unterschieden sie sich aber, da sie nicht mit jeder Bautradition brachen, sondern im Gegenteil forderten, an sie anzuknüpfen. So schufen sie den vor allem in Norddeutschland verbreiteten „Heimatschutzstil“.

Die Heimatschützer waren damals durchaus kämpferisch. Sie legten sich mit der Industrie an, wenn die sich ohne Rücksicht auf Mensch und Natur ausweitete. Sie bemühten sich um entscheidenden Einfluß etwa bei der Gestaltung von Bauwerken sowie der Planung von Städten, Dörfern, Straßen usw. Aus ähnlichen Beweggründen wie der „Deutsche Bund Heimatschutz“ entstanden der „Wandervogel“, das „Deutsche Jugendherbergswerk“ und die moderne Museumsbewegung. 1937 änderte der „Deutsche Bund Heimatschutz“ seinen Namen in „Deutscher Heimatbund“. Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein bemühte er sich, seine Aufgaben zu erfüllen. Nach dem Kriege nahmen zunächst die regionalen Heimatbünde ihre Arbeit wieder auf. Ihr Dachverband wurde der in Bonn neu gegründete „Deutsche Heimatbund“, der sich 1998 in „Bund Heimat und Umwelt in Deutschland“ umbenannte und nach eigenen Angaben etwa 500.000 Mitglieder zählt.

Trotz der reichen Tradition und der vielen Menschen, die sich zum Heimatschutz bekennen, ist die Wirkung ihres Dachverbandes in der Öffentlichkeit kaum zu erkennen. Präsidentin ist seit einigen Jahren die Hamburger Senatorin a. D. Herlind Gundelach (CDU), und auch sonst finden sich im Vorstand neben aktiven Vorsitzenden regionaler Heimatvereine manche Ex-Politiker und andere Honoratioren.

Vor 95 Jahren, am 31. Dezember 1916, starb Ernst Rudorff, der geistige Vater der Heimatschutzbewegung. Zu seinem 150. Geburtstag widmete ihm die Deutsche Bundespost 1990 eine Sonderbriefmarke. Heute ist er weitgehend vergessen – selbst in den Reihen der Heimatvereine, deren Mitglieder kaum noch wissen, daß ihre Vereine in der Tradition einer bekenntnisfreudigen und konfliktbereiten geistigen Bewegung stehen.

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