© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Jenseits der Oder ein Tabu
Vier schreckliche Jahre im polnischen Lager
Karin Zimmermann

Brigitte Kasper ist die jüngste von sechs Kindern, die mit ihrer Mutter 1945 bis 1949 in polnischen Lagern festgehalten wurden. Jetzt hat sie ihr Schweigen gebrochen und die Geschichte ihrer Familie aufgeschrieben. Nicht um daraus ein Buch zu machen, das sie verkaufen wollte – sie wollte schlicht ihre Geschichte der Nachwelt erhalten, wo sie in Archiven für Diplom- und Doktorarbeiten zur Nachkriegsgeschichte zur Verfügung stehen sollte.

Was daraus geworden ist, ist ein erschütterndes Dokument. Eine Geschichte, in der ihr Vater vor den Augen der Kinder zusammengeschlagen, getreten und verschleppt wurde und so auf Nimmerwiedersehen verschwand. Und wie die Mutter – selbst von Tagesbeginn bis in die Nacht zur Arbeit gezwungen und in Sorge um die von ihr getrennten Kinder – es immer wieder geschafft hat, die Rest-Familie zusammenzuhalten und zum Durchhalten zu motivieren.

Brigitte Kaspers mit Hilfe ihrer Geschwister zusammengetragenes Werk präsentiert, zu welchen Erniedrigungen, Haß und Unmenschlichkeiten Menschen fähig sein können. Leider wird diese mit unglaublicher Wucht geschilderte Wahrheit deutschen und erst recht polnischen Schulkindern vorenthalten, eine Wahrheit, die jenen Politikern nicht ins Weltbild paßt, die gern Deutsche für alles Unheil in dieser Zeit verantwortlich machen würden. „Zu lernen gibt es sehr viel – vor allem, daß willkürliche Gewalt unter Menschen besonders gut zu gedeihen scheint, wenn Staat oder Gemeinschaft wegschauen, sie wissentlich zulassen, gar billigen oder sogar fördern“, formuliert Reinhard Führer, der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, im Geleitwort.

Völkerverständigung – soviel wird klar – ist nicht durch aufgezwungenes Verschweigen vergangener Greuel erreichbar. Sie kann nur erreicht werden, wenn historische Fakten auch in zwischenstaatlichen Kontakten aufgearbeitet werden. Im heutiger Lager Potulice bei Bromberg aufgestellte Gedenktafeln weisen bis heute nur auf die polnischen Ofer der NS-Zeit hin, nicht aber auf die deutschen Opfer in den Jahren 1945 bis 1950. Vielleicht bewirkt Brigitte Kaspers bewegendes Werk auch bei unseren Nachbarn irgendwann ein Umdenken.

Brigitte Kasper: Tage der Vergangenheit. Eine Mutter mit ihren sechs Kindern in polnischen Lagern 1945–1949. Scribeo-Verlag, Kassel 2010, broschiert,180 Seiten, 12,80 Euro

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