© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Ein Roman der Verstrickungen
Der Biograph als Staatsanwalt: Arno Breker, der „Michelangelo des Dritten Reiches“, auf der Anklagebank
Oliver Busch

Die frühmorgendliche Paris-Visite des Reichskanzlers am 23. Juni 1940, die Walther Frentz, das „Auge des Führers“, auf Zelluloid bannte, zählt zum gußeisernen Bestand medialer Wiederaufbereitungen des NS-Staates, die noch heute im Wochentakt über bundesdeutsche Plasma-Bildschirme flimmern. Von den drei Uniformträgern seiner Entourage, die dem Kriegsherrn den Cicerone machten, ist den meisten Betrachtern jedoch nur der mit einer Ballonmütze der Luftwaffe kostümierte Architekt und spätere Rüstungsminister Albert Speer bekannt, während die beiden Schiffchen-Träger an Adolf Hitlers Seite in Anonymität versunken sind.

Der mit dem Heeres-Schiffchen ist der Architekt Hermann Giesler, und neben ihm, mit dem Totenkopf der SS auf dem Haupt, ist der Bildhauer Amo Breker zu erkennen, der „Michelangelo des Dritten Reiches“. Wie Speer und Giesler so hat auch Breker Erinnerungen veröffentlicht, 1972 erschienen unter dem von Ernst Jünger inspirierten Titel: „Im Strahlungsfeld der Ereignisse“. Breker inszeniert sich darin als unpolitischer Künstler, der nach dem Vorbild des servilen SS-Mannes „Schlemmer“ in Billy Wilders Komödie „Eins, Zwei, Drei“ tausend deutsche Jahre in „the Underground“ verbracht haben will, ohne mit der volksgemeinschaftlichen Oberwelt je in Berührung gekommen zu sein.

Solche autobiographische Camouflage hat niemand, der auch nur über schüttere zeithistorische Kenntnisse verfügte, je zum Nennwert genommen. Mit anderen Worten: In der konstanten „Fragebogen“-Atmosphäre der Bonner Republik konnte Breker seinen „Promi-Status“ nach 1933 eigentlich nur kaschieren. Daß viele seiner „Apologeten“ und Adoranten wie etwa Dominique Egret, der im Tübinger Grabert Verlag die bis heute dokumentarisch unerreichte Werk-Monographie des Meisters vorlegte, Brekers intensive Vernetzung mit dem NS-Führungspersonal, seinen wahren Rang als Staatskünstler des Dritten Reiches ignorierten, ist daher kaum verwunderlich.

Brekers Selbstdarstellung mit den Quellen zu konfrontieren und ganz erheblich zu korrigieren, war darum seit Erscheinen der Autobiographie eine leichte Übung. Gewagt hat sie trotzdem niemand. Insofern darf sich der promovierte Kunsthistoriker Jürgen Trimborn, der neben einer Biographie über Leni Riefenstahl sein Talent mit Lebensbeschreibungen von Johannes Heesters, Hildegard Knef, Romy Schneider und Rudi Carrell unter Beweis zu stellen versuchte, einer Pioniertat rühmen.Trimborn, Dozent für Medienwissenschaft an der Universität Köln, leistete die in seinem Milieu nicht eben beliebte Knochenarbeit in den Archiven. Folglich ist die fanfarische Ankündigung des Verlages, die „erste Biographie“ Brekers zu präsentieren, angesichts der Materialmengen gewiß keine Aufschneiderei. Herausgekommen ist tatsächlich eine lobenswert solide, aktenbasierte Untersuchung, die für sehr lange Zeit das neue Breker-Bild formatieren dürfte. Die Crux ist nur, daß Trimborn damit Selbstverständlichkeiten zu Papier bringt. Denn kein Historiker nahm Brekers „Strahlungsfeld“ je ernst.

Insofern überraschen weder die von Trimborn steuerprüferisch penibel recherchierten astronomischen Honorare noch die erstmals rekonstruierten Details seines fast fürstlichen Lebens auf dem östlich von Berlin gelegenen Schloß Jäckelsbruch, einer Dotation des Führers zum 40. Geburtstag (1940). Und auch Brekers nach 1945 angeblich ungebrochene „braune Gesinnung“ skandalisiert Trimborn mit einer Penetranz, der das Empfinden für die Relationen abhanden gekommen ist. Er bläht Banalitäten zu Geheimnissen auf, die dank seiner emsigen Detektivarbeit nun endlich ans Licht kämen.

Bewährte Methode ist dabei die Rasterfahndung im Beziehungsnetz. Wen kannte Breker, mit wem war er befreundet, wem gab er die Hand? Dies rekonstruierend, entsteht Trimborns Roman der „Verstrickungen“. In welche Grotesken der Autor regelmäßig abgleitet, mag die „Affäre Naumann“ verdeutlichen. Eigentlich nicht mehr als eine Fußnote aus der Frühgeschichte der Bonner Republik, wird aus den politischen Aktivitäten des ehemaligen Goebbels-Staatssekretärs Werner Naumann bei Trimborn ein „Komplott“ zur Vorbereitung einer aussichtsreichen zweiten „Machtergreifung“. Und Breker, wegen alter Verbindungen zu Naumann, avanciert zum strategischen Kopf der „Verschwörung“, die Bundeskanzler Konrad Adenauer adäquat als harmlose „nationalistische Zuckungen“ abtat.

Doch von Adenauers Gelassenheit schneidet sich Trimborn keine Scheibe ab. Im ermüdenden Dauergestus der Entlarvung und moralisierenden Beckmesserei nervt er den Leser stattdessen damit, Brekers Mär vom schuldlos Verfemten Absatz für Absatz zu widerlegen. Inhaltliche Kritik an diesem Wälzer, der den bildhauerischen Erzeugnissen Brekers wenig Aufmerksamkeit schenkt, weil er sie als „steingewordene Herrenmenschenphantasien“ denunziert, ist daher eigentlich überflüssig. Denn allein die Redundanzen des staatsanwaltlichen Stils verderben das Werk. Eine anerkennenswert fleißige Materialsammlung gerät hier in den Würgegriff eines zeithistorisch überforderten Biographen, dem man eine Rückkehr in die Seichtgebiete der TV-Unterhaltung empfehlen mag. Wie wäre es nach Rudi Carrell mal mit Wim Thoelke oder dem Biogramm des bundesdeutschen Chefunterhalters „Tommy“ Gottschalk?

Jürgen Trimborn: Amo Breker. Der Künstler und die Macht. Aufbau Verlag, Berlin 2011, gebunden, 712 Seiten, Abbildungen, 29,99 Euro

Foto: Arno Breker arbeitet in seinem Atelier an der Plastik „Prometheus“, März 1938: Nationalistische Zuckungen

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