© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Düstere Aussichten
Regierungskoalition: 2012 wird für Schwarz-Gelb eine Zerreißprobe
Paul Rosen

Von allen Prognosen erscheint diese noch am leichtesten: Es spricht viel dafür, daß Angela Merkel auch am Ende des Jahres im Berliner Kanzleramt residieren wird. Ob es dann noch den Euro oder die FDP geben wird, ist kaum zu beantworten. Doch eins ist sicher: Die großen Probleme aus dem Jahr 2011, die Schuldenkrise der europäischen Länder und die nachlassende Stabilität des Euro, bleiben im neuen Jahr erhalten.

Noch immer wird Merkel für ihr europäisches Krisenmanagement hochgelobt. Von „Merkozy“ wird bereits gesprochen, wenn es um das gute Verhältnis zwischen Merkel und dem französischen Präsidenten Sarkozy geht. Beim Versuch, auf den Trümmern der gebrochenen EU-Verträge neue Verträge zu schließen, scherten die Briten aus der europäischen Linie aus. Trotzig riefen Merkels Vögte wie der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder, in Europa werde jetzt „deutsch gesprochen“.  Die Berliner Politik – ohne jede historische Verwurzelung – ignoriert, daß England und den vermeintlichen deutschen Bundesgenossen Frankreich mehr eint, als das Kanzleramt wahrhaben will. Beide Länder wollen schwache Währungen und die Notenpresse zur Sanierung ihrer Staatskassen einsetzen. Wenn Frankreich – was wahrscheinlich ist – die Seiten wechselt, ist Merkel in der EU weitgehend isoliert. Die Stabilitätsartikel der neuen Verträge werden entweder nie beschlossen oder gleich wieder gebrochen werden. Der Todeskampf des Euro wird weitergehen. Wie lange er dauert, weiß man nicht.

Innenpolitisch ist die Lage für Merkel nicht viel einfacher. Die Causa Wulff hat nach den Weihnachtstagen erst richtig Fahrt aufgenommen. Die neuen Vorwürfe, die den Hausherrn von Schloß Bellevue auch die Reste öffentlicher Kreditwürdigkeit Stück für Stück entziehen. Als moralische Autorität ist Wulff bereits erledigt – ob er im Amt bleibt, hängt sehr davon ab, ob Merkel einen Nachfolger installieren kann. Die Koalition hat nur noch vier Stimmen Mehrheit in der Bundesversammlung, die das Staatsoberhaupt wählt. Merkel müßte einen Kandidaten aufbieten, der auch Ansehen bei den anderen Parteien genießt, für deren Führungen ebenfalls viel von der Wahl abhängt. Stellt Rot-Grün einen eigenen Kandidaten auf und fällt dieser durch, hat SPD-Chef Sigmar Gabriel ein Problem. Auch die Grünen-Führung mit Claudia Roth und Cem Özdemir müßte ihren Wählern erklären, warum sie den Bürgerlichen nicht das Präsidentenamt abjagen konnte.

Für die Parteien ist also die Neuwahl eines Bundespräsidenten fast ein genauso großes Problem wie das Festhalten am Amtsinhaber. Es sei denn, man würde sich auf einen allseits angesehenen Kandidaten wie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) einigen. Den könnten auch SPD und Grüne akzeptieren, und für Merkel hätte Lammerts Abschied aus dem Bundestag einen angenehmen Nebeneffekt. Sie wäre einen Kritiker ihrer Europapolitik und den Mann los, der mit den Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) Politikern mit abweichender Meinung Rederecht erteilte.

Die weiteren Problemgebiete sind schnell aufgezählt: Der Haushalt steht und fällt mit den Kosten für den Rettungsschirm. Schon ist von einer Verdoppelung der Neuverschuldung die Rede. Und sobald die Bundesbank von ihrem Eigentümer Bundesrepublik eine Kapitalerhöhung für die an die Südeuropäer unter dem Begriff „Target 2“ ausgeliehenen 500 Milliarden Euro fordert, muß Finanzminister Wolfgang Schäuble  (CDU) entweder die Neuverschuldung auf griechische Verhältnisse oder die Steuern erhöhen.

Zudem dürfte in den kommenden Wochen und Monaten die Debatte um den Mindestlohn sowie um die Einführung einer Frauenquote in Unternehmen eine große Rolle spielen. Auch das geforderte NPD-Verbot wird die Schlagzeilen beherrschen. Für Konfliktstoff zwischen CDU und CSU könnte das Betreuungsgeld sorgen, aber Explosionspotential haben diese Themen in der Koalition kaum. Wenn der Laden auseinanderfliegt, dann wird der Grund in der Schulden- und Euro-Krise liegen – wie in anderen europäischen Ländern.

Lethargie ist nicht nur bei den Bürgerlichen, sondern auch bei den Sozialdemokraten zu spüren. Ihre Oppositionsanstrengungen im Bundestag sind gering, ihr Führungsproblem zwischen Gabriel, dem Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück ungelöst. Am besten würden es viele in der SPD finden, als Juniorpartner in die Merkel-Regierung zu gehen. Dann könnte man das Führungsproblem weiter vor sich herschieben.

Unruhe auch bei den Grünen. Sie hatten sich angeschickt, die SPD zu überholen und hatten das in Baden-Württemberg geschafft. Merkels Ausstieg aus der Atomenergie hat einen Teil des Fundaments der Partei einstürzen lassen. Die Anti-Atomkraft-Bewegung ist Geschichte. Die „Piraten“ sind heute für junge Menschen attraktiver als die Studienratspartei Die Grünen.

Bei der FDP kann man sicher sein, daß sie einen neuen Vorsitzenden bekommen wird. Die Rolle der Europapartei spielt die CDU besser, den Bürgerrechtspart übernehmen Grüne und Piraten. Als Partei ist die FDP weitgehend abgestorben. Und die Linkspartei fristet weiter ihr Schattendasein als Sammelbecken traditioneller Linksextremisten, die nach Bedarf von Rot-Grün als Mehrheitsbeschaffer gebraucht werden.

Man merkt, überall steigt der Druck im System, erleben die alten Strukturen neue Belastungsproben. Der Druck wird sich sein Ventil suchen.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag: Kampf an mehreren innen- und außenpolitischen Fronten gleichzeitig

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