© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Warum Konservative den Islam doch fürchten sollten
Der Westen spielt Mikado
Manfred Kleine-Hartlage

Der Islam ist ein Hüter konservativer Traditionen, blinde Islamkritik übersehe den gemeinsamen Gegner – den westlichen Kulturrelativismus. Das meinte vor vier Wochen der Militärhistoriker Franz Uhle-Wettler an dieser Stelle (JF 50/11). Der Soziologe Manfred Kleine-Hartlage hält dagegen. Der Islam könnte als Herrschaftssystem zu einer tödlichen Bedrohung unserer Freiheit werden.

Nicht alles ist schlecht am Islam. Muslime, jedenfalls viele von ihnen, sind Menschen, die sich fünfmal täglich Zeit zum Gebet nehmen; die aufgrund ihres Glaubens die Welt als sinnvolles Ganzes erfahren; die familiären Zusammenhalt schätzen; denen ihre Traditionen etwas bedeuten; die demgemäß nicht einem modernistischen Neuheitswahn frönen, wonach das Hergebrachte und Bewährte schon deshalb das Schlechte und Widerlegte sein müsse, weil es dem Maßstab irgendeiner Utopie nicht genügt.

Muslime sind Menschen, die einen ausgeprägten Sinn für persönlichen Stolz, für Ehre und Würde haben; und wenn sie ihre Ehrbegriffe bisweilen auch einseitig und extrem interpretieren: Zumindest haben sie welche. Muslime sind Menschen, für die Recht und Unrecht keine Verhandlungssache sind. Sie sind nicht Gegenstand von „Diskursen“, in denen Spielregeln immer neu „ausgehandelt“ werden. Allahs Wort steht nicht zur Disposition.

Man mag die Starrheit und Trägheit einer islamischen Gesellschaft beklagen, in der diese Grundeinstellung notwendige Modernisierungen blockiert: Muslimische Gesellschaften zahlen in der Tat einen hohen Preis für ihre bemerkenswerte Stabilität, und man kann das kritisieren, sollte aber nicht vergessen, daß es keineswegs ausgemacht ist, ob unsere eigene Gesellschaft das Experiment „Moderne“ überleben wird oder nicht.

Wo noch die elementarsten Grundlagen der Zivilisation „ausgehandelt“, die selbstverständlichsten Wahrheiten „hinterfragt“, die offensichtlichsten Tatsachen „dekonstruiert“ werden, verliert die Zivilisation ein tragendes Element nach dem anderen. Die westliche Moderne ist eine Art Mikadospiel, bei dem man einen Stab nach dem anderen entfernt, da es doch bisher immer gutgegangen ist. Irgendwann hat man einen Stab zuviel herausgezogen. Es gibt also, gerade für Konservative, gute Gründe, den Islam und die von ihm geprägte Kultur nicht einfach zu verdammen. Es ist verständlich und sogar ehrenwert, wenn Konservative den Islam gegen eine allzu platte liberale Islamkritik in Schutz nehmen, die den Muslimen vor allem ihre Abneigung gegen die Homoehe und andere zweifelhafte Errungenschaften der westlichen Moderne ankreidet. Die schrillen Töne der liberalen Islamkritik kommen nicht zuletzt daher, daß der Islam in sich eine praktizierte radikale Liberalismuskritik verkörpert, der der westliche Liberalismus schon deshalb wenig entgegenzusetzen hat, weil die Frage, ob Europa in fünfzig Jahren liberal oder islamisch sein wird, nicht im „Dialog“, sondern im Kreißsaal entschieden wird.

Es gibt gute Gründe zu kopfschüttelnder Distanz gegenüber der Auseinandersetzung zwischen einem liberalen Gutmenschentum, das uns versichert, die Muslime würden sich schon noch für die Homoehe begeistern, wenn man nur lange genug den Dialog pflege, und einer liberalen Islamkritik, die dies bezweifelt. Keinerlei Gründe aber sprechen dafür, die Partei der Gutmenschen zu ergreifen und die Halb- und Unwahrheiten wiederzukäuen, mit deren Hilfe uns der Islam und seine wachsende Präsenz schmackhaft gemacht werden: Da wird zum Beispiel darauf hingewiesen, daß der Islam in vielerlei Erscheinungsformen und Ausprägungen existiert.

Wenn dies nur heißen soll, daß die islamischen Gesellschaften in vierzehn Jahrhunderten und auf drei Kontinenten einander nicht ähneln wie ein Ei dem anderen, ist das eine Binsenwahrheit. Soll es aber bedeuten, man könne keine allgemeingültigen Aussagen über islamische Gesellschaften treffen, ist es einfach falsch. Es gibt durchaus eine Einheit in der Verschiedenheit.

Nehmen wir die angebliche Vielfalt des islamischen Rechts. Diese besteht im wesentlichen in der Existenz von vier sunnitischen Rechtsschulen – die Sunniten stellen 90 Prozent der Muslime –, in denen der einmal gefundene Konsens der Rechtsgelehrten als eigenständige Rechtsquelle gilt, und deren Auslegungen der Scharia sich demgemäß seit rund tausend Jahren nicht wesentlich geändert haben. Unterschiedliche Auslegungstraditionen gibt es zwar, aber die möglichen Auslegungen unterliegen bereits aufgrund des Korans engen Grenzen. Die Vorstellung, daß Christen oder überhaupt Nichtmuslime gleichberechtigte Mitbürger von Muslimen sein könnten, liegt klar jenseits dieser Grenzen, was allein schon deutlich machen sollte, daß der Schariavorbehalt, unter dem die Menschenrechte im Islam stehen, alles andere als eine Petitesse ist.

Bestenfalls eine Halbwahrheit ist auch die Behauptung, der Koran sei in sich so widersprüchlich, daß man ihn so oder so auslegen könne: Erstens gibt es die klare und unter islamischen Gelehrten allgemein akzeptierte Abrogationsregel, die besagt, daß bei einander widersprechenden Koranversen der zuletzt offenbarte gilt. Unglücklicherweise bedeutet dies, daß im Zweifel die militanten Suren der medinensischen Epoche Vorrang vor den relativ friedfertigen der mekkanischen haben.

Zweitens ist dieses Prinzip oft gar nicht vonnöten, wenn man die oft sorgsam herauspräparierten und aus dem Zusammenhang gerissenen „friedlichen“ Verse in ihrem Zusammenhang liest. Etwa Sure 5,32: „Aus diesem Grunde haben wir den Kindern Israel verordnet, daß wer eine Seele ermordet, ohne daß er einen Mord oder eine Gewalttat im Lande begangen hat, soll sein wie einer, der die ganze Menschheit ermordet hat. Und wer einen am Leben erhält, soll sein, als hätte er die ganze Menschheit am Leben erhalten. …“ Klingt gut.

Leider lautet der darauffolgende Vers 33: „Siehe, der Lohn derer, welche Allah und seinen Gesandten befehden und Verderben auf der Erde betreiben, ist nur der, daß sie getötet oder gekreuzigt oder an Händen und Füßen wechselseitig verstümmelt oder aus dem Lande vertrieben werden. Das ist ihr Lohn hienieden, und im Jenseits wird ihnen schmerzliche Strafe.“ Liest man beide Verse zusammen, so lautet die Aussage: An sich soll man nicht töten – aber die „Ungläubigen“ eben doch! Zumindest, soweit sie sich der muslimischen Herrschaft widersetzen.

Und drittens kommt es für unser Verhältnis zum Islam nicht darauf an, wie Koran und Scharia theoretisch vielleicht ausgelegt werden könnten, sondern wie sie tatsächlich ausgelegt werden. Dies ist eine soziologische und keine theologische Frage, eine Frage der Praxis, nicht der Theorie. Wie andere Normensysteme auch, wird das islamische von jeder Generation neu als System kultureller Selbstverständlichkeiten verinnerlicht. Im täglichen Leben, nicht in der Koranschule werden die Grundideen der islamischen Religion und damit der islamischen Weltauffassung erlernt. Zu diesen Grundideen gehören weder die Heiligkeit des menschlichen Lebens noch die Gleichheit aller Menschen vor Gott, noch die Ächtung von Gewalt. Auch das Ethos der Selbstkritik („Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge ...“) ist dem Islam fremd: Diejenigen, die Kritik an den gewalttätigen Tendenzen des Islam mit dem Hinweis auf die Kreuzzüge zu kontern versuchen, werden nie erleben, daß ein Muslim auf Kritik am Christentum mit entsprechenden Vorwürfen gegen seine eigene Religion antwortet. Selbstkritik, vor allem kollektive Selbstkritik ist unter der Würde der „besten Gemeinschaft, die je unter Menschen hervorgebracht worden ist“ (Koran 3, 110).

Die täglich mit Händen zu greifende Verachtung von Muslimen gegenüber Andersgläubigen, die obendrein über tausend Jahre lang praktisch eingeübt worden ist, hat ihre Wurzeln in dieser Ethik. Wer aber Kritik am Islam mit einer Aufrechnung zu Lasten des Christentums beantwortet, tut nicht nur etwas Sinnloses, insofern das eine rein logisch nicht als Argument gegen das andere taugt; er wird nicht nur meist Äpfel mit Tomaten vergleichen und auch bei diesem Vergleich noch auf ein geschöntes Bild des Islam angewiesen sein. Nein, wer diese Gutmenschendenkfigur übernimmt, übernimmt implizit auch die dahinterstehende Weltauffassung, das heißt die blutleere, aseptische, ortlose Logik linker und liberaler Ideologie. Es gibt nämlich einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Christentum und dem Islam, den keine noch so bemühte Geschichtsklitterung aus der Welt schaffen kann: Das Christentum ist unsere Religion, der Islam ist es nicht!

Mit „uns“ meine ich nicht etwa nur die gläubigen Christen, sondern alle, die das vom Christentum geprägte System kultureller Selbstverständlichkeiten verinnerlicht haben, also praktisch jeden Europäer. Nicht zuletzt meine ich diejenigen, die angeblich vom Christentum nichts mehr wissen wollen, aber hartnäckig nach dem Balken im eigenen Auge suchen, ihre Feinde lieben, Gewalt als etwas Böses verabscheuen und die Gleichheit aller Menschen postulieren. Die also kein gutes Haar am Christentum lassen, aber stündlich demonstrieren, wie tief sie dessen Menschenbild und Sozialnormen verinnerlicht haben.

Es geht nicht darum, ob der Islam oder das Christentum „besser“ ist. Durchsetzungsfähiger ist zweifellos der Islam, sofern seine Angehörigen mit denen anderer Gemeinschaften im selben Land leben. Wenn eine Gruppe, die Selbstkritik, Toleranz und Gewaltfreiheit für höchste Werte hält, mit einer anderen zusammenlebt, der das alles fremd ist, liegt der Ausgang dieses ungleichen Kampfes auf der Hand.

Will die unterlegene Gruppe sich gegen die islamische behaupten, bleibt ihr nur die Flucht in eine Art Selbstislamisierung, das heißt, sie muß ihre Normen und Wertvorstellungen entsprechend ändern – und nicht nur die im engeren Sinne liberalen, sondern auch die allgemein abendländischen: Abstrakte Gesetzesloyalität etwa, der wir in Europa so viel verdanken, und die es in islamischen Kulturen in dieser Form praktisch nicht gibt, wird in einer solchen Gesellschaft zum schlechten Geschäft, also wird es sie irgendwann nicht mehr geben. Das heißt, die Präsenz des Islam wird uns zwingen, anders zu leben, als wir es von uns aus tun würden. Die Schmerzen des Anpassungsprozesses werden dann nicht den muslimischen Einwanderern abverlangt, sondern uns.

Als Konservativer mag man am Islam schätzen, was man will – eines darf man nicht verkennen: Die Gesellschaft, deren Stabilität vom Islam gefördert wird, ist allein die islamische, und sie stabilisiert sich nicht zuletzt durch den Export von Instabilität in die nichtislamische Umgebung. Die Kehrseite des ausgeprägten Gruppenstolzes von Muslimen ist die Verachtung der anderen und das angemaßte Recht, von ihnen – also von uns! – Unterwerfung zu fordern.

Das Gemeinwohl ist das Wohl der muslimischen Gemeinschaft, nicht unseres, und die vom Islam geförderte Solidarität schließt Nichtmuslime nicht nur aus, sondern richtet sich gegen sie. Daß der Islam in seinen Stammländern die Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung und in diesem Sinne ebenso legitim ist wie das Christentum bei uns, stimmt unbestritten.

Wer deshalb ideologisch motivierte Kriege gegen islamische Länder ablehnt, hat Recht, Vernunft und Moral auf seiner Seite. Wer aber seine Sympathie bis zur Schönfärberei treibt, und dies angesichts einer jetzt schon Millionen zählenden, rapide wachsenden und immer dreister auftretenden muslimischen Minderheit im eigenen Land, leistet dem nationalen Selbstmord Vorschub.

 

Manfred Kleine-Hartlage, Jahrgang 1966, Diplom-Sozialwissenschaftler, ist Publizist und betreibt das Blog www.korrektheiten.com . Zuletzt erschien sein Buch „Neue Weltordnung. Zukunftsplan oder Verschwörungstheorie?“ (Schnellroda 2011).

Manfred Kleine-Hartlage: Das Dschihadsystem. Wie der Islam funktioniert, Resch-Verlag Gräfelfing 2010, 296 Seiten, gebunden, 19,90 Euro. Ein Klassiker der Islamkritik, der den Islam als illiberale, militante Kollektivmentalität beschreibt.

Foto: Koran und islamische Gebetskette haben Symbolcharakter: Die muslimische Masseneinwanderung dürfte den Niedergang der europäischen Nationalstaaten beschleunigen 

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen