© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Historischer Ballast oder zukunftstaugliche Richtgröße?
Geschichtspolitisches zum Jubeltag: Die Literatur zu Friedrich dem Großen wird zum 300. Geburtstag um einige Regalmeter bereichert
Axel Erler

Der 300. Geburtstag Friedrich des Großen scheint die deutsche Historikerzunft kaltzulassen. Auf dem Buchmarkt dominieren stattdessen Journalisten und andere Fachleute für geschichtspolitisch verwurstbare  „Events“. Daher haben nicht zufällig Jens Bisky, Feuilletonist der Süddeutschen Zeitung, und Jürgen Luh, Mitorganisator des etliche Veranstaltungen, Konferenzen und Ausstellungen im Jubiläumsjahr offerierenden Potsdamer Spektakulums „Friederisiko“, im Frühherbst 2011 den Reigen der Friedrich-Biographien eröffnet (JF 42/11).

Johannes Unger, Abteilungsleiter „Dokumentation und Zeitgeschehen“ beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, sowie Tillmann Bendikowski, Chef einer „Medienagentur Geschichte“ in Hamburg, setzen ihn fort. Der gleichfalls in der Hansestadt tätige, dort „Historische Pädagogik“ lehrende Jürgen Overhoff, immerhin aufgrund seiner Mitarbeit an der „Potsdamer Ausgabe“ der Werke des Philosophen von Sanssouci zünftiger ausgewiesen als seine belletristischen Konkurrenten, ist bemüht, konventionellen Rastern dadurch zu entkommen, daß er parallel zum Lebensfilm des aufgeklärten Monarchen den seines Zeitgenossen George Washington, einem der Gründervater der USA, abrollt.

Ebenso mit einem Doppelporträt, dem des Königs und dem des Demokratietheoretikers Jean-Jacques Rousseau, möchte auch Jörn Sack, ehemals Rechtsberater der EU und nun „Schriftsteller und Privatgelehrter“, neue Perspektiven nicht allein auf die preußische Geschichte des 18. Jahrhunderts eröffnen. Und schließlich nutzt der kleine, aber mit einem gediegenen Programm glänzende Heidelberger Manutius Verlag die Gunst der Stunde, um einen fußnotenprallen ideenhistorischen Essay des 2008 verstorbenen Kulturwissenschaftlers Heinz Dieter Kittsteiner ein viertes Mal aufzulegen, der sich dem rätselhaften Komma in der Inschrift am Mittelrisalit des königlichen Lustschlosses widmet: „Sans, Souci“. 

Im Gegensatz zu Kittsteiner, dessen munter assoziierende Studie allein Fachleute für die weltanschaulich-religiöse Tiefendimension politischer Organisationsstrukturen ansprechen dürfte, bereitet Ungers gefällige Darstellung das Leben des Preußenkönigs rundum fernsehgerecht auf und erzählt, unterbrochen von didaktischen Exkursen, was jedem bekannt ist, der noch vor 1975 in Westdeutschland gymnasialen Geschichtsunterricht genossen hat. Wer hingegen angesichts des heutigen Verfalls historischer Allgemeinbildung Nachholbedarf verspürt, ist mit diesem schnörkellosen, etwas pausbäckigen Referat der im 19. Jahrhundert so volkstümlich gewordenen Friedrich-Biographien Franz Kuglers und Thomas Carlyles bestens bedient.

Das gilt auch für Overhoffs bis in die preußische und nordamerikanische Geschichte des 17. Jahrhunderts zurück wandernde Doppel-Biographie zweier Führergestalten, die bei aller Personalisierung doch als Vergleich unterschiedlicher Herrschaftssysteme angelegt ist. Da Friedrich 1786 starb, als die britischen Kolonien jenseits des Atlantiks sich auch dank tatkräftiger Mithilfe des zwanzig Jahre jüngeren Washington eben die Unabhängigkeit erkämpft hatten, kann Overhoff hier zwar die preußische Geburtshelferrolle gebührend würdigen, aber parlamentarische Demokratie drüben und aufgeklärter Absolutismus hüben sind wegen dieser Ungleichzeitigkeiten keinem echten Leistungsvergleich zu unterziehen.

Bendikowskis Ehrgeiz hingegen geht weit über das Narrative hinaus. Der zitatenfreudigen Lebenschronik, die nur die Hälfte seines Buches einnimmt, fügt er deshalb eine meinungsfrohe Skizze aktualisierender Vereinnahmungen dieser welthistorischen Figur hinzu, dabei den Schwerpunkt auf die Friedrich-Rezeption zwischen 1918 und 1991 legend und dankbar Peter-Michael Hahns Untersuchung zu den zähen Kämpfen um die Deutungshoheit über den „Alten Fritz“ nutzend („Friedrich der Große und die deutsche Nation“, Stuttgart 2007). Des Autors Behauptung, mit der Beisetzung des Königs in Sanssouci im August 1991 habe ihn die Bundesrepublik für immer vom „geschichtspolitischen Ballast ganzer Generationen“ befreit und Friedrich somit als Projektionsfläche und „politische Orientierungsgröße deutscher Politik“ definitiv entsorgt, klingt indes mehr nach dem Lippendienst eines Medienagenten, der weiß, was er seiner Kundschaft schuldig ist (siehe den Beitrag auf gegenüberliegender Seite).

Wer gegen diese These Argumente sucht, findet sie auf kleinstem Raum bei Jörn Sack, der 2007 bereits mit „Reflexionen über einen Staat, der einer war“ allen voreiligen Grabreden auf Preußen eine Absage erteilt hat. Sein neuer, mit der angeblich von Friedrich nicht genutzten Chance, Rousseau, den politischen Theoretiker und Apologeten der Volkssouveränität, an seinen Potsdamer Hof zu ziehen, startender Versuch, entfernt sich im Eiltempo von diesem antiquarischen Geplänkel, um mitten in der aktuellen Frage nach der Zukunft des Staates im globalisierten Zeitalter zu landen.

Besser wäre die deutsche Geschichte verlaufen, wenn Friedrich mit einem Politikberater Rousseau die Weichen rechtzeitig auf Demokratisierung gestellt hätte, aber, so der ganz unjuristisch fortwährend vom Hütchen aufs Stöckchen kommende Sack, der „paternalistisch preußisch-deutsche Sozialstaat“ sei unbestreitbar die historische Substanz des heute weiterhin alternativlosen Nationalstaates, der noch für längere Zeit durch kein anderes Modell solidarischen Zusammenlebens ersetzt werde – wenn ihm auch in Sacks geschichtsphilosophischem Fresko eines fernen Tages die Stunde schlägt und er sich im „konföderierten sozialistischen Weltstaat“ auflöse.

Friedrichs Preußen, von Bendikowski, Jahrgang 1965, totgesagt, bleibt bei Sack, Jahrgang 1944, als Richtgröße also sehr lebendig, was vielleicht eine Generationenerfahrung, vielleicht aber auch die Reife politischen Urteilsvermögens spiegelt.

Johannes Unger: Friedrich. Ein deutscher König. Propyläen Verlag, Berlin 2011, broschiert, 315 Seiten, Abbildungen, 16,99 Euro

Tillmann Bendikowski: Friedrich der Große. C. Bertelsmann Verlag, München 2011, gebunden, 332 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

Jörn Sack: Friedrich der Große und Jean-Jacques Rousseau – Eine verfehlte Beziehung und die Folgen. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2011, broschiert, 163 Seiten, 29 Euro

Jürgen Overhoff: Friedrich der Große und George Washington. Zwei Wege der Aufklärung. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2011, gebunden, 365 Seiten, Abbildungen, 22,95 Euro

Heinz Dieter Kittsteiner: Das Komma von Sans, Souci. Ein Forschungsbericht mit Fußnoten. Manutius Verlag, Heidelberg 2011, gebunden, 91 Seiten, Abbildungen, 19,80 Euro

Foto: Reiterdenkmal Friedrichs des Großen von Christian Daniel Rauch in Berlin, Unter den Linden: Zähe Kämpfe um die Deutungshoheit über den „Alten Fritz“

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