© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

„Wir wissen, wo du wohnst!“
„Nazi Leaks“: Auf die Veröffentlichung privater Daten durch linksextreme Hacker folgen Drohungen, Desinteresse – aber auch Solidarität
Felix Krautkrämer

Daß die linksextreme Szene nicht gerade zimperlich ist, gegen mißliebige Journalisten vorzugehen, hat nicht nur die JUNGE FREIHEIT in der Vergangenheit mehrfach erfahren müssen. Der Brandanschlag auf ihre Druckerei 1994 in Weimar ist dabei lediglich der traurige Höhepunkt einer ganzen Reihe von Gewalttaten gegen die JF und ihre Mitarbeiter. Aber auch andere Journalisten geraten durch ihre Berichterstattung immer wieder ins Visier von Linksextremisten. Im März 2009 beispielsweise überfiel eine Gruppe Vermummter am hellichten Tag die Redaktion des Berliner Kuriers, verwüstete die Büroräume und zerstörte Rechner und Mobiliar. Das Blatt hatte zuvor einen kritischen Artikel über eine bevorstehende Demonstration der linken Szene gebracht. Im Januar 2010 erhielt der Chefredakteur einer Berliner Tageszeitung ein Schreiben, in dem ihm gedroht wurde, sein Auto anzuzünden – am besten wenn seine Frau oder seine Kinder darin seien. Zwei anderen Berliner Journalisten wurde im Herbst 2009 geraten, sich Leibwächter zuzulegen. Um der Drohung Nachdruck zu verleihen, wurden ein Foto und die Adresse von einem der beiden ins Internet gestellt.

Zum Jahreswechsel nun veröffentlichten linksextreme Hacker aus dem Umfeld des sogenannten Anonymous-Netzwerks (siehe S. 17) auf der Internetplattform „Nazi Leaks“ neben den Namen und Adressen mutmaßlicher NPD-Spender und Kunden rechtsextremer Onlineversände eine Liste mit den privaten Adressen und Kontaktdaten von rund 380 Personen, darunter zahlreiche Autoren und Interviewpartner der JUNGEN FREIHEIT (JF 2/12). Bereits ein halbes Jahr zuvor war die Liste schon einmal auf der linksextremen Internetseite Indymedia aufgetaucht, versehen mit dem Hinweis: „Wir kriegen euch alle.“ Doch im Vergleich zu damals erfreute sich die Aktion diesmal eines breiten und teilweise wohlwollenden Medienechos – mit äußerst unangenehmen Konsequenzen für die Betroffenen: Nächtliche Drohanrufe, Haßmails und Beleidigungen waren die Folge. Häufig versehen mit dem Zusatz: „Wir wissen, wo Du wohnst.“ Als ein Hamburger Autor der JF vergangene Woche seinen Telefonhörer abnahm, riet ihm eine unbekannte Stimme am anderen Ende der Leitung, sich eine neue Bleibe zu suchen. Andernfalls werde er demnächst in den „Bordstein beißen“. Autoren in anderen Städten erhielten ähnliche Anrufe und E-Mails. „Scheiß Faschoschwein“ hieß es beispielsweise in einer Nachricht, die gleich mehrere Autoren und Redakteure dieser Zeitung erreichte. Gefolgt von weiteren Beschimpfungen und der Ankündigung, die nun öffentlich gewordenen persönlichen Daten weiterzuverbreiten. Genau darin besteht das Problem: Einmal ins Netz gestellt, sind die Daten für jeden überall einsehbar, jederzeit. Daran ändert auch nichts, daß „Nazi Leaks“ die Adreßliste Anfang der Woche entfernte. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits Dutzende Male kopiert auf anderen Internetseiten veröffentlicht worden. Bei den Betroffenen bleibt das ungute Gefühl, nicht zu wissen, wer sich ihre Daten anschaut und mit welcher Absicht. Was, wenn sich beispielsweise Linksextremisten oder Islamisten nach einem Artikel rächen wollen?

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) verurteilte daher das Vorgehen von „Nazi Leaks“: Auch das Internet dürfe demokratische Grundrechte nicht außer Kraft setzen, sagte eine Sprecherin des zu Verdi gehörenden Verbands auf Anfrage der JF. „In einer Demokratie darf nicht zur Selbstjustiz aufgefordert oder der Datenschutz aufgehoben werden – das unterscheidet uns von anderen Gesellschaftsformen.“

Die größte Journalisten-Gewerkschaft, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), konnte sich dagegen nicht zu einer eindeutigen Position durchringen. In einer Stellungnahme wurde lediglich die Arbeitsweise von „Nazi Leaks“ beanstandet: Diese habe „mit gründlicher Recherche oder investigativer Aufklärung“ nichts zu tun. Da „Nazi Leaks“ die Datei als „Autorenliste“ der JF bezeichne, würden die darin genannten „Journalisten und für Interviews angefragte Personen als rechtsextrem gebrandmarkt“, monierte der Sprecher des Journalistenverbands, Hendrik Zörner. Dies widerspreche der „journalistischen Sorgfaltspflicht“. Die eigentliche Veröffentlichung der Privatadressen kritisierte der Verband dagegen nicht. Stattdessen verlinkte er in seiner Stellungnahme auf „Nazi Leaks“ und damit auch auf die Privatadressen zahlreicher, teils namhafter Journalisten.

Für den langjährigen Chefredakteur der österreichischen Tageszeitungen Die Presse und Wiener Zeitung, Andreas Unterberger, eine nicht zu akzeptierende Verhaltensweise: „Gesetz und Rechtsstaat sind in einigen europäischen Staaten offenbar aufgehoben, wenn jemand einmal als Nazi denunziert ist, selbst wenn es keinerlei Beweise dafür gibt“, sagte Unterberger der JF. Die Namen von unschuldigen Bürgern mit dieser Etikette öffentlich ins Internet zu stellen, sei eine besondere Infamie. Terroristische Gruppen versuchten so, Leute mit mißliebigen Meinungen einzuschüchtern, auch wenn diese in keiner Weise etwa mit Sympathien für irgendeinen Aspekt des Nationalsozialismus verbunden seien, kritisierte der Journalist. „Alle Verteidiger von Demokratie und Rechtsstaat sollten das energisch zurückweisen.“

Auch der Publizist Henryk M. Broder äußerte sich kritisch über die mangelnde Bereitschaft nicht nur des DJV, die Veröffentlichung der Privatadressen zu verurteilen: Jeder dürfe jeden für alles kritisieren, sagte Broder dieser Zeitung. Die Grenze werde aber überschritten, wenn die Kritik in physische Gewalt oder die Androhung von physischer Gewalt umschlage. Dies sei indiskutabel. „Das gilt für Autoren der Jungen Welt ebenso wie für die der JUNGEN FREIHEIT. Der Unterschied liegt nur darin, daß im Falle der Jungen Welt die Reaktionen voraussehbar wären (Empörung, Abscheu), im Falle der JUNGEN FREIHEIT es gar keine Reaktionen gibt. Auch die staatlichen Instanzen halten sich zurück, was wenig verwundert, wenn man an den ‘Eifer’ denkt, mit dem sie die Zwickauer NSU-Zelle verfolgt haben.“ Demokratie lebe nicht von richtigen, sondern von falschen Meinungen, betonte der Welt-Publizist. „Wenn die nicht oder nur unter Lebensgefahr geäußert werden können, ist es mit der Demokratie vorbei.“

 

Hacken

Die Bezeichnung „Hacker“ sowie das Verb „hacken“ stammen aus der Subkultur der Computer-Bastler, die durch das Zerlegen und Wiederzusammenbauen von Hard- und Software Erkenntnisse über das Produkt erwerben oder dieses einfach nur verbessern wollen. Es gibt Hacker, die Ampelanlagen manipulieren, „nur“ um ihre technische Kompetenz zu demonstrieren, und es gibt Hacker, die ihre kriminelle Energie darauf verwenden, an die Daten anderer zu gelangen, um dann deren Konten leer zu räumen oder sie zu kompromittieren.

Hinter dem Begriff des „Hackens“ versteckt sich eine Vielzahl von Manipulationen, um technische, elektronische oder maschinelle Abläufe zu verändern oder ihren eigentlichen Zweck zu verfremden.

Jeder Computer, der mit dem Internet verbunden ist, besitzt eine eigene Adresse, mit der man diesen Rechner eindeutig identifizieren kann. Diese IP-Adresse (Internet-Protocol) ist wie ein digitaler Fingerabdruck des eigenen Computers. Sobald sich ein Computer in einem Netzwerk befindet, können auch andere den Computer erkennen. Damit ein Nutzer Zugriff auf das Netzwerk und auch zum Internet bekommt, identifiziert das Netz seinen Computer mittels seiner IP und leitet dessen Datenströme weiter ins weltweite Netz. Durch die Anbindung des Computers an das Netz, macht sich der Nutzer natürlich „verwundbar“.

Mit den Daten, die man sendet, werden Informationen mitgeschickt, die es anderen erlauben, Aufschlüsse über diesen Computer zu bekommen. Mit diesen Informationen kann der Hacker dann einiges anfangen. Er kann sich mit einer fremden Identität ausstatten oder auf dem Rechner eines anderen Daten betrachten und verändern. Das Prinzip des Hackens ist eigentlich immer gleich: Man nutzt eine Schwachstelle des „gegnerischen“ Computers aus, um dann in diesen einzubrechen. Wählt man sich in ein W-LAN (drahtloses Internet) ein, kann der Hacker mit ein paar kleinen Programmen die IP erspähen und sich dann unter dem Namen des Betroffenen anmelden. Die Schwachstelle ist stets der Datenweg: Irgendwo wird der Benutzer seine Spuren hinterlassen, die andere dann verwerten können.

Anders gelagert sind hingegen gezielte Hackerattacken, die es darauf abgesehen haben, in ein fremdes Netzt einzudringen. Dazu sendet man jemandem eine Datei, die auf den ersten Blick harmlos wirkt, sich später jedoch als Schädling oder „Trojaner“ entpuppt. Einmal installiert, kann sich das Programm dann entfalten und manipulierend wirken.

Fotos: »Die Demokratie lebt nicht von richtigen, sondern von falschen Meinungen. Wenn die nicht oder nur unter Lebensgefahr geäußert werden können, ist es mit der Demokratie vorbei.« Henryk M. Broder; »In einer Demokratie darf nicht zur Selbstjustiz aufgefordert oder der Datenschutz aufgehoben werden – das unterscheidet uns von anderen Gesellschaftsformen.« Deutsche Journalistenunion; »Die Namen von unschuldigen Bürgern mit dieser Etikette öffentlich ins Internet zu stellen, ist eine besondere Infamie.« Andreas Unterberger ; Drohungen aus dem Datenreich: Einschüchterungsversuche gegen Andersdenkende