© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Deutschland stellt weder Präsident noch Chefvolkswirt der EZB
Marginalisiert
Philipp Bagus

Sowohl 1923 als auch nach dem Zweiten Weltkrieg mußten die Deutschen erleben, wie ihre Währung wertlos wurde. So wurden sie gegen Inflationspolitik geimpft. Die Inflationsaversion übertrug sich auf die Bundesbank und schirmte sie von Politikereinflüssen ab. Denn deutschen Politikern drohte bei offensichtlicher Geldentwertung Ungemach und die Abwahl. Unter den Papierwährungen wurde die D-Mark zum Einäugigen untern den Blinden. Bis 1999 verlor die DM „nur“ rund drei Viertel ihrer Kaufkraft. Andere Währungen waren teilweise erheblich inflationärer.

Die Bundesbank war im europäischen Ausland gehaßt und gefürchtet. Wollten Nachbarn wie Frankreich und Italien nicht abwerten, mußten sie sich der „Tyrannei der Bundesbank“ beugen und die eher restriktive Geldpolitik mitgehen. Ihre Zentralbanken konnten dann aber die französischen oder italienischen Staatsausgaben nicht in dem Maße finanzieren wie die Politiker in Paris und Rom dies wollten.

Wie könnte man sich der „Tyrannei der Bundesbank“ entledigen? Wie wäre es zu beteuern, eine Gemeinschaftswährung nach dem DM-Vorbild zu konstruieren und die Zentralbank (EZB) symbolisch in Frankfurt zu positionieren, um die deutsche Bevölkerung zu beruhigen. Ist der Fuß erst mal in der Tür, könnte man sich nach und nach des Einflusses der Bundesbank entledigen.

Zumindest der letzte Teil des Planes entfaltet sich vor unseren Augen. Axel Weber, der designierte Nachfolger von EZB-Chef Jean-Claude Trichet, trat von seinen Funktionen zurück, als er erkannte, daß er im romanisch dominierten Zentralbankrat keine Mehrheit für deutsche Geldpositionen finden konnte. Auch Chefsvolkswirt Jürgen Stark gab auf, als er sich erfolglos gegen den inflationären Staatsanleihenkauf stellte. Neben Deutschland erhob Frankreich den Anspruch auf Starks Posten. Zum Nachfolger ernannte EZB-Präsident Mario Draghi jedoch den Belgier Peter Praet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Draghis Entscheidung hinterläßt den Eindruck, man wolle die deutsche Niederlage nicht zu offensichtlich machen. Die Wahl ist geschickt. Die Deutschen sind beruhigt, weil kein Franzose Chefvolkswirt wird. Mit Praet bekommt Draghi einen relativ unbekannten Mann ohne großen Einfluß an seine Seite, der Belgier gilt eher als „Taube“. Der Begriff aus dem Zentralbankjargon ist ein Euphemismus. Tauben bevorzugen Wachstum der Inflationsbekämpfung. Sie lassen die Notenpresse heißlaufen und sind eher kaufkraftfressende Geier.

Praet kommt zudem aus einem Euro-Land, dessen Staatsverschuldung bei 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt. Bald könnten auch EZB-Ankäufe von belgischen Staatsanleihen notwendig werden, um das Land vor dem Bankrott zu retten. Ob sich Praet im Vorfeld gegen weitere Anleihekäufe stemmen wird, darf bezweifelt werden.