© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

„Sie hassen uns“
Besuch bei Nigel Farage: Der EU-Parlamentarier kämpft für den EU-Austritt Großbritanniens und nimmt beim Thema Europa kein Blatt vor den Mund
Hinrich Rohbohm

Sie hassen uns“, sagt Nigel Fa-rage. Der Vorsitzende der United Kingdom Independence Party (UKIP) ist bereits wieder auf dem Sprung, muß zum Flughafen. Gerade erst hat er im Straßburger Europaparlament eine Rede gehalten, den Austritt Großbritanniens aus der EU angekündigt. „Um wieder frei zu sein“, wie er sagt. Europas bekanntester Euroskeptiker hat den Haß des Polit-Establishments bereits jahrelang ertragen müssen. Er hat sich daran gewöhnt.

Farage ist einer der wenigen EU-Parlamentarier, die schon vor Jahren immer wieder vor dem heraufziehenden Euro-Unwetter gewarnt hatten. Einer jener, die sich im Parlament in der Minderheit befinden. Und dessen Euro-kritische Worte besonders Grüne und Sozialisten immer wieder aufs neue in Rage versetzen. Denn Farage nimmt im EU-Parlament kein Blatt vor den Mund. Etwa wenn er sich danach erkundigte, wo denn der ehemalige Maoist und 2005 kurz vor der Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten stehende José Manuel Barroso seinen Urlaub zu verbringen gedenke. Das sei Privatsache, hatte man ihm seinerzeit entgegnet. Farage ließ nicht locker, fand heraus, daß sich Barroso eine Woche lang auf der Yacht des griechischen Milliardärs Spiros Latsis befand, dessen Familie zu 44 Prozent an der griechischen EFG Eurobank Ergasias beteiligt ist. Angesichts solcher Verquickungen sprach sich Farage folgerichtig gegen die Haftungsübernahme für Griechenlands Schulden aus.

Farage, der in einem Kommentar der Times als „peinliche Figur, die nicht für Großbritannien spricht“ beschimpft wurde, warnt vor einer „Diktatur der Bürokraten in Brüssel“ , vor dem „verrückten Imperium EU“. Der Satz „Je schneller der Euro verschwindet, desto besser für jeden“ ist zu seinem Markenzeichen geworden.

„Mister Farage ist noch beim Frühstück“, sagt sein Büroleiter und zündet sich eine Pfeife an. Es ist kurz vor neun. Noch ist es ruhig in Zimmer sieben. Hier im sechsten Stock des EU-Parlamentsgebäudes hat Nigel Farage seine Arbeitsräume, von deren Fenstern aus man die Berge des Schwarzwalds sieht.

Im Büro steht eine mit rotem Stoff bezogene Liege. Ein Flachbildfernseher steht daneben, auf dem Sky News läuft. Auf dem Ablagebord über der Liege sind weiße Schutzhelme abgelegt, wie sie auf Baustellen getragen werden. Auf jedem davon befindet sich das UKIP-Logo – das britische Pfund-Zeichen – sowie der Spruch „Leave the EU“.

Eine Kaffeemaschine steht einsam auf einem kleinen dunkelbraunen Schrank. Farage kommt erst später, sagt sein Büroleiter. Er muß ins Plenum, in 45 Minuten wird er eine Rede zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) halten. Es läutet. Neun Uhr. Sitzungsbeginn. Es kommt Leben in die zahllosen Gänge des Parlamentsgebäudes mit seinen über 750 Abgeordnetenbüros. Das Plenum füllt sich langsam. Farage ist schon an seinem Platz, ganz vorne, rechts.

Ausdruckslos läßt er die Reden der EU-Größen über sich ergehen. Die von Kommissionspräsident Manuel Barroso, der einmal mehr für die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms wirbt und das EU-Parlament als demokratisch legitimiertes Gremium bezeichnet, das von Europas Bürgern akzeptiert werde.

Die Herman Van Rompuys, des Europäischen Ratspräsidenten, der erklärt, wie alternativlos die derzeitige EU-Politik bezüglich der Euro-Rettungsmaßnahmen sei, und der versichert, daß man das Europäische Parlament niemals vor vollendete Tatsachen stellen werde.

Großbritannien steht an diesem Morgen im Zentrum der Kritik. Der großen Mehrheit der Parlamentarier mißfällt die ablehnende Haltung des britischen Premierministers David Cameron zu den geplanten Änderungen der EU-Verträge. „Großbritannien wird entweder Gast am Tisch der EU sein oder Teil der Speisen“, droht der belgische Abgeordnete Guy Verhofstadt. Auf flämisch. Denn eine Rede in englischer Sprache, so Verhofstadt, sei derzeit wohl nicht angebracht.

Um 10.15 Uhr kommt Nigel Farage zu Wort, eine halbe Stunde später als geplant. „Sie haben jetzt beschlossen die Titanic zu besteigen“, beginnt er seine Rede. Großbritannien sei derzeit im Rettungsboot, aber von der Bugwelle des Dampfers bedroht. „Wir werden die EU verlassen und als erstes Land unsere Freiheit zurückgewinnen, während sie untergehen werden“, ruft Farage laut in das Rund des inzwischen gut gefüllten Plenums. Er redet gerade einmal zweieinhalb Minuten. Dann geht der Vater von vier Kindern zurück in sein Büro, steckt sich eine Zigarette an. „Das geht nur hier“, sagt der Farage-Mitarbeiter. Im Gebäude herrscht striktes Rauchverbot.

Im Büro ist es nun mit der Ruhe vorbei. Immer wieder kommen Leute herein, wollen Nigel Farage sprechen. Der UKIP-Vorsitzende steuert auf seinen Tisch am Fenster zu, setzt sich. „Die EU ist antidemokratisch und zentralistisch“, sagt er geradeheraus. Keines dieser „Warm-up“-Gespräche, keine dieser Fragen nach der Tasse Kaffee. Nigel Farage kommt sofort auf den Punkt.

„Man kann nicht einfach Völker zusammenschmeißen und daraus einen neuen Staat machen“, legt der 47jährige los und verweist auf die Entwicklung der EU zum Bundesstaat. Der selbständige Makler für Gebrauchsgüter nennt Jugoslawien als gescheitertes Beispiel. „Bei einer Hochzeit muß man die Frau schon fragen, ob sie denn überhaupt will.“

Genau das aber mache die EU nicht. Weil man wohl wisse, daß die Frau nein sagen würde. So wie im Fall Irlands, als der Euroskeptiker und Gründer der Libertas-Bewegung, Declan Ganley, 2008 eine Volksabstimmung durchsetzte und die Iren Nein zum Lissabon-Vertrag sagten. Er nennt es „paradox“, daß ausgerechnet Deutschland in Gestalt des designierten Präsidenten des Europaparlaments Martin Schulz (SPD; siehe Seite 3) zu den schärfsten Kritikern des irischen Votums gehörte.

„Keine Volksabstimmungen zulassen zu wollen, öffnet die Tür zum Faschismus“, erklärt Farage, der in zweiter Ehe mit einer Deutschen aus Hamburg verheiratet ist.

Sein Fraktionskollege Godfrey Bloom ging noch weiter, fiel Schulz während einer Parlamentsrede ins Wort und bezeichnete ihn als „undemokratischen Faschisten“. „Wir haben die Lektionen aus den Weltkriegen gelernt, Martin Schulz nicht“, meint Farage. Diese zentralistische und undemokratische Entwicklung aufzuzeigen, darin sehe er seine Aufgabe.

Als weitere Aufgabe sieht er, die Menschen vor dem Euro zu warnen. „Mir war bereits 1990 klar, daß eine Währungsunion nicht funktioniert, sagt der Hobby-Hochseeangler. Die Wirtschaft der Euro-Länder sei nicht homogen, habe unterschiedliche Interessen: „In Deutschland habt ihr eine starke Industrie und seid stärker auf Europa fixiert. In Großbritannien dagegen ist unsere Wirtschaft stärker von den Finanzdienstleistungen geprägt und globaler ausgerichtet.“

Weitaus unterschiedlicher seien die Wirtschaftsinteressen zwischen Nord- und Südeuropa. Seit Jahren warne er davor, daß Griechenland in der Währungsunion nicht überleben kann. Jetzt sei die Katastrophe da. Daß der deutsche Steuerzahler die Schulden der südeuropäischen Länder zahlen muß, sei paradox und werde zu revolutionären Veränderungen führen. In Finnland, Österreich und den Niederlanden sei es bereits zu Veränderungen in der Parteienlandschaft gekommen, Geert Wilders’ Partei für die Freiheit, die Wahren Finnen und die FPÖ hätten den etablierten Parteien bereits herbe Verluste beschert. Und Deutschland? „It’s coming“, zeigt sich Farage optimistisch, daß sich auch hier eine euroskeptische Partei etablieren wird.

Farage hatte auch Gespräche mit dem Chef der Bürger in Wut, Jan Timke, geführt. Dessen Wählervereinigung sei allein aber zu klein, um in Deutschland eine neue Partei zu etablieren. „Wenn gute Leute hinzukommen, kann das funktionieren“, sagt er, wenngleich er nicht zu sagen vermag, welche Gruppierung es in Deutschland schaffen könnte.

Daß sich Deutschland aufgrund der Währungskrise zur dominierenden Kraft in Europa entwickelte, sei ein „Unfall“ gewesen: „Ich glaube nicht, daß Merkel oder andere in der deutschen Regierung das wirklich angestrebt haben“, meint Farage. Vielmehr sei diese Entwicklung dem Umstand geschuldet, daß Deutschland zunehmend als Scheckbuch Europas fungiere, weshalb zahlreiche Staaten darauf angewiesen seien, Merkel entgegenzukommen. Ein weiterer Grund sei die Ängstlichkeit zahlreicher EU-Politiker. Farage nennt sie verächtlich „rabbits“. Hasen. Nicht vom Volk gewählte, zumeist „inkompetente“ Funktionäre.

Daß die EU hinter vorgehaltener Hand zunehmend als EUdSSR bezeichnet wird, kann Farage nachvollziehen, auch wenn er selbst es so nicht sagen würde. „Die EU ist antidemokratisch und keineswegs mehr föderal.“ Ein zunehmender Zentralismus sei stets das Zeichen totalitärer Regime gewesen.

Besonders die sozialen Probleme, die aus der Euro-Krise hervorgehen werden, bereiten ihm Sorgen. Weil das der Nährboden für neuen politischen Extremismus sei. Einen Vorgeschmack hatte Großbritannien im August letzten Jahres erlebt, als Krawalle und Plünderungen London lahmlegten. Eine verfehlte Migrationspolitik sei nicht der alleinige Grund, sagt Farage, das ganze Problem sei vielschichtiger. Mangelnde soziale Absicherung, verkommene Stadtteile und Bandenkriminalität hätten eine Rolle gespielt. „Aber bei vielen war es auch einfach Opportunismus, der sie zur Tat trieb“, so Farage.

Farage wendet sich abrupt ab, stellt den Fernseher lauter. Ein Tory-Abgeordneter spricht gerade, nennt die EU nur noch Fiskalunion. FU statt EU. Farage lacht. „FU, that’s good“, sagt er zufrieden. Daß sein Land derzeit in Europa isoliert dasteht, macht ihm nichts aus. „1940 standen wir in Europa auch ganz allein da. Gott sei Dank“, sagt er und eilt zum nächsten Termin.

 

UKIP

Die UKIP (United Kingdom Independence Party) ist eine euroskeptische Partei in Großbritannien, deren Hauptziel der Austritt des Landes aus der EU ist. Gegründet im Jahr 1993, schaffte sie 1999 mit drei Abgeordneten den Einzug ins EU-Parlament. Fünf Jahre später konnte sie ihre Abgeordnetenzahl auf zehn steigern. Im EU-Parlament ist die UKIP die führende Kraft des EU-skeptischen Bündnisses „Europa der Freiheit und der Demokratie“ (EFD), das sich unter anderem aus der italienischen Lega Nord, der griechischen Laos-Partei, der Dänischen Volkspartei und den Wahren Finnen zusammensetzt. Bei der Europawahl 2009 wurde UKIP mit 16,5 Prozent der Stimmen hinter den Konservativen zweitstärkste Partei und verfügt jetzt über 13 Abgeordnete. Neben de EU-Austritt setzt sie sich für eine Flat-Tax und Volksabstimmungen ein. Sie ist gegen Multikulturalismus und plädiert für einen Stopp unbegrenzter Einwanderung nach Großbritannien.

Foto: UKIP-Vorsitzender Nigel Farage in seinem Straßburger Europaparlamentsbüro: „Man kann nicht einfach Völker zusammenschmeißen und daraus einen neuen Staat machen“