© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Jungfrau mit Schwert
Nationaler Mythos: In Frankreich wird des 600. Geburtstages der Heiligen Jeanne d’Arc gedacht
Karlheinz Weissmann

Am vergangenen Wochenende begann „L‘ année Jeanne d’Arc“ – „Das Jahr der Jeanne d’Arc“. In der Kathedrale von Orléans wurde mit gewohntem Aufwand die „Übergabe des Schwertes“ zelebriert, Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist in ihren Geburtsort gereist und hat in seiner Ansprache betont, daß sie ein großes Vorbild für jeden Patrioten sei und „allen Franzosen“ gehöre.

Das war kaum als Appell an die Linke gedacht, die la pucelle gewohnheitsmäßig verachtet, sondern an den Front National, der sie für sich reklamiert und nun aus Anlaß des 600. Geburtstags eine große Gedenkfeier abgehalten hat, bei der die Anhänger Jean-Marie und Marine Le Pens am vergoldeten Standbild der Jeanne d’Arc im Zentrum von Paris vorbeizogen.

Das Monument zeigt die in Deutschland als Johanna von Orléans bekannte in ihrer wohl populärsten Gestalt: ein Mädchen, knabenhaft schlank, das Gesicht gläubig zum Himmel gerichtet, schwer gerüstet, das Schwert gezogen, hoch zu Roß. In den Kirchen Frankreichs stehen tausende und abertausende ähnlicher Figuren, in jeder größeren Stadt dürfte es irgendein Erinnerungsmal geben, das ihr zu Ehren errichtet wurde, ihr Bild ist wieder und wieder gemalt oder gezeichnet worden, in Theaterstücken wurde es genauso präsentiert wie in Filmen.

Und das, obwohl nur ein einziges zeitgenössisches Porträt der Jeanne d’Arc existiert, eine Skizze, an eine Kinderzeichnung erinnernd, ohne individuelle Züge. Der Tatbestand entspricht jenem anderen, daß über ihre Persönlichkeit nur wenig bekannt ist. Sicher weiß man, daß ihre Geschichte in den Zusammenhang des Hundertjährigen Krieges gehört, daß sie aus dem kleinen Ort Domrémy in Lothringen stammte, wo sie am 6. Januar 1412 als Tochter eines wohlhabenden Bauern geboren worden sein soll, daß sie behauptete, seit ihrem dreizehnten Lebensjahr Visionen zu haben, daß ihr der Erzengel Michael – damals einer der Schutzpatrone Frankreichs – erschienen sei und sie aufgefordert habe, den Dauphin aufzusuchen und ihn nach Reims zu führen, wo er zum König gekrönt werden solle. Unbestritten ist auch, daß sie sich mit siebzehn Jahren von zu Hause aufmachte und trotz aller Widerstände und Gefahren bis zum tatenlos in Bourges sitzenden Thronfolger durchschlug, daß es ihre mitreißende Art war, der es gelang, zuerst ihn zu überzeugen, dann die mutlosen Truppen anzufeuern, das belagerte Orléans zu befreien und die Inthronisation Karls VII. zu erreichen, – so wie von ihr prophezeit.

Alle diese Ereignisse vollzogen sich in wenigen Monaten des Frühjahrs und Sommers 1429, und sie kamen einem Wunder gleich, nicht nur wegen der religiösen Inbrunst, die Johanna zu ungewöhnlichen Taten trieb und die die Ursache ihrer Tapferkeit war, sondern auch in einem übertragenen Sinn, weil diese Taten wesentlich dazu beitrugen, die französische Nation zu gründen. Wenn der englische Nationalismus am Anfang des Hundertjährigen Krieges entstand, in der Schlacht von Crécy (1346), als der Schwarze Prinz Ritter und Gemeine Seite an Seite fechten hieß, dann waren es die Siege der Jeanne d’Arc am Ende des furchtbaren Ringens, die den Franzosen Vaterlandsgefühl einflößten. Ein Patriotismus, der sie dazu brachte, den König von England, der den Westen Frankreichs kontrollierte, nicht mehr als aufsässigen Vasall zu betrachten, sondern als Landesfeind, und den mit ihm verbündeten Herzog von Burgund nicht als ehrgeiziges Mitglied der Dynastie, sondern als Verräter.

„Jene, die Krieg gegen das heilige Reich von Frankreich führen, führen Krieg gegen König Jesus.“ Die Äußerung wird Jeanne d’Arc zugeschrieben. Sie war noch ganz geprägt von mittelalterlichem Denken, der Vorstellung eines „heiligen Reiches“, dessen wahrer Regent Christus selbst ist, und dessen Sakralität auf die irdische Ordnung und den irdischen Fürsten abstrahlt.

Aber es war eben kein beliebiger Bezugspunkt, um den es ging, sondern „das heilige Reich von Frankreich“, was zu tun hatte mit der Übertragung von Ideen, die einerseits an die Auserwählung Israels anknüpften, andererseits an messianische Ideen von einer Vollendung der Geschichte im Gottesreich auf Erden. Das alles gehörte zur religion royale – „der königlichen Religion“, einem besonderen Kult, der sich in Frankreich um das Königtum entwickelt hatte und zu einer Art von Sonderbewußtsein führte, das in manchem mit dem allgemein-christlichen kaum noch Berührung aufwies.

Es bleibt aber zu betonen, daß das nur der Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung war. Denn Jeanne d’Arc soll auch gefragt haben: „Muß es dahin kommen, daß der König aus dem Königreich gejagt und wir zu Engländern werden?“ Die Vorstellung, daß es in diesem Krieg, wie sonst im Mittelalter, nicht um den Kampf zweier Herren gehe, der so oder so ausgehen könne, jedenfalls für die Untertanen ohne Belang sei, sondern um einen Krieg, in dem „wir“ dafür fechten, daß „wir“ „wir“ bleiben dürfen und nicht werden müssen wie „sie“, das machte die neue – nationale – Qualität des Konflikts aus. Mit einem Satz Raymond Poincarés über Jeanne d’Arc: „Vaterland. Sie hatte es geschaffen, bevor das Wort erfunden war.“

An dieser Feststellung änderte das harte persönliche Schicksal Johannas nichts: die gescheiterte Befreiung von Paris, der Rückzug des Königs, der rasch wieder den Mut verlor, einen Verhandlungsfrieden anstrebte, und dessen Berater das junge Mädchen als lästig ansahen, die Tatenlosigkeit der Franzosen nach der Gefangennahme Jeannes durch die Burgunder, die Auslieferung an die Engländer, der gekaufte Prozeß, die Verurteilung als Ketzerin und die Verbrennung im normannischen Rouen am 30. Mai 1431.

Die gegen sie erhobenen Anklagen wurden von der Kurie verhältnismäßig rasch aufgehoben und Jeanne d’Arc zur Märtyrerin erklärt. Aber für Frankreich war sie mehr als eine Glaubenszeugin, und für alle anderen wenigstens eine jener symbolischen Gestalten der Geschichte, die in ihrer Größe immer von Tragik umschattet sind.

Lesen Sie hierzu auch die Seite 16

Foto: Front-National-Chefin Marine Le Pen am 7. Januar vor dem Reiterstandbild der Jeanne d’Arc auf der Place des Pyramides in Paris: Ein Krieg, in dem „wir“ dafür fechten, daß „wir“ „wir“ bleiben dürfen und nicht werden müssen wie „sie“