© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Hauptsache laut auflachen
Die „Spaßbewegung“ aus der Bahnhofstoilette wird politisch / Was will Anonymous?
Ronald Gläser

Helle Aufregung herrschte über die Weihnachtsfeiertage in Schweizer Regierungskreisen. Sowohl Regierungsvertreter als auch Offiziere mußten hastig ihre Kreditkarten sperren lassen. Nicht nur diese waren illegalerweise veröffentlicht worden, auch dazugehörige private Anschriften, Telefonnummern und Email-Adressen. Ähnlicher Streß herrschte auch im Nato-Hauptquartier und bei den britischen Streitkräften.

Das ist ärgerlich für die Betroffenen. Für den Inhaber der Daten ist es der Super-Gau. Die texanische Firma Strategic Forecast (dt. Strategische Vorausschau), kurz Stratfor, beschäftigt sich mit internationalen Sicherheitsfragen. Für Kritiker ist sie eine Art Schatten-CIA, die dem militanten Flügel der US-Außenpolitik zugeordnet wird. Jetzt weiß aber alle Welt, daß das Unternehmen nicht mal in der Lage ist, Adreßlisten, darunter die persönlichen Kontaktdaten von Ex-Vizepräsident Dan Quayle und Ex-Außenminister Henry Kissinger, geheimzuhalten.

Hackeraktivisten von Anonymous hatten über Weihnachten 200 Gigabyte Daten mit 800.000 Stratfor-Datensätzen geklaut. Gleichzeitig wurde die Netzseite lahmgelegt – ein Zustand, der bis ins neue Jahr angehalten hat.

Wer ist Anonymous und warum macht die lose Gruppe immer wieder mit spektakulären Hackerangriffen von sich reden?

Die Anfänge von Anonymous gehen zurück auf die Netzseite 4chan.org. In diesem Forum veröffentlichen Internetnutzer die absurdesten Beiträge. Wie das so ist im Netz: Abartige Nacktfotos, perverse Offenbarungen und Beschimpfungen halten sich die Waage. Machmal ist nur ein abfotografierter Penis zu sehen und die Frage: Wie findet ihr ihn? 4chan gilt als Bahnhofstoilette des Internets. Wer hier etwas postet, tut es, ohne sich anzumelden. Sein Beitrag erscheint dann unter dem Namen „Anonymous“. Aus dieser Zeit stammt die Motivation der Anonymen: Wir machen es für die „Lulz“. Das Wort ist ein Akronym aus „loughing out loud“ (dt. laut auflachen). Anonyme Hacker wollen die Lacher auf ihrer Seite haben, das ist die Botschaft, die gleichzeitig Einblick gewährt in den eigentümlichen Slang, der in Internetforen herrscht.

So merkwürdig wie die Sprache, so wechselhaft sind auch die Feindbilder. In der Regel sehen sie sich als Kämpfer gegen Konzerne und Überwachung. Deswegen die Attacken auf Internetriesen wie Paypal, Amazon oder Facebook.

Aber manchmal geht Anonymous auch gezielt gegen einzelne Personen vor. In New York hat die Gruppe dem Computerhändler Adam Goldstein eine Zeitlang das Leben zur Hölle gemacht. Er hatte einen Monitor nicht ausgeliefert und Streit mit dem Kunden, der sich beschwerte und Anonymous einschaltete. Hacker und Mitläufer der Szene machten sich einen Spaß daraus, Goldstein Hakenkreuze per Fax zuzusenden, Pizzen und Koranausgaben auf seinen Namen zu bestellen, ihm sogar tote Tiere aufs Grundstück zu werfen.

In Litauen startete Anonymous eine Kampagne gegen einen Mann, den die Gruppe in einem Youtube-Video als Tierquäler identifiziert haben wollte. Tatsächlich war der Täter jemand anders, aber die Kampagne war nicht mehr zu stoppen, nachdem sie einmal in Gang gesetzt worden war. Seitdem bekommt Valdas Baranauskas Drohanrufe und muß bei Facebook die Existenz von Gruppen ertragen, die Namen tragen wie „Stirb Valdas, wir töten dich, wenn wir dich sehen“. Er lebe seitdem in Angst, berichtet die FAZ, die den Fall bekannt gemacht hat.

Auch die jüngste Attacke, von der die JUNGE FREIHEIT betroffen war (JF 2/12), ist umstritten. Im Anonymous-Chat beschimpfen sich Gegner und Befürworter der Aktion als „Pseudo-Anos“. Die Szene ist tief zerstritten deswegen. Im Interview mit dem österreichischen Standard gibt einer der Rädelsführer der Aktion offen zu: Der „harte Kern“ bestehe nur aus „fünf bis zehn“ Personen, andere Anonyme seien dezidiert dagegen.

Das allererste Feindbild von Anonymous war Scientology, deren Werbestände regelmäßig von Anonymen belagert wurden, die sich mit einer weißen szenetypischen Guy-Fawkes-Maske kleideten. Der katholische Revolutionär Fawkes hat vor vierhundert Jahren vergeblich versucht, das englische Parlament in die Luft zu sprengen. Der Durchbruch kam, als Anonymous 2010 die Seiten mehrerer Kreditkartenfirmen lahmlegte, weil diese sich weigerten, Spenden für Wikileaks entgegenzunehmen. Plötzlich war die Hackergruppe weltweit gefürchtet.

Dieser Ruf zieht wieder neue Leute an, die in die Chaträume gehen und sich zum Angriff auf ein Opfer verabreden. Für viele ist jeder Anlaß willkommen. Hauptsache, es kommen viele Lulz dabei heraus.

Der Angriff beginnt mit einer Twitterbotschaft und einem Youtube-Video, in dem ein Maskenmensch mit einer computeranimierten Stimme den Feind definiert, anklagt. Es endet stets mit der Warnung: „Wir sind Anonymous. Wir sind viele. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht. Erwarte uns.“

Die einfachste und beliebteste Waffe ist der DOS-Angriff (Denial of Service, dt. Dienstablehnung). Dazu laden sich Anonyme ein Programm herunter, das immer wieder auf eine bestimmte Internetseite zugreift. Unter dem Sturm der Anfragen bricht diese zusammen. Daten klauen und verbreiten, das ist hingegen schon eine Anonymous-Massenvernichtungswaffe. Sie kommt seltener zum Einsatz, kann für die Betroffenen aber verheerende Folgen haben.

Anonymous. Eine von etlichen Seiten: www.du-bist-anonymous.de

 

Zuletzt viele Rückschläge für Anonymous

März 2011

Nach Fukushima Operation „GreenRights“ gegen Atomkonzerne: Demos, DOS-Angriffe, jedoch wenig Resonanz

April 2011

Diebstahl von Millionen Sony-Kundendaten, Teile von Anonymous distanzieren sich von dieser Aktion

Juli 2011

Verhaftungswelle in England und USA, mehrere Rädelsführer hinter Gittern

Oktober 2011

Viele Sympathisanten von Anonymous beteiligen sich an der Occupy-Bewegung, die dann im Sande verläuft

November 2011

Die „Operation Zeta“ gegen mexikanische Drogenmafia endet ergebnislos, die Organisation stößt an ihre Grenzen

Dezember 2011

Mit der „Operation nazi-leaks“ stellen die Anonymen ihre Prinzipien auf den Kopf: Aus Schutz der Privatsphäre wird Anprangerung Unschuldiger. Chaos Computer Club und Datenschützer sind entsetzt

Januar 2012

Die „Operation Sopa“ (gegen das im US-Kongreß geplante Gesetz „Stop Online Piracy“) wird ein Rohrkrepierer