© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Energiewende zu Lasten von Nahrungsmitteln
„Nur noch kurz die Welt retten“
Rolf Dressler

Reiseweltmeister, CO2-Bekämpfungsrekordler und Wassersparfüchse sind „wir“ bekanntlich ja sowieso schon. Und nun auch noch die beglückende Hochstufung in den Adelsstand der Energiekonsumbeschränker aller Klassen: Sage und schreibe fünf Prozent weniger Öl, Gas und Strom aus herkömmlich-endlichen beziehungsweise erneuerbaren Quellen haben die Deutschen im Jahr 2011 im Vergleich mit 2010 verbraucht. Ein schon länger andauernder Trend verstetigt sich. Darauf ein donnerndes „Na, bravo!“ Oder besser doch nicht so ganz uneingeschränkt?

Makellos weiße Westen gibt es letztlich nur im Märchen oder in wolkigen Politiker-Sonntagsreden. Im grundnormalen Alltagsleben knirscht es nämlich in vielem weit mehr, als es all jene Gut- und Besser(wisser)-Menschen wahrhaben wollen, die der heimische Liedersänger Tim Bedzko ironisch feinsinnig verkünden läßt: „Muß nur noch kurz die Welt retten, danach flieg ich zu dir.“ Umweltfreunde bis hin zu den Kirchenführern können gar nicht lautstark genug nach Atomausstieg und sogenannten erneuerbaren Energieträgern rufen. Das eine erstaunt sachkundig-nüchterne Köpfe genauso wie das andere.

Denn ist es nicht gerade auch kohlendioxid-strategisch ein Zeichen von Torheit oder von Immer-noch-zuviel-Geld-in-der-Kasse, wenn ausgerechnet Deutschland, der selbsterklärte Welt-Klimaschützer Nummer 1, seine erwiesenermaßen besonders sicheren Kernkraftwerke bereits nach kaum 35 oder 40 Prozent ihrer möglichen Laufzeit verschrottet, und das auch noch in einem überstürzten Alleingang?

Unkritisch, aber frenetisch indes wird bejubelt, daß auf kostbarer Ackerfläche in Deutschland Pflanzen angebaut werden, die ausschließlich der Energiegewinnung anstatt der Ernährung dienen.

Niemanden offenbar schrecken schmissige Propagandaparolen für das Biomasse-Programm wie „Kornkraft statt Kernkraft“ oder „Vom Landwirt zum Energiewirt“. Und das, obwohl sich dadurch obendrein Lebensmittel für Hunderte Millionen Hungerleidende in der Dritten und Vierten Welt erheblich verteuern. Müssen sich diese Menschen nicht durch Hilfsaktionen wie „Brot für die Welt“ verhöhnt fühlen, wenn auch unsere Evangelische Kirche zugleich den Anbau von Energiepflanzen einfordert und bejubelt? Nachdenken erlaubt.

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „West­falen-Blatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist.

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