© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

„Autonomes Disneyland“
Linksextremismus: Eine wissenschaftliche Studie entmythologisiert den Szenetreff „Rote Flora“ in Hamburg
Felix Krautkrämer

Es gibt sie in jeder größeren Stadt: sogenannte Autonome Zentren. Treff- und Anlaufpunkte der örtlichen linksextremen Szene. Hier werden Konzerte veranstaltet und Demonstrationen vorbereitet. Linksextreme Gruppierungen wie die Rote Hilfe oder die lokale Antifa nutzen die Einrichtungen als Briefkasten, und im dazugehörigen „Infoladen“ versorgt sich die Szene mit der passenden Literatur – Anleitungen für den Bau von Brand- und Sprengsätzen inbegriffen. Dennoch erfreuen sich die oftmals als Jugend- oder Kulturtreff getarnten Zentren häufig der Unterstützung durch die öffentliche Hand.

Zu den bekanntesten Autonomen Zentren gehört die Rote Flora in Hamburg. Seit über zwanzig Jahren bildet das einstige Theater im Schanzenviertel den Mittelpunkt der linksextremen Szene der Hansestadt. Im Herbst 1989 von Autonomen für besetzt erklärt, wurde die Rote Flora schon bald bis über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Nicht zuletzt durch zahlreiche Auseinandersetzungen mit der Polizei, die teilweise zu regelrechten Straßenschlachten gerieten, erlangte der Autonomen-Treff deutschlandweit unter Linksextremisten einen legendären Ruf. Auf dem Stadtportal hamburg.de, der offiziellen Internetpräsenz Hamburgs, liest sich das wie folgt: „Die Rote Flora wurde von der linken Szene des Schanzenviertels besetzt und eisern gegen Wasserwerfer verteidigt.“ Die „roten Bewohner“ des Schanzenviertels hätten nicht stillschweigend zuschauen wollen, „wie sich die dekadente Pelz- und Paillettenszene in ihren Straßen einnistet“. Den Kampf „um ihre liebe Flora“ hätten sie gewonnen und ließen dort nun allerhand „geschehen“.

Ob dazu auch die immer wiederkehrende Randale um das jährliche Schanzenfest zählt, ist unklar. Im vergangenen August war es dabei erneut zu schweren Ausschreitungen gekommen, die Polizei mußte mit Wasserwerfern gegen die Randalierer vorgehen. Der Einsatz kostete eine dreiviertel Million Euro. Im Jahr zuvor waren bei den Krawallen im Schanzenviertel zahlreiche Polizisten verletzt worden.

Karsten Dustin Hoffmann kennt solche Einsätze: Als Bereitschaftspolizist stand er bei Auseinandersetzungen um das Autonomen-Zentrum mehrfach gewalttätigen Linksextremisten gegenüber und mußte Flaschen- und Steinwürfe über sich ergehen lassen. Nun hat er an der Technischen Universität Chemnitz die erste wissenschaftliche Arbeit zur Roten Flora vorgelegt. Erschienen ist sie in der Reihe „Extremismus und Demokratie“ der beiden Extremismusforscher Uwe Backes und Eckhard Jesse, die die Dissertation zu Recht als „Pionierstudie“ loben. Erstmals werde ein Autonomes Zentrum nach wissenschaftlichen Kategorien ausgeleuchtet.

Drei Jahre lang hat Hoffmann Materialien zur Roten Flora gesammelt, Plakate und Flugblätter ausgewertet und Interviews geführt. Untersucht, welche Ziele von den Aktivisten zu welcher Zeit und mit welchen Mitteln verfolgt wurden und wie sich das Verhältnis zur Hamburger Bevölkerung gestaltete. Dabei analysierte er auch die unterschiedliche Darstellung des Autonomen-Treffs in den Medien, die von Ablehnung (Welt, Bild) bis zu Sympathie reicht (taz, Hamburger Rundschau).

Hoffmann räumt auch mit dem von der Autonomenbewegung sorgsam gehegten Mythos auf, bei der Roten Flora handle es sich nach wie vor um ein „besetztes“ Haus. In Wahrheit wurde den Betreibern nach der Veräußerung der Immobilie durch den Senat im März 2001 vom neuen Besitzer ein unentgeltliches Nutzungsrecht eingeräumt.

Den Verkauf wertet der Politikwissenschaftler als Fehler. Seiner Ansicht nach müsse die Stadt, um die immer noch konfliktgeladene Situation zu entschärfen, die Eigentumsrechte an dem Gebäude wiedererlangen und die Nutzung als Autonomes Zentrum gestatten. Solange die Aktivisten an Kulturprojekten arbeiteten oder sich in Streitigkeiten untereinander verwickelten, seien sie in ihrer politischen Aktivität gehemmt. Die Gefahren, die in diesem Fall von dem „Autonomen Disneyland“ ausgingen, seien dagegen gering. Zwar würde der Senat mit der Duldung und Belohnung rechtswidrigen Verhaltens ordnungsliebende Wähler verstimmen, gesteht Hoffmann ein, dennoch glaubt er, wäre der Ärger auf seiten der militanten Autonomen ungleich größer. Schließlich sinke für sie der Wert der Roten Flora durch eine legale Nutzung. Ihr Mythos ließe sich nur aufrechterhalten, wenn die Autonomen eine Besetzung weiter suggerieren könnten.

Karsten Dustin Hoffmann: „Rote Flora“. Ziele, Mittel und Wirkungen eines linksautonomen Zentrums in Hamburg, Nomos-Verlag 2011, broschiert, 402 Seiten, 59 Euro

Foto: Das ehemalige Flora-Theater im Hamburger Schanzenviertel: Längst nicht mehr besetzt

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