© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Zeitschrift Nouvelle Revue d’Histoire – die wichtige Geschichtszeitschrift der rechten Intelligenz Frankreichs – hat eine Sondernummer über die Vendée und den Terror während der Revolution erscheinen lassen. Vieles von dem, was da in bezug auf den Bürgerkrieg im Westen der Republik behandelt wird, gehört zum Standardrepertoire. Man ist auch nicht überrascht, Reynald Secher, den Historiographen des „innerfranzösischen Völkermords“, prominent gewürdigt zu finden. Allerdings liest man überrascht eine Vorstellung seiner letzten Arbeit durch Stéphane Courtois, den Herausgeber des „Schwarzbuch des Kommunismus“. Courtois bezieht sich auf die Veröffentlichung Sechers über den „Memorizid“ nach dem „Genozid“. Gemeint ist damit die Verschwörung des Schweigens und die systematische Desinformation der tonangebenden (lange kommunistisch beeinflußten) politischen wie universitären Kreise, die nicht nur alles taten und tun, um den Schrecken des politischen Fortschritts zu verdrängen, sondern auch mit einer ungeheuren Perfidie darangegangen sind, die soziale Existenz eines „Revisionisten“ wie Secher zu beschädigen. Auch an diesem weniger Aufmerksamkeit erregenden, fast nur auf Frankreich beschränkten „Historikerstreit“ kann man erkennen, wie sehr Ideologie darüber entscheidet, ob eine Vergangenheit „vergehen darf“ oder nicht, ob von Völkermord gesprochen werden darf oder nicht, ob verglichen werden darf oder nicht, ob die Untaten entschuldbar erscheinen oder nicht.

Als Zuschauer fällt einem manchmal ideologische Konterbande, die Regisseure mit ihren Filmen transportieren, auch an ganz unerwarteter Stelle auf. Das gilt zum Beispiel für den Wandfries im Palast des Menelaos, den Wolfgang Petersens Troja zeigt. Die Männer, die dort dargestellt sind, entsprechen genau dem Bild der „Seevölker“-Krieger mit den „Federkronen“, die Ramses III. am Tempel von Medinet Habu hat malen lassen, nachdem sie von seinen Truppen im Nildelta besiegt worden waren. Die Schlacht ist eines der wenigen Ereignisse der „dunklen Jahrhunderte“ am Ende der Bronzezeit, von dem wir Genaueres wissen. Wenn also Filmregisseur Petersen die Seevölker als Vorfahren der Spartaner auffassen wollte und mithin einen Zusammenhang zwischen der Dorischen Wanderung und dem Seevölkersturm annimmt, wäre das eine interessante Hypothese, die er sich aber keinesfalls aus Handbuchwissen angeeignet haben kann, sondern entlegener Literatur entnommen haben muß.

Was die Kritiker Sechers reizt, ist dessen Neigung, dauernd direkte wie indirekte Verknüpfungen zwischen der Französischen Revolution und den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, vor allem dem NS-Regime, herzustellen. Tatsächlich gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen dem braunen und dem blau-weiß-roten Terror, denn die furchtbarsten Grausamkeiten der Französischen Revolution fanden vor aller Augen statt. Die linke Obrigkeit versteckte sie nicht, inszenierte sie vielmehr, nutzte die Brutalität wie die Schaulust der Leute. Während der Septembermorde von 1792 gab es das Massaker sogar als öffentliche Lustbarkeit, man stellte Sitzbänke auf und errichtete eine Art Bühne, die Schlächter und ihr Publikum wurden bewirtet, manche verkleideten sich – zum Beispiel als Frauen –, um den Witz zu vergrößern. Selbstverständlich kam es nie zu einer ernsthaften Verfolgung der „septembriseurs“, die meisten kehrten nach dem Blutrausch in ihren Alltag zurück. Einer dieser „ganz normalen Männer“, Charles Deprée, hat offen bekannt, „daß es ihm bis zum siebenten auch Überwindung gekostet habe, dann aber hätte er nichts mehr empfunden, als wenn er Kälber abschlachtete ...“

Ulrich Tukur jüngst, während eines Bühnenprogramms, zur Frage der Monarchie: „Wenn hier alles endgültig den Bach runtergeht, könnte man es vielleicht noch mal damit versuchen.“

Dem mémoricide, von dem Secher spricht, unterliegt auch der erste moderne Klassenmord, der den französischen Adel betraf. Der in Zahlen gefaßte Blutzoll ist dabei das eine, die konkrete Scheußlichkeit des Vollzugs etwas ganz anderes. Der Kammerdiener Marie Antoinettes berichtete über den Tod der Princesse de Lamballe, einer Vertrauten der Königin, die ermordet wurde, „als sie aus der Pforte des Gefängnisses La Force heraustrat; ihr Körper sei den Marktweibern überliefert worden; diese infamen Kreaturen hätten sich den Spaß gemacht, sich aus ihren Eingeweiden Gürtel zu machen; den nackten Leichnam hätten sie auf alle Hauptplätze der Stadt geschleift, und schließlich hätten sie den Augenblick abgepaßt, in dem sich die Königin dem Fenster näherte, um ihr auf dem erhobenen Spieß das Haupt ihrer Freundin zu zeigen.“ Danach wurde der Kopf immer weiter durch die Stadt geschleppt und Gegenstand obszöner Schaustellungen; der Familie blieb nichts als der Versuch, die traurigen Überreste zu suchen, um sie bestatten zu können.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 3. Februar in der JF-Ausgabe 6/12.

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