© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Auf Früherkennung spezialisiert
Texte des konservativen Großdenkers Caspar vonSchrenck-Notzing aus über vierzig Jahren
Lothar Höbelt

Gründervätern begegnet man vielfach mit einem Gefühl der Ehrfurcht, mit einem Respekt, der nicht ganz frei ist vom Verdacht der Unzugänglichkeit. Wer mit derlei klammheimlichen Bedenken an den vorliegenden Band herangeht, sieht sich ganz schnell freudig enttäuscht: Schrenck-Notzings Essays zeichnen sich durch Prägnanz aus und durch eine Fülle gelungener, epigrammatischer Formulierungen, die sich hervorragend zum Zitieren eignen. Man liest sie mit Gewinn an Erkenntnis, aber auch mit Lustgewinn, mit Freude an der Lektüre.

Die Essays sind in acht Abschnitte gegliedert; doch sie kreisen – neben faszinierenden, von eingehenden Kenntnissen und eigener Anschauung zeugenden Exkursen von Indien bis Haiti – fast alle um zwei Brennpunkte, um den Konservativismus, als eine Geistesströmung, eine „spirituelle Familie“, und um die konkrete Situation der Konservativen in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945. Über den Konservativismus heißt es an einer Stelle, er zerfalle wie Cäsars Gallien in drei Teile: Zwei davon sind rasch benannt, die Liberalkonservativen und die Katholisch-Konservativen, in Frankreich mit dynastischen Etiketten historisch als die Anhänger der Orléanisten und Bourbonen zu fassen.

Doch wo ist die dritte Richtung beheimatet, von der man wohl annehmen darf, daß ihr die eigentliche Anteilnahme des Autors gehört, der stets mehr wollte als bloß die Antikommunisten und die Abendländer in einem sammeln ? In Frankreich war dieser dritte Weg durch Bonapartismus und Gaullismus gekennzeichnet – da schwingt der nationale Imperativ mit, der auch für Schrenck-Notzing eine wichtige Rolle spielte. Aber wie Karlheinz Weißmann in seiner gelungenen, nicht zuletzt auf Schrenck-Notzings Briefwechsel mit Armin Mohler fußenden Einführung zu Recht betont, darin ging er für Schrenck-Notzing bei weitem nicht auf.

Beinahe möchte man es kokett nennen, aber in dem Beitrag, von dem wir uns die einfache Antwort erwarten: „Was ist konservativ ?“, erfährt der Leser bestenfalls, was konservativ nicht ist, nämlich bloßes „Bewahren“. Der Vortrag ist vielmehr ein Plädoyer gegen philosophische Haarspaltereien, das in der Mahnung gipfelt: „Sicher, eine Propheten-Gewerkschaft wäre ein Unding, aber die Konservativen sollten, soweit sie ihre fünf Sinne beisammen haben, die Zweckform der Organisation nicht abweisen, wenn die Lage sie erfordert.“ Man muß sich dem Konservativismus Schrenck-Notzings vielmehr auf Umwegen nähern. So zum Beispiel über das Begriffspaar, das er gegenüber dem gängigen Sprachgebrauch nahezu vertauscht: Reaktionäre bekämpfen die Revolution (und finden dafür oft eine Massenbasis), Konservative hingegen sind „auf Früherkennung spezialisiert“, sie haben schon längst die Gefahren erkannt, die von den Reaktionären später bekämpft werden, bleiben aber meist einsame Rufer in der Wüste.

Ein zentrales Anliegen sind Schrenck-Notzing die Institutionen, die er gegen die Liberalen in Schutz nimmt: Institutionen, die den Menschen entlasten – und nicht bloß unterdrücken; Institutionen, die „weiser sind als diejenigen, die sich ihrer bedienen“ (Enoch Powell); Institutionen freilich, verstanden als „durch Sitte und Recht gebundene Formen des sozialen Zusammenlebens“, wie beispielsweise Familie oder Kirche, nicht als die parasitären Apparate der Gegenwart, die auf Burnhams „Revolution der Manager“ verweisen.

Leitvokabel des Konservativen ist die „Wirklichkeit“. Längst bestimmt nicht mehr das Sein das Bewußtsein, sondern das „gemachte“ Bewußtsein verdeckt das Sein, die Realität. Konservativismus – wenn man so will: ein „empirischer“, „skeptischer“, existentieller (und gerade deshalb nicht existentialistischer!) – ist in diesem Sinne zuallererst einmal „Ent-Täuschung“, „Bloßstellung des Status quo“, wie es anderer Stelle heißt, das Abnehmen der im Prozeß der „zunehmenden Manipulierbarkeit“ vorgefertigten Brillen der selbsternannten „Moralisten“, die ihre subjektiven Ressentiments zu allgemeingültigen Werten erheben wollen.

Der Verweis auf die „öffentliche Meinung“ mit all ihren Tücken leitet über zur konkreten Situation der Bundesrepublik. Die Periodisierung, die Schrenck-Notzing vornimmt, erinnert dabei an die Unterscheidung von Reaktionären und früherkennenden Konservativen: Die Zäsur trat nicht erst 1968 ein, sondern bereits mit dem Ende der halkyonischen, der „windstillen“ fünfziger Jahre, als die BRD „auf den Kopf gestellt wurde, wo sie bis heute steht“. Der Wendepunkt erfolgte pünktlich zu Weihnachten 1959 mit den Kölner Synagogenschmierereien, die im Auftrag des KGB erfolgten und prompt als Startschuß zu der Vergangenheitsbewältigung dienten, die in Hinkunft als Mehrzweckwaffe für alle anti-konservativen Vorhaben herhalten mußte.

Vorausgegangen waren die US-Wahlen 1958, als erstmals seit dem New Deal die „liberals“ siegten: Dieser Hinweis ist bedeutsam nicht zuletzt, um einer oberflächlichen Lektüre von Schrenck-Notzings berühmtem Buch „Charakterwäsche“ abzuhelfen. Denn die „Reeducation“ war keine Einbahnstraße, sondern ein Wechselstromaggregat. Die Linken beiderseits des Atlantik spielten einander die Bälle zu. Bloß: „Kam ein amerikanischer Konservativer des Weges, schalteten sie die Ampeln auf Rot.“

Die deutsche Rechte war nach 1945 nicht tot, sondern „privatisiert“; an ihre Stelle im politischen Spektrum war die Mitte getreten, mit dem Resultat, daß „die Mehrheit allmählich zur einzigen Minderheit wurde, die über keine Lobby verfügt“. Man kann lange rätseln, inwieweit die Deutschen „Protektoratskinder“ waren – oder ob dieser Topos zu den Täuschungen gehört, die Konservativen vorgespielt werden, um sie von der Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens zu überzeugen. Denn in einem Punkt hat Schrenck-Notzing leider unrecht behalten. 1988 schrieb er über die Scheu der Parteien in puncto deutsche Identität, schließlich bedeute die Wiedervereinigung eine „Existenzbedrohung jeder einzelner dieser Parteien“. Ein Jahr später fiel die Mauer; doch existenzbedrohend war das, wie wir heute wissen, nicht einmal für die Partei von Sahra Wagenknecht und Genossen ...

 

Prof. Dr. Lothar Höbelt ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien

Caspar von Schrenck-Notzing: Konservative Publizistik. Texte aus den Jahren 1961 bis 2008. Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung, Berlin 2011, gebunden, 480 Seiten, Abb., 35 Euro

Foto: Caspar von Schrenck-Notzing (1927–2009): Er wollte stets mehr, als bloß die Antikommunisten und die Abendländer zu sammeln

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