© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

„Das Verbot aufheben!“
Immer mehr Katholiken kritisieren das Schreibverbot der Kirche für JF-Autor Oblinger. Auch Deutschlands bedeutendster katholischer Philosoph Robert Spaemann schließt sich an.
Moritz Schwarz

Herr Professor Spaemann, einem Gemeindepfarrer auf dem Land wird vom Bischof verboten, in dieser Zeitung zu publizieren. Eine Provinzposse?

Spaemann: Nein, ganz und gar nicht.

Sondern?

Spaemann: Ein schwerwiegender Fall von Verleumdung, der sich einreiht in eine Anzahl anderer Vorfälle, bei denen Konservative in der Kirche gemobbt werden. Man muß reagieren, weil sonst die Gefahr besteht, daß das immer weiter Schule macht.

Wer ist verantwortlich dafür?

Spaemann: Ich denke, in diesem Fall wollte sich wohl irgendwer im Apparat des Bistums durch politische Korrektheit hervortun.

Der Bischof?

Spaemann: Das glaube ich nicht. Ich vermute eher, Bischof Konrad Zdarsa wurde Opfer seiner Berater.

Aber ohne seine Zustimmung wäre das Verbot doch nicht verhängt worden?

Spaemann: Das ist kaum anzunehmen, nein.

Dann ist doch der Bischof verantwortlich.

Spaemann: Formal ja, aber nach meinen Erfahrungen ist es wohl so gelaufen, daß er die JUNGE FREIHEIT gar nicht kannte, sondern ihn Mitarbeiter darüber „informierten“, dies sei ein „rechtsradikales“ Blatt oder zumindest, daß es von manchen Leuten dafür gehalten werde.

Dafür spricht, daß es in einer Antwort seines Sekretariats auf den Protest der JUNGEN FREIHEIT hin heißt, inzwischen sehe man diese Zeitung „in einem anderen Lichte“.

Spaemann: Das muß man sehr begrüßen.

Also alles nur üble Nachrede?

Spaemann: Ganz eindeutig – Ohrenbläserei!

Die Bibel verlangt im ersten Petrus-Brief, sich nicht an Gerüchten zu beteiligen: „Legt ab alle Bosheit ... und übles Nachreden.“ Hat der Bischof mit seinem mutmaßlichen Verhalten dagegen verstoßen?

Spaemann: Wohl eher nicht. Er glaubte ja, was man ihm sagte. Es war eher Leichtgläubigkeit.

Hätte es den Bischof nicht stutzig machen müssen, daß sich in dieser Zeitung immer wieder namhafte Katholiken zu Wort melden?

Spaemann: Natürlich, wen habe ich nicht schon alles in Ihrem Blatt gelesen: Klaus Berger, Eberhard von Gemmingen, Martin Lohmann, Thomas Goppel, Peter Seewald, Bischof Marx, Kardinal Brandmüller und viele andere, ja sogar Papst-Bruder Georg Ratzinger! Das sind Leute, die dort wohl kaum zu finden wären, wenn es sich mit Ihnen so verhalten würde, wie gern unterstellt wird. Übrigens gehöre ich auch in diese Liste und fühle mich durch die Unterstellung betroffen, ich schriebe für ein extremistisches Blatt.

Sie gelten als einer der renommiertesten katholischen Philosophen in Deutschland. Warum äußern Sie sich gelegentlich auch in der JUNGEN FREIHEIT?

Spaemann: Weil sie eine gute Zeitung ist. Ich jedenfalls möchte die JUNGE FREIHEIT in der Presselandschaft nicht missen.

Sie gelten als Freund Joseph Ratzingers. Er hat Ihnen sein Buch „Kirche, Ökumene und Politik“ „in Freundschaft“ gewidmet.

Spaemann: Das stimmt, dennoch würde ich mich lieber bescheidener als einen gelegentlichen Gesprächspartner des Papstes bezeichnen.

Immerhin hat er Sie 2006 zu sich nach Castel Gandolfo eingeladen.

Spaemann: Richtig. Aber zurück zu Ihrer Zeitung: Sie steht nach meiner Ansicht christlichen und speziell katholischen Inhalten positiv gegenüber. Und der Vorwurf, sie sei rechts im Sinne von rechtsradikal, ist der reine Blödsinn. Ich möchte in Erinnerung rufen, daß die Heldengalerie Ihrer Zeitung von dem Widerstandskämpfer Graf Stauffenberg angeführt wird.

Hat die Kirche in besonderer Weise Angst, mit Vokabeln wie „rechts“ oder „konservativ“ in Verbindung gebracht zu werden?

Spaemann: Das ist leider so. Nun ist „rechts“ eine politische Kategorie und paßt deshalb in der Tat nicht so recht zur Kirche, aber auch mit dem Wörtchen „konservativ“ stehen viele auf Kriegsfuß.

Das überrascht, schließlich gilt die katholische Kirche gemeinhin an sich schon als konservativ.

Spaemann: Ja, doch tatsächlich gibt es in großen Teilen der Kirche einen Reflex: Viele denken bei „konservativ“, man sei dann nicht mehr „zukunftsfähig“. Es ist, als hätten diese Leute alle Hans Küng verinnerlicht, der „Zukunftsfähigkeit“ gerne für wichtiger hält als Wahrheit.

Das ist es nicht?

Spaemann: Nein, die Kirche hat weder in erster Linie „zukunftsfähig“ zu sein, noch zu retardieren. Vielmehr hat sie die Aufgabe, ein Gut, das ihr anvertraut worden ist, weiterzugeben. Und insofern hat die Kirche natürlich konservativ zu sein, was aber nicht bedeutet, daß sie nicht auch in mancher Hinsicht fortschrittlich oder liberal sein kann.

Der nun mit Schreibverbot belegte Pfarrer hat schon zuvor Ausgrenzung wegen seiner konservativen, romtreuen Positionen erfahren, etwa seine Abschiebung in die bayerische Provinz. Wie kann es sein, daß Romtreue in der katholischen Kirche ein Diskriminierungsgrund ist?

Spaemann: Das klingt absurd, ich weiß, aber es ist wohl nicht übertrieben festzustellen, daß deutsche Bischöfe oftmals eher der nichtchristlichen Öffentlichkeit gegenüber hörig sind, als dem Papst gegenüber treu. Der Katholik und CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert hat unlängst in einem Interview geäußert, er wünsche sich in Zukunft wieder einen nichtdeutschen Papst. Sprich, einen Papst, der von den deutschen Dingen keine Ahnung hat, damit die Bischöfe noch mehr machen können, was sie wollen. Das ist eine bezeichnende Einstellung. Und dazu gehört auch, gegenüber Leuten, die sich als konservativ bekennen, auf Distanz zu gehen.

Ein Jesuit, der lange auch für diese Zeitung schrieb, berichtete von Mobbing durch liberale Glaubensbrüder. Und schließlich mußte auch er seine Autorenschaft einstellen, der Orden hatte ihm ebenfalls Schreibverbot für die JUNGE FREIHEIT erteilt.

Spaemann: Das überrascht mich nicht, es gibt zahlreiche Beispiele für die Diskriminierung Konservativer in der deutschen katholischen Kirche, dazu müssen sie gar nicht erst in der JUNGEN FREIHEIT schreiben. Zum Beispiel hat es lange ausgereicht, als junger Priester den Wunsch zu äußern, die Heilige Messe nach der alten Liturgie feiern zu wollen, um keine Pfarrstelle mehr zu bekommen!

War die alte Messe nicht verboten?

Spaemann: Ja und nein. De facto war sie es, auch wenn der jetzige Papst sagt, das sei nicht so gewesen. Was er damit meint ist, daß das Verbot rechtsunwirksam war. Inzwischen hat er deutlich erklärt, daß der alte Ritus auf jeden Fall zulässig ist und jeder Priester auch ohne bischöfliche Erlaubnis in diesem Ritus zelebrieren darf. Und dennoch haben bis heute Priester, die hierzulande ein solches Ansinnen äußern, mit erheblichen Problemen zu rechnen. Auf der anderen Seite gab es gegen die meisten Priester, die die Messe auf eigene Faust noch weiter liberalisiert haben, in der Regel größte Toleranz von seiten der deutschen Bischöfe.

Jüngst hat der Fuldaer Bischof Algermissen dem unter konservativen Gläubigen beliebten Dompfarrer Peter-Martin Schmidt eine halbjährige „Auszeit“ zu dessen „Ruhe“ und „Neuorientierung“ verordnet.

Spaemann: Auch das überrascht mich nicht. Konservative Pfarrer haben meist keine Chance, wenn von einschlägiger Seite ein Kesseltreiben gegen sie einsetzt.

Die Publizistin Felictias Küble schildert die Mechanismen dieses Falles: „Selbst wenn es in der Gemeinde erhebliche Fürsprecher für den gemobbten Priester gibt, bekommt er vom Ordinariat nur zu hören, er ‘spalte’ die Gemeinde ... Die bischöflichen Ordinariate stellen sich fast immer auf die Seite der Laiengremien und gegen den Priester.“

Spaemann: Schlimmer noch: Sogar dann, wenn die Mehrheit der Laien auf seiten des Priesters ist! In Linz wurde unlängst ein konservativer Pfarrer, ein Pole, relegiert, obwohl er den Pfarrgemeinderat geschlossen hinter sich hatte! Der ganz offensichtlich beliebte Mann fiel einer Handvoll Progressisten zum Opfer, die sich etwa an seiner Pflege der Volksfrömmigkeit störten und, obwohl eine Minderheit, seine Ablösung erwirkten.

Im Fall Oblinger könnte man Bischof Zdarsa zugute halten, ihn habe die Sorge bewegt, die Kirche könne durch die publizistische Tätigkeit des Pfarrers in ein „schlechtes Licht“ geraten. Dann stellt sich die Frage: Ist er verpflichtet, seine Kirche zu schützen und den einzelnen zu opfern, oder ist es gerade die Christenpflicht der Kirche, sich vor den einzelnen zu stellen?

Spaemann: Eine gut und wichtige Frage! Erinnern Sie sich an die Thematisierung der Mißbrauchsfälle in der Kirche im letzten Jahr? Da gab es auch den Fall eines Mönchs, der zu Unrecht bezichtigt wurde. Dennoch ergriff sein Bischof radikale Maßnahmen gegen ihn. Und selbst als schließlich die Unschuld des Mannes erwiesen wurde, war die Bereitschaft des Bischofs nicht sehr groß, ihn zu rehabilitieren. Offenbar fürchtete er, mit einer solchen Maßnahme in der Öffentlichkeit in schlechtes Licht zu geraten. Die Frage ist also, wie weit darf Kirche dem Zeitgeist entgegenkommen? Sicher muß sie es ein Stück weit tun, aber wenn sie zu weit geht, macht sie sich schnell gemein mit Ungerechtigkeit!

Überhaupt reagierte die Kirche auf den Mißbrauchsskandal jahrelang nicht aus eigenem Antrieb, genausowenig auf den Skandal um den Weltbild-Verlag (JF berichtete), und auch im Fall Oblinger scheint sie nur Fähnlein im Wind der veröffentlichten Meinung zu sein. Muß man da nicht jeden Respekt vor ihr verlieren?

Spaemann: Leider fällt es mir schwer, Ihnen zu widersprechen. Und ein Aspekt im Fall Weltbild macht es noch schlimmer: Während sich die deutschen Bischöfe im Fall des Mißbrauchsskandals hundertmal entschuldigt haben, werden in Sachen Weltbild-Verlag auch jetzt noch die sich darüber beschwerenden Gläubigen diffamiert: Sie gelten selbst in Kirchenkreisen gerne als lächerlich, verklemmt und prüde. Und warum? Weil die Beschwerden gegen den Vertrieb unchristlicher Literatur – wie pornographische oder esoterische Bücher – durch die katholische Weltbild-Gruppe vor allem von konservativen Katholiken kam.

Es drängt sich die Frage auf: Ist die Kirche feige?

Spaemann: In mancher Hinsicht ja, leider.

Bischöfe sollen notfalls für den Glauben mit ihrem Leben einstehen, wie können ausgerechnet sie immer wieder so feige sein?

Spaemann: Als der englische Lordkanzler Thomas Morus sich 1535 weigerte, die Suprematsakte zu unterschreiben, die dem englischen König Oberhoheit über die Kirche gab, und er deshalb zum Tode verurteilt wurde, kam seine Tochter zu ihm. Sie fragte, warum er denn nicht auch unterzeichnen könne, wo doch alle Bischöfe Englands unterschrieben hätten. Morus erwiderte: Zwar stünden nicht die gegenwärtigen Bischöfe Englands hinter ihm – wohl aber die Bischöfe von anderthalb Jahrtausenden. Er zog es vor, sich enthaupten zu lassen.

Gilt für die Kirche nicht das Wort des Petrus: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“?

Spaemann: Ich kenne einige Bischöfe persönlich und muß sagen, das sind alles keine schlechten Menschen. Auch kann man ihnen nicht vorwerfen, korrupt oder machthungrig zu sein. Aber Mut und Liebe zur Wahrheit ist wohl nicht ihr hervorstechendes Merkmal. Sie wollen vor allem beliebt sein. Aber sogar das kann man verstehen, wenn man berücksichtigt, daß sie Beliebtheit brauchen, um ihre Botschaft an den Mann zu bringen. Ich denke, viele sind mit dem Amt überfordert. Kardinal Meisner hat einmal geäußert, die deutsche Kirche habe einen viel zu großen Apparat, den sie längst nicht mehr mit christlichem Geist erfüllen könne. Und als der jetzige Papst noch Erzbischof von München war, hat er mir einmal auf einem gemeinsamen Spaziergang gesagt, das größte Problem der Kirche in Deutschland sei, daß sie zuviel Geld habe. Auch er meinte also, daß der Apparat zu groß sei, so daß die Kirche ihn nicht mehr im christlichen Sinne handhaben könne.

Dann ist also nicht mit einem fairen Ausgang des Falls Oblinger zu rechnen?

Spaemann: Das kommt darauf an. Nach meiner Ansicht wäre die einzige faire Entscheidung, wenn der Bischof das Verbot aufhebt und sich hinter seinen Pfarrer stellt, da der nichts Unrechtes getan hat. Dann aber würden die Angriffe vielleicht noch schlimmer werden, als wenn der Bischof sich gar nicht gerührt hätte. Also vermute ich, er wird das Verbot aus politischen Gründen und wider besseres Wissen aufrechterhalten – in Zukunft aber vorsichtiger sein.

Pfarrer Oblinger will sich trotz allem an das Verbot halten.

Spaemann: Weil nach seiner Ansicht Gehorsam für einen Geistlichen eine wichtige Tugend ist und, wie er gegenüber den Medien erklärt hat, „dort anfängt, wo ich anderer Meinung bin“. Das ist eine Haltung, die Pfarrer Oblinger in meinen Augen außerordentlich ehrt und von der sich manche deutschen Priester und Bischöfe eine dicke Scheibe abschneiden könnten!

 

Prof. Dr. Robert Spaemann, „Spaemann zu lesen ist ein großes Vergnügen“, urteilt die Frankfurter Rundschau, und für die Zeit ist er gar „der einzige bedeutende konservative Philosoph der Bundesrepublik ... kein Anwalt der herrschenden Verhältnisse, sondern ein echter Liebhaber von Tradition und Natur, überzeugt vom Absoluten ... von Gott.“ Die Bundestagsfraktion der Grünen lädt ihn ebenso zu Beratungen ein wie Benedikt XVI. Die Neue Zürcher Zeitung zählt ihn gar zu den „Stichwortgebern des Papstes“ und sieht etwa die Rede Benedikts 2011 im Bundestag maßgeblich vom Denken des „Ökophilosophen“ (taz) Spaemann beeinflußt. Geboren 1927 in Berlin, lehrte Spaemann in Stuttgart, Heidelberg, München, Salzburg, an der Sorbonne und in Rio de Janeiro. Er veröffentlicht in FAZ, Zeit, Welt, Cicero und vielen anderen Publikationen. Seine zahlreichen Bücher sind in 13 Sprachen übersetzt. Zu seinen interessantesten Werken zählen: „Zur Kritik der politischen Utopie“ (1977), „Töten oder sterben lassen?“ (1997) oder „Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott“ (2005) Jüngst erschien die Broschüre: „Nach uns die Kernschmelze: Hybris im Atomzeitalter“ (2011)

Foto: Philosoph, Publizist und Gesprächspartner des Papstes, Robert Spaemann: „Ein schwerer Fall von Verleumdung. Man muß reagieren, weil sonst Gefahr besteht, daß das Schule macht.“

 

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