© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Die „Tea-Party-Time“ ist vorerst vorüber
USA: Sorgte die Graswurzelbewegung bei den Kongreßwahlen 2010 für Furore, fehlt ihr bei den Präsidentschaftswahlen die Durchschlagskraft
Ralph Schoellhammer

In fast allen amerikanischen Kleinstädten ist es Tradition, daß Kinder nach der Schule sich mit kleinen Limonadeständen das Taschengeld aufbessern. So auch in den Vororten von Portland im Bundesstaat Oregon, wo die siebenjährige Julie Murphy im August 2010 Limonade an ihre Nachbarn verkaufte. Oder, besser gesagt, verkaufen wollte: Kurz nachdem sie mit Hilfe ihres Vaters den kleinen Verkaufsstand aufgebaut hatte, forderte die Polizei die Siebenjährige auf, entweder ihre Schanklizenz vorzuweisen oder 500 Dollar Bußgeld zu bezahlen. Auch wenn die Behörden am Ende die Strafe aussetzten, durfte das Mädchen keine Limonade mehr verkaufen.

Es waren Geschichten wie diese, die die Anhänger der Tea-Party-Bewegung für die Kongreßwahlen im November 2010 mobilisierten und damit die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Republikaner verschoben. Von dieser Energie scheint im aktuellen Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur jedoch nicht mehr viel übrig zu sein.

Ursprünglich hatte es ausgesehen, als würde an der Tea Party in der republikanischen Partei kein Weg vorbeiführen. Folgerichtig titelte das Time-Magazin im September 2010 „It’s Tea Party Time“. Doch knapp eineinhalb Jahre später sucht man deren Einfluß bei den verbliebenen republikanischen Präsidentschaftsanwärtern vergebens. Auch wenn noch nicht feststeht, wer im November gegen Obama antritt, ist klar daß die aussichtsreichsten Bewerber nicht der Tea-Party-Bewegung zuzurechnen sind.

Der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich und der frühere Gouverneur von Massachusetts, Mitt Romney, liefern sich im Moment ein Kopf-an-Kopf-Rennen – beide gehören aber zum republikanischen Polit-Establishment und bilden damit ebenjenen traditionellen Flügel innerhalb der Partei, welchen die Tea Party mehr für einen Teil des Problems als der Lösung hält. Und das nicht ohne Grund: Der Anstoß zur Mobilisierung des rechten Randes der Republikaner war Obamas Gesundheitsreform. Das Pikante daran ist, daß diese Reform im Kern dem Gesundheitssystem von Massachusetts nachempfunden ist – welche unter Gouverneur Romney verabschiedet wurde.

Auch Newt Gingrich sprach sich in der Vergangenheit immer wieder für eine verpflichtende Krankenversicherung unter staatlicher Aufsicht aus, von seiner Kritik an dem Steuerplan von Paul Ryan, einem der Jungstars der Tea Party, ganz zu schweigen. Beide sind damit untragbar für die Aktivisten der Tea Party.

Mit Beginn der Vorwahlen schwand deren Einfluß zusehends. Mit dem Ausscheiden von Michele Bachmann (JF 26/11) und Herman Cain verbleiben nur noch Rick Santorum und das libertäre Urgestein und Wegbereiter der Tea party Ron Paul (JF 35/11) als ideologische Verbündete – mit wenig Chancen auf die Nominierung.

Auch wenn die untergeordnete Rolle der Tea Party überraschen mag, verschwinden wird die Bewegung noch lange nicht. Präsidentschaftswahlen folgen einer anderen Logik als Kongreßwahlen: Die Tea Party hatte von Anbeginn an ein stark eingeschränktes Angebot an politischen Forderungen: Steuersenkungen, Schuldenabbau, Deregulierung und eine Verkleinerung des Staatsapparates. Im Rahmen von Kongreßwahlen, welche auf lokaler Ebene stattfinden und traditionell von innenpolitischen Themen dominiert werden, war die Tea Party dabei kaum zu schlagen. Zählt bei der Wahl zum Präsidenten in erster Linie Charisma und Persönlichkeit, so werden Kongreßwahlen stärker von Sachthemen bestimmt. Entsprechend gewann Michele Bachmann den Kampf um einen Kongreßsitz für den Bundesstaat Minnesota mit einem Feldzug gegen die US-Staatsverschuldung und Forderungen nach einem ausgeglichenen Budget. Trotz eines nahezu identischen Programms stürzte Bachmann bereits nach den ersten Vorwahlen steil ab – und gab das Rennen auf – Rick Perry, und John Huntsman folgten.

Wenn die Amerikaner ihre Kongreßabgeordneten wählen, interessieren sie sich für Geschichten wie jene von Julie Murphy – alltägliche Dinge, welche von ihren lokalen Repräsentanten in Washington angepackt werden sollen. Bei der Wahl zum Präsidenten sehen die Dinge anders aus: Die Erwartungen sind weitaus höher, und nicht nur das Programm, sondern auch der Charakter des Kandidaten stehen zur Wahl. Der Wahlkampf ist eine gigantische Showveranstaltung, und genauso sieht auch die Themenwahl aus.

Bachmann und Cain versuchten ihre Anhänger mit dem drohenden wirtschaftlichen Kollaps der USA zu mobilisieren, doch was 2010 noch für einen republikanischen Sieg reichte, verpufft nun wirkungslos.

Wie bedeutungslos Themen abseits der Wirtschaftspolitik für die Tea Party wirklich sind, zeigte sich in den von ihr unterstützten Kandidaten: Egal ob weiblicher Kandidat wie Michele Bachmann oder Afroamerikaner wie Herman Cain, entscheidend war allein das potentielle Programm zur Revitalisierung der amerikanischen Wirtschaft.

Daß nun der Katholik Rick Santorum zusehends in die Rolle des Tea-Party-Kandidaten schlüpft, liegt mehr an seinem konservativen Zugang zu wirtschaftlichen Fragen als an seiner religiösen Weltsicht. Auch die Tatsache, daß Ron Paul in seinem bereits dritten Anlauf um die Präsidentschaft seine bisher größten Erfolge einfährt, ist dessen libertärer, nahezu fanatisch staatsfeindlicher Haltung zuzuschreiben und nicht seiner Position gegenüber Abtreibung oder Einwanderung – Themenblöcke, bei denen Pauls liberale Haltung konservative Wähler in der Vergangenheit eher verschreckte als mobilisierte.

Abgesehen vom Kern der Tea Party scheinen sich viele konservative Wähler jedoch mehr für die außerehelichen Affären als das Wirtschaftsprogramm der Kandidaten zu interessieren. Herman Cain war lange Zeit der absolute Liebling der Tea Party: Ein politischer Außenseiter und in der Privatwirtschaft erfolgreich – doch nachdem ihm eine außereheliche Beziehung nachgesagt wurde, war es mit der Kandidatur schon wieder vorbei – und die Tea-Party-Time vorerst vorüber.

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