© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Zwischen Skylla und Charybdis
Geldpolitik: Die Zentralbanken agieren im Spannungsfeld zwischen Deflations- und Inflationspolitik
Fabian Grummes

Spätestens seit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers vor über drei Jahren befinden sich die Notenbanken der westlichen Welt auf einer monetären Odyssee, die letztlich nur mit einem Systemzusammenbruch enden kann. Rettungs- und Stützungsprogramme lösen sich seit gut drei Jahren in schöner Regelmäßigkeit ab. Rettungsschirme für ganze Länder wurden aufgespannt, erweitert, verlängert (EFSF) und sollen ab diesem Jahr schließlich in dauerhafte Einrichtungen (ESM) umgewandelt werden.

Genützt hat es bisher wenig – die Schuldenlast Griechenlands beispielsweise stieg von 99 Prozent im Jahr 2008 auf über 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2011. Etliche Nationen haben sich unter die Rettungsschirme geflüchtet und es darf getrost davon ausgegangen werden, daß den Griechen, Portugiesen oder Iren noch weitere folgen werden. Gelöst wurde die Krise dabei nicht – im Gegenteil. Doch woran liegt dies und was haben die Notenbanken damit zu tun?

Die Ursachen für die derzeitigen Krisen des Finanz- und Wirtschaftssystems liegen in der völligen Überschuldung nahezu aller westlichen Staaten, welche wiederum ihrerseits in dem Schuld-und Scheingeldsystem begründet liegt, das nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1971 weltweit implementiert wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle (westlichen) Währungen an den Dollar gebunden und dieser an das Gold – 35 US-Dollar entsprachen einer Unze Gold, und die Zentralbanken konnten ihre Dollarbestände gegen selbiges eintauschen. Da die USA insbesondere durch die „Guns and butter“-Politik von Lyndon B. Johnson immer größere Handelsbilanzdefizite und damit Goldabflüsse zu verzeichnen hatten, schloß Johnsons Nachfolger, Richard Nixon, im August 1971 das Goldfenster und verweigerte den übrigen Nationen die Möglichkeit, ihre Dollar weiterhin in Gold einzutauschen.

Damit fiel der „goldene Anker“, der bisher alle Staaten zu einer mehr oder weniger starken Budgetdisziplin gezwungen hatte, weg. Vor allem dank der massiven Ausweitung staatlicher Wohlfahrtsprogramme zogen die Verschuldungsraten der Industrienationen an. Die Euro-Einführung 1999 beschleunigte diese Entwicklung noch einmal. Insbesondere die südeuropäischen EU-Staaten konnten sich plötzlich zu Zinssätzen verschulden, die zuvor nur den Deutschen oder Niederländern von den Märkten gewährt wurden.

Nun gibt es gemeinhin drei Möglichkeiten, sich seiner Schulden zu entledigen. Der ehrlichste Weg, die Tilgung, ist aufgrund der unvorstellbaren Höhe der Schulden nahezu ausgeschlossen, zumal auch die Tilgungswilligkeit selbst kaum vorhanden ist. Auch die zweite Möglichkeit, nämlich die Schuldenlast durch eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistung wieder in eine erträgliche Relation zu derselben zu bringen, scheint angesichts der zunehmenden globalen Konkurrenz wenig wahrscheinlich.

Da die ersten beiden Wege verbaut sind, bliebe dem Schuldner normalerweise nur der Offenbarungseid. Er erklärt gegenüber seinen Gläubigern, daß er nicht mehr in der Lage ist, seine Schulden zu begleichen. Ein solcher Schritt hätte aufgrund der globalen Vernetzung der Finanzmärkte das Potential, eine Kettenreaktion auszulösen. Der Bankrott von Lehman Brothers hat hierauf einen Vorgeschmack geliefert. In unserem Geldsystem, in dem jedem Guthaben eine entsprechende Schuld gegenübersteht, kann die Ausbuchung der Schulden im drastischsten Fall dazu führen, daß es keinerlei Geld mehr gibt (außer vielleicht jenem Geld, welches physisch in Form von Banknoten und Münzen im Umlauf ist). Die Folgen wären selbstredend verheerend und würden die Weltwirtschaftskrise von 1929 wie einen fröhlichen Familienspaziergang aussehen lassen. Kein Wunder, daß die meisten Ökonomen eine solche Deflationsspirale fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Nun ist es aber so, daß sich für Staaten ein vierter (vermeintlicher) Lösungsweg eröffnet. Wann immer Zahlungsausfälle drohen aufzutreten, können sie mit der Druckerpresse, also per Geldschöpfung aus dem Nichts (Fiat Money), verhindert werden. Wo immer das Vertrauen in die Bonität der jeweiligen Schuldner nachläßt und sich immer weniger Käufer bereitfinden, zu niedrigen Zinsen Staatsanleihen aufzukaufen, da können die Notenbanken einspringen. Sie kaufen Anleihen zu einem entsprechenden Kurs auf, halten somit die Zinsen niedrig und entlasten damit den Schuldner bis zur nächsten Anleiheemission. Genau dies wird seit einigen Jahren überall praktiziert. Nur leider ist damit das Problem nur in die Zukunft verlagert und alles andere als gelöst.

Tatsächlich wird es sogar immer drückender, denn die Schulden bleiben bestehen bzw. werden dadurch sogar noch größer. Die Bilanz der Zentralbanken hingegen bläht sich immer weiter auf und im Wirtschaftssystem kursiert immer mehr Geld. Da die Forderung nach einer Lösung nur in die Zukunft verschoben wurde, stellt sich das Problem bald erneut, und die Zentralbanken müssen wieder eingreifen. Am Ende finanzieren sie die Staaten fast ausschließlich über die Druckerpresse und das Geldwesen gleitet in die Hyperinflation ab – einem monetären Ereignis, welches noch verheerender ist als die deflationäre Depression, da hier nicht nur alle Geldvermögen real (nicht nominal) vernichtet werden, sondern auch die Werte, die eine Gesellschaft zusammenhalten.

An diesem Punkt sind wir noch nicht. Weltweit werden die Zentralbanken alles tun, um deflationäre Tendenzen zu verhindern. Vor allem in Europa gibt es noch nennenswerten Widerstand gegenüber der maßlosen Nutzung der Druckerpresse. Entsprechend wird immer wieder mit dem Deflationskollaps gedroht (als Beispiel sei nur Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds/IWF genannt), bis die Widerständler schließlich mürbe sind und den Widerstand aufgeben. Dies war bei der ersten Griechenland-Rettung 2010 der Fall, bei der Errichtung des Euro-Rettungsfonds EFSF verhielt es sich nicht anders, und bei der Einführung von Euro-Bonds wird es ähnlich ablaufen.

Den Zentralbanken geht es dabei wie dem homerischen Odysseus. Hatte der antike Held die Wahl zwischen den Ungeheuern Skylla und Charybdis, so rudern die Zentralbanken im Zuge ihrer monetären Irrfahrt bei dem Versuch, dem Deflationsmonster zu entkommen, in die Arme des Inflationsmonsters. Das Ende des Geldsystems ist dabei in beiden Fällen unausweichlich. Für den Bürger besteht der Unterschied lediglich darin, ob der Zusammenbruch schnell und hart als Deflationsspirale abläuft oder aber zunächst langsam und schleichend, dafür am Ende um so schmerzhafter in Form einer Hyperinflation stattfindet.

 

Fabian Grummes ist Edelmetallexperte beim Anlegermagazin „Smart Investor“. www.smartinvestor.de

Foto: Der Euro auf Kurs in den Rachen des Inflationsmonsters: In Europa gibt es noch Widerstand gegenüber der maßlosen Nutzung der Druckerpresse

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen