© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Pankraz,
Jagau/Mück und das tödliche Experiment

Geglücktes Experiment: Die voriges Jahr von zwei jungen Mainzer Chemikern, Thomas Jagau (25) und Leonie Mück (26), gegründete Zeitschrift für mißglückte Experimente hat sich bewährt und fest etabliert. Ihr Obertitel, „JUnQ“ (gebildet aus den Initialen des Titels der englischen Ausgabe, Journal of Unsolved Questions), klingt geheimnisvoll und reizt, zusammen mit dem originellen Logo, einem Papierkorb, zum Kauf. Die Auflage hat sich stabilisiert, es gibt eine Menge Klicks im Internet, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft preist das Magazin inzwischen als „echte Hochschulperle“.

Nun muß man allerdings konstatieren (und Thomas Jagau räumt das im Interview auch ohne weiteres ein), daß die Idee zu JUnQ nicht ganz neu ist. Schon seit vielen Jahren gibt es etwa als Goldmann-Taschenbuch das vielbändige, ständig erweiterte „Lexikon der Niederlagen“; das ist eine zwar unterhaltsame, doch auch ziemlich verdrießliche Lektüre. Mit höhnischem Duktus werden am laufenden Band kleine und große Katastrophen aus dem Alltag und aus der Wissenschaft serviert, untermischt mit Abbildungen erfolgloser Erfindungen und sinnloser Patentanmeldungen.

Da ist zum Beispiel die Geschichte des Schlangenmenschen, der sich bei einer öffentlichen Vorführung so kunstreich verknotet, daß er seine Glieder am Ende nicht mehr entwirren kann und als handliches Bündel in die Klinik abtransportiert werden muß. Oder die Geschichte von dem Selbstmörder, der aus dem 86. Stock springt und von einer Windbö wohlbehalten auf den Sims des 85. Stocks geweht wird. Oder die Story von der mißlungenen Münzprägung in Washington: Die Münze soll die Aufschrift „In God We Trust“ tragen, aber als der Öffentlichkeit die ersten Exemplare vorgestellt werden, steht darauf: „In Gold We Trust“.

Mit solchen Mißlungenheiten will JUnQ natürlich nichts zu tun haben, obwohl – muß man leider feststellen – mancher Beitrag auch dort nach bloßem Amüsement und kollegialer Schadenfreude schmeckt. Sogar jugendlich-ignorante Überheblichkeit bricht manchmal durch. „Die wissenschaftliche Gemeinschaft muß von ihrem hohen Roß heruntergeholt werden“, verkündet Leonie Mück, „viel zu oft lassen Forscher widersprüchliche Ergebnisse unter den Tisch fallen!“

„Auch ein Scheitern“, fährt sie altklug fort, „stellt einen Erkenntnisgewinn dar“, und Jagau ergänzt stolz: „Wir publizieren Aufsätze über Forschungsprojekte, deren Versuchsaufbau nicht gelang oder deren Daten keine Schlüsse zuließen (...) Jeweils zwei Forscher, die sich mit den entsprechenden Themen auskennen, prüfen die wissenschaftliche Qualität von jedem Beitrag, bevor er veröffentlicht wird.“

Indes, hat nicht schon Karl Raimund Popper vor Jahr und Tag die dauernde Falsifizierung experimenteller Forschungsergebnisse zum Grundprinzip jeglicher Welterkenntnis erklärt? Jedes scheinbar „geglückte“ Experiment, so lehrte er unter allgemeinem Beifall, muß in den Krokodilsteich professioneller Falsifikateure geschmissen werden, die buchstäblich alles daransetzen, einer jungfräulichen Theorie mittels „besserer“ Experimente eine möglichst vernichtende Niederlage zu bereiten. Und der entlarvte Irrtum muß öffentlich ausgestellt werden, damit wir alle davon lernen können.

Nichts Neues also in Mainz? Das will Pankraz nicht sagen. Denn die Zustände im Wissenschaftsbetrieb haben sich, Popper sei’s geklagt, in den letzten Jahren nicht unbedingt verbessert. Immer ungenierter rücken an Universitäten und sonstigen Wissenschaftsinstituten frisch installierte PR-Abteilungen nach vorn, welche nur noch um öffentliche Aufmerksamkeit um jeden Preis buhlen und dabei vielerorts „sensationelle Ergebnisse“ anpreisen, die nur noch lächerlich sind und nur gehandhabt werden, um an staatliche oder mäzenatische Fördermittel heranzukommen.

Zunehmend rücken auch völlig neuartige Forschergestalten ins Feld, die ihre Vorträge und Aufsätze auf „Experimente“ stützen, die sie exklusiv an Computern durchgeführt haben und deren Kurven und Tabellen nur sie allein gesehen haben (wollen). Erinnert sei an den Fall des kürzlich als dreister Fälscher entlarvten „jungen Physikgenies“ Jan Hendrik Schön, dem man nur auf die Spur kam, weil er vergessen hatte, seine Computerkurven, welche er in eindeutig egoistischer Absicht manipuliert hatte, zu löschen. Er wurde tatsächlich erst von schnöden Hackern zur Strecke gebracht, die hier eben einmal nicht schnöde waren.

Es läßt sich gar nicht mehr übersehen: Der ehrwürdige Begriff des wissenschaftlichen Experiments hat arg gelitten. Experimente werden – gerade was die physikalisch-chemische Grundlagenforschung betrifft – nicht mehr real, sondern nur noch virtuell arrangiert, und ihre Resultate sind oft rein fiktiv, können jedenfalls nicht mehr ohne weiteres nachvollzogen und dadurch überprüft werden. Wenn jetzt gebildete junge Leute publizistisch für Besserung sorgen wollen, indem sie auf der „Ordentlichkeit“ (Thomas Jagau) experimenteller Versuchanordnungen beharren, so ist das hoch zu begrüßen.

Man darf gespannt sein, wie sich das Projekt JUnQ weiterentwickelt und ob es sich überhaupt weiterentwickelt. Experimente haben ja nicht nur eine erkenntnistheoretische, sondern auch eine moralisch-ethische Seite; dieser sollte man sich unbedingt im gleichen Maße widmen, wenn man eine anspruchsvolle Zeitschrift für mißglückte Experimente herausgibt.

Es gibt das Problem der Tierversuche, bei denen Hekatomben lebendiger Kreaturen unter oft gräßlichsten Umständen zu Tode befördert werden – nur um irgendwelche Nichtigkeiten oder Modesächelchen herauszubekommen. Es gibt das Problem verdeckter Menschenversuche, bei denen profitgeile Pharmakonzerne oder linke Politiker tückisch mit Mitbürgern herum-
experimentieren. „Operation gelungen, Patient tot“, heißt es dann oft. Bei Mück/Jagau könnte man eventuell erfahren, ob das ein mißglücktes Experiment war und warum.

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