© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

„Ausgegrenzt und diskriminiert“
Studie: Deutsche Eltern schuld an mangelnden Sprachkenntnissen von Einwandererkindern
Lion Edler

Seit der Veröffentlichung der ersten Pisa-Studie vor zehn Jahren hat sich die Politik das Ziel gesetzt, die Sprachkenntnisse von Kindern aus Einwandererfamilien zu verbessern. Wie eine nun vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung publizierte Studie zeigt, sind die Erfolge bescheiden.

Die jetzt veröffentlichte Untersuchung der Autoren Tanja Kiziak, Vera Kreuter und Reiner Klingholz stützt sich dabei auf Erhebungen aus dem Jahr 2009. Danach wurde in Berliner Kindertagesstätten bei 34 Prozent der Kinder unter vier Jahren, deren Muttersprache nicht Deutsch war, ein Sprachförderbedarf festgestellt. Bei Kindern mit deutscher Herkunftssprache lag der Anteil bei acht Prozent. In München waren die Deutschkenntnisse sogar bei 46 Prozent der Kinder mit nichtdeutscher Familiensprache eineinhalb Jahre vor der Einschulung „unzureichend“.

Als wichtige Ursache des Problems macht die Analyse aus, daß meistens „Eltern und sonstige enge Bezugspersonen nicht oder nur schlecht Deutsch sprechen“. So zitiert die Studie eine Befragung unter Ausländern, nach der in 45 Prozent der befragten Familien zu Hause ausschließlich die Herkunftssprache gesprochen wird. In einer anderen Erhebung wurden neben Ausländern auch Einwanderer mit deutscher Staatsbürgerschaft befragt. Hier kommen Familien, in denen man „ausschließlich oder überwiegend eine andere Sprache“ spricht, immer noch auf einen Anteil von 27 Prozent.

Dabei zeigen sich starke Unterschiede zwischen den Herkunftsländern: So konnten laut Studie im Jahr 2009 weniger als zwei Drittel der Türkischstämmigen nach eigenen Angaben „gut oder sehr gut“ Deutsch sprechen. Bei Einwanderern aus Osteuropa und dem ehemaligen Jugoslawien lagen die Anteile dagegen bei rund 80 Prozent, bei Zuwanderern aus West- und Nordeuropa bei über 90 Prozent.

Mit Blick auf den Spracherwerb sieht die Untersuchung das Heiratsverhalten türkischer Einwanderer kritisch: 2005 waren nur fünf Prozent der verheirateten eingewanderten Türken mit einer Deutschen verheiratet, in anderen Einwanderergruppen lag der Anteil zwischen 14 und 34 Prozent. Besonders schwierig sei der Spracherwerb, wenn Personen geheiratet würden, die erst nach der Ehe nach Deutschland ziehen. Auch dies ist bei Türken auffallend häufig: Zwischen 2000 und 2004 wurden bei verheirateten türkischstämmigen Personen 36 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen verheiratet, bevor der Partner aus der Türkei zuzog. Andere Untersuchungen zeigten jedoch, daß die Deutschkenntnisse bei jüngeren Einwanderern besser seien als bei älteren, weshalb sich die Situation längerfristig vermutlich bessern werde.

Die Autoren sehen die mangelnden Deutschkenntnisse nicht alleine als Folge von Versäumnissen innerhalb der Familie. Diese müßten vielmehr „auch als Indiz für umfassendere gesellschaftliche Fehlentwicklungen“ gesehen werden. So sei die Tatsache, daß Einwanderer „oft in Quartieren unter ihresgleichen leben“, eine Folge davon, daß sie „teils von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt und etwa von Vermietern diskriminiert“ würden.

Als weitere Ursache sieht die Studie die Situation in den Kindertagesstätten. Eltern mit hohem Bildungsstand schickten ihre Kinder häufiger in Kitas in Gegenden, „wo die Bedingungen ihrer Ansicht nach günstiger sind“. Aber auch Aufnahmekriterien und hohe Elternbeiträge könnten dazu führen, daß „möglicherweise einige Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache keinen Zugang zu bestimmten Kitas haben.“

Um Abhilfe zu verschaffen, müsse möglichst die gesamte Kindergartenzeit vom Staat finanziert werden. Zudem müsse durch Weiterbildung von Erziehern Wissen vermittelt werden „etwa über den kindlichen Spracherwerb und speziell über den Zweitspracherwerb“. Vor allem fehle es jedoch an Personal, das selbst einen „Migrationshintergrund“ habe und sich somit besser in entsprechende Kinder hineinversetzen könne.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen