© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Unser Geld ist futsch
Euro: Der auf dem EU-Gipfel beschlossene Rettungsschirm ESM kommt Deutschland teuer zu stehen, hilft aber trotzdem nicht
Paul Rosen

Nacht senkt sich über Europa. Der alte Kontinent versinkt in Schulden. Seine Politiker und Bürger haben zu lange über ihre Verhältnisse gelebt, Geld ausgegeben, ehe es verdient war. Die Politiker – früher hätte man von Staatsmännern geredet – hetzen von einem Krisengipfel zum nächsten, um Hilfsprogramme zu beschließen, Rettungsschirme aufzuspannen und gleich danach schon wieder zu erweitern. Ein Ende des abendländischen Dramas ist nicht in Sicht. Geschichte wiederholt sich angeblich nicht, aber auf dem jüngsten Gipfel in Brüssel stand die deutsche Kanzlerin Angela Merkel allein in Europa. Berlin ist sich wieder einmal nicht im klaren darüber, daß es sich im Konzert der Mächte zu isolieren beginnt.

In der Flut der Regierungsäußerungen, Interviews und Talkrunden wurde übersehen, daß die sonst so verlautbarungsfreudige Merkel in der Woche vor dem EU-Gipfel keine Regierungserklärung im Bundestag abgab. Was hätte sie auch sagen sollen? Daß Deutschland durchsetzen wird, daß der Rettungsschirm nicht größer wird als 500 Milliarden Euro? Jeder Volkswirt im zweiten Semester kann auf dem Bierdeckel vorrechnen, daß die Summe nicht reichen wird, wenn ein großes Euro-Land wie Italien oder Frankreich unter den Schirm muß. Hätte Merkel sagen sollen, daß sie ein Klagerecht der EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Schuldensünder durchsetzt? Auch dies steht nicht in den Gipfelbeschlüssen von Brüssel. Der deutsche Versuch, Europa seine angebliche Stabilitätskultur, die bei zwei Billionen Euro Gesamtschulden ohnehin nicht überzeugt, zu stiften, ist gescheitert.

Der Fiskalpakt, auf den sich die Europäer in Brüssel verständigten, ist das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben wurde. Die Schuldenbremse wirkt wegen ihrer Ausnahmeregeln nicht. Ein Klagerecht gegen Schuldensünder sollte die EU-Kommission erhalten. Daraus wurde nichts. Das Klagerecht steht nur einzelnen Ländern zu. Seine Lächerlichkeit wird an einem – bisher fiktiven – Beispiel deutlich: Griechenland verklagt Portugal vor dem EuGH wegen zu hoher Schulden. Portugal wird zu einer Milliardenstrafe verurteilt, die es an den Rettungsschirm ESM zu überweisen hat. Es kann aber nicht zahlen, erhält das Geld daher vom ESM und überweist es an ihn zurück. Europa hat es geschafft, das Bild von der Katze, die sich in den eigenen Schanz beißt, in internationale Verträge aufzunehmen.

Gerade der um ein halbes Jahr vorgezogene Rettungsschirm ESM bleibt ein Problem für Berlin. Umfragen weisen aus, daß die Deutschen keine Ausweitung wollen. Also wurde eine Oberlinie gezogen. Mehr als 500 Milliarden sollen es nicht werden. Wobei genau auf die Wortwahl zu achten ist: „Im Augenblick gibt es für eine weiterführende Debatte überhaupt keinen Anlaß“, stellte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fest. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hält 500 Milliarden für ausreichend, weiß aber nicht, „was in der Zukunft passiert“. Das heißt, schon im März kann die Sache ganz anders aussehen und eine Aufstockung auf 750 Milliarden oder eine Billion Euro erfolgen.

Problematisch für Merkel und Schäuble ist, daß sie insgesamt 21,7 Milliarden Euro in bar in den ESM als Sicherheit werden einzahlen müssen. Der Betrag wird komplett durch neue Schulden finanziert, die – weil für den guten Zweck Europa aufgenommen – auch nicht bei der Berechnung der nationalen Schuldenbremse mitzählen. Damit ist auch dieses angebliche Stabilitätsinstrument als Placebo entlarvt. Schäuble wird einen Nachtragshaushalt vorlegen müssen, um die für 2012 vorgesehene Rate für den ESM in Höhe von 8,6 Milliarden zu begleichen.

Das könnte mit der eigenen Mehrheit für die Bürgerlichen schwierig werden. Man weiß nicht, wie sich Teile der FDP-Fraktion verhalten werden, wenn sie aus ihrem autistischen Zustand erwachen sollten. Auch in der Union gibt es Widerstand gegen den ESM und das Vorziehen des Fonds, der damit ein halbes Jahr zu dem bereits existierenden und bis Ende des Jahres befristeten Schirm namens EFSF parallel laufen würde. Abgeordnete wie Wolfgang Bosbach und Klaus-Peter Willsch wissen natürlich, daß die bereitgestellten Mittel nicht reichen werden, die Feuersbrunst der europäischen Staatsverschuldung zu löschen. Die SPD will aber eine Vergrößerung des Schirms, was einen Börsendienst zu einem Kommentar über den SPD-Fraktionsvorsitzenden mit der Überschrift „Steinmeier dreht durch“ veranlaßte.

International wie national stehen Regierung und Koalition also unter Druck, einer Erhöhung des Schirmvolumens zuzustimmen. Merkels angeblicher französischer Freund Sarkozy war schon immer dafür, ehe er eine Zeitlang aus taktischen Gründen mit den Deutschen auf Sparkurs ging und von einer Finanztransaktionssteuer auf Aktien zu schwärmen begann. Während die CDU/CSU und die linke Opposition über die vermeintlich neue Einnahmequelle jubelten und bereits Überlegungen anstellten, wie man das Geld am besten verteilen könnte, wurde übersehen, daß Sarkozy mit der kleinen Lösung (Berlin will den gesamten Wertpapierhandel besteuern) ins britische Lager übergewechselt war, wo man diese Steuer als harmlose Stempelsteuer auf den Aktienhandel bereits kennt.

Abgesehen davon, daß eine Finanztransaktionssteuer den Handel mit gefährlichen Papieren wie Derivaten und mit Kreditausfallversicherungen nicht verhindert, sondern der Staat oder die Staaten sich damit als Steuereinnehmer an den Tisch der großen Zocker wie der Deutschen Bank setzen, sind Großbritannien und Frankreich längst der Meinung, daß eine Lösung des Schuldenproblems nur im Anwerfen der Notenpresse bestehen kann. Das heißt: Erst wird der ESM bis zum Anschlag ausgenutzt. Parallel dazu und danach verstärkt wird die längst französisch-italienisch kontrollierte Europäische Zentralbank Staatsanleihen aufkaufen und als Sicherheiten für Kredite an Banken akzeptieren. Nach einer Scheinblüte bei Aktienkursen und Konsum wird Europa von der Inflation zerfressen und der Euro wertlos zerbrechen.

 

Der Europäische Stabilitätsmechanismus

Der permanente Euro-Rettungsfonds ESM soll die provisorische „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF)“ ablösen. Anders als bei der EFSF müssen die Staaten beim ESM tatsächlich Geld überweisen. Beabsichtigt wird, daß so erstens zinsgünstige Kredite an Krisenstaaten vergeben und zweitens Haftungsgarantien ausgesprochen werden können.

Damit der Rettungsfonds 500 Milliarden Euro an Krediten auszahlen kann, muß er mit 700 Milliarden Euro ausgestattet werden, wobei 620 Milliarden Euro – zunächst – als Garantie vorliegen, 80 Milliarden als Bareinlage. Auf Deutschland entfällt dabei anteilsgemäß ein Betrag von insgesamt 190 Milliarden Euro. An der Spitze des ESM steht nominell der Gouverneursrat, bestehend aus den Finanzministern der Euro-Gruppe. De facto hat jedoch das Direktorium (ein Vertreter pro Mitgliedstaat) das Sagen. In besonders „dringenden“ Fällen kann dieses Direktorium mit einfacher Mehrheit per Eilverfahren das von den Mitgliedstaaten bereitgestellte Kapital abrufen; sogar über die jeweils bar eingezahlte Summe hinaus, ohne daß der Bundestag darüber noch einmal abstimmen müßte.

Noch bevor der ESM-Vertrag endgültig ratifiziert worden ist, werden Forderungen nach einer erneuten Aufstockung laut. Italiens Premier Monti fordert, das Volumen auf eine Billion Euro zu erhöhen; amerikanische Finanzwissenschaftler behaupten, schlimmstenfalls sei eine sagenhafte Summe von bis zu 5.000 Milliarden Euro nötig.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen