© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

„Der Euro ist stabil –durch Vertragsbruch“
Interview: Manfred Brunner ist Euro-Kritiker der ersten Stunde. Seine Einwände sieht er von der aktuellen Krise bestätigt
Christian Vollradt

Mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Maastricht im Jahr 1993 haben Sie erreicht, daß Karlsruhe eine Währungsstabilitätspolitik als Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit der Euro-Währungsunion festgeschrieben hat. Handelt der Bundestag verfassungskonform, wenn er in Kürze der Errichtung des permanenten Rettungsschirms ESM zustimmen wird?

Brunner: Beim Wort „vertragskonform“ muß man sich daran erinnern, daß nie vorgesehen war, den Vertrag hinsichtlich jener Klauseln zu erfüllen, die zur Beruhigung der deutschen Wähler eingefügt wurden, wie „dauerhafte Konvergenz“ oder „Stabilität“. Die vorhersehbare Nichterfüllbarkeit der deutschen Vertragsbausteine und die daraus resultierende Konfusion sollte die Sachzwänge für die politische Union liefern, die im ersten Anlauf nicht erreichbar war. Das Verfassungsgericht konnte dieses Spiel wohl nicht durchschauen oder scheute die Konsequenzen, die ein klarer Blick für die Machtbalance unserer Verfassungsorgane gehabt hätte.

Hält man sich an das Maastricht-Urteil, müßte Deutschland dann nicht jetzt aus dem Euro „austreten“, nachdem er sich als Weichwährung erwiesen hat?

Brunner: Noch ist der Euro keine Weichwährung. Aber nur um den Preis fortgesetzten Vertragsbruches, schwindelerregender deutscher Haushaltsgarantien und Finanzleistungen sowie dem soeben in Davos von der Kanzlerin konkretisierten Versprechen des Beitritts Deutschlands zu einer politischen Union. Am Ende umsonst, denn dies alles wird außer zu einer Entdemokratisierung auch zu jener weichen Währung führen, um derentwillen man die D-Mark ja auch aufgeben wollte.

Nun haben Angela Merkel und der Unionsfraktionsvorsitzende Kauder die lauter werdenden Forderungen, den geplanten Euro-Rettungsschirm ESM noch einmal aufzustocken, zurückgewiesen: alles nur Beschwichtigungsrhetorik oder endlich ein Sinneswandel?

Brunner: Auch diese Position wird geräumt werden müssen. Wer – wie Goethe schon sagte – die Jacke oben falsch einknöpft, kann dies weiter unten nicht mehr korrigieren. Er muß bereit sein, rückgängig zu machen, ganz neu und richtig zu beginnen.

Wem trauen Sie am ehesten zu, die Kritiker der Euro-Rettungspolitik parlamentarisch zu vertreten: einer FDP, die sich die Positionen des Abgeordneten Frank Schäffler zu eigen macht, oder den Freien Wählern, die von Hans-Olaf Henkel beraten werden?

Brunner: Die FDP steht in einer besonderen Verantwortung um ihres freiheitlichen Selbstverständnisses willen. Vor allem bei ihrer Positionierung in der sich abzeichnenden Volksabstimmung zur Aufhebung des bisherigen Grundgesetzes hin zu einer Länderverfassung innerhalb der politischen Union. Graf Lambsdorff hat srets betont: „Eine Währungsunion funktioniert nicht ohne politische Union. Und die wollen wir nicht!“ Was die Freien Wähler betrifft: Ich freue mich über deren Hinwendung zu freien Gedanken jenseits der ausgetretenen Pfade politischer Korrektheit. Sie haben durchaus viele liberale Gene und in Bayern eine gewisse Verwandtschaft zum freiheitlichen Ansatz von Peter Gauweiler. Ihre Euro-Gegnerschaft ist also konsequent.

Sie selbst hatten einst eine Spitzenposition in der Brüsseler Kommission inne: Hängt Ihrer Meinung nach tatsächlich das Schicksal Europas vom Euro ab?

Brunner: Das Wort „Währung“ kommt ja von „wahr“. Das Scheitern des Euro enthüllt die Unwahrheit seines Fundaments. Frau Merkel hat also mehr recht, als sie ahnt. Sie verwechselt nur die uneuropäisch gewordene EU mit Europa. Im vorhersehbaren Ende des Euro zeigt sich das Schicksal Europas – aber im Guten: Freihandel und freundschaftliche Bündelung der Verschiedenheit statt Repression und Bevormundung; das Europa der Vaterländer im Sinne de Gaulles, Ludwig Erhards und Thomas Dehlers. Für dieses wird man – nach dem Zusammenbruch des Europas der Eliten – Regeln brauchen, über die man ab sofort nachdenken sollte.

 

Manfred Brunner war Kabinettschef des EG-Kommissars Martin Bangemann. 1992 gab er den Posten auf und klagte gegen den Vertrag von Maastricht (siehe S. 10).

 

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