© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Preußen frieren nicht
Spanien: Bei seinem Berlin-Besuch zeigt Präsident Rajoy sein Faible für Merkel, kann aber seine Finanzprobleme nicht verhehlen
Michael Ludwig

Um als Preuße zu gelten, ziehe ich keinen Mantel an“, sagte der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy, als er in der vergangenen Woche nach einem Antrittsbesuch in Berlin ins Flugzeug stieg, um nach Madrid zurückzukehren. Die Botschaft des Regierungschefs an seine Landsleute erschließt sich, wenn man die Bilder des Besuchs Revue passieren läßt – der Spanier schritt bei eisiger Kälte in einem leichten dunklen Anzug die vor dem Kanzleramt angetretene Ehrenkompanie ab. Kälte, so ließ Rajoy wissen, muß man aushalten können, und Preußen können das. Ihre Tugenden – Fleiß, Zuverlässigkeit, Ordnung und Ausdauer – seien derzeit auf der Iberischen Halbinsel notwendiger denn je, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern.

Bei einem Arbeitsessen kamen sich die konservativen Regierungschefs Deutschlands und Spaniens näher. Die spanische Presse schwelgte in den höchsten Tönen: „Er lächelt mit einem offenen Gesicht, er gibt ihr die Hand, und sie lächelt in derselben offenen Art zurück. Beide haben viele Gemeinsamkeiten: Sie sind ernsthaft, sparsam, verabscheuen Leichtfertigkeit und Klatsch, jeder von ihnen mußte sich in der eigenen Partei den Weg an die Spitze hart erkämpfen.“

In den Konsultationen legte Rajoy offen, wie die Schuldenbremse in seinem Land in der Verfassung verankert werden soll. Außerdem ging es um die strukturelle Reform des spanischen Arbeitsmarktes sowie um die Lage der spanischen Banken. Rajoy hat, um das Vertrauen der Märkte wiederzugewinnen, der EU versprochen, das Haushaltsdefizit von sechs Prozent auf 4,4 Prozent zu senken.

Doch nach Sichtung der Kassenlage stellte sich heraus, daß die Mißwirtschaft der bis November 2011 regierenden Sozialisten unter José Luis Rodríguez Zapatero sehr viel schlimmer war als angenommen; sie hinterließen ein Defizit von real acht Prozent. Für die neugewählte Regierung bedeutet das, weitere 20 Milliarden Euro einsparen zu müssen.

Als der spanische Regierungschef in Madrid aus dem Flugzeug stieg, bekam er sogleich einen neuen Kälteschock verpaßt. Die Statistiker meldeten einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit. Sie hat mit 22,8 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. Die Quote der Jugendlichen ohne feste Anstellung kletterte auf sagenhafte 48,5 Prozent. Und außerdem: Spanair, die zweitgrößte Fluggesellschaft des Landes, mußte Konkurs anmelden. Viel Arbeit für den selbsternannten Preußen Spaniens.

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