© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Pankraz,
J. Stiglitz und das Billionenspiel

Daß die Einführung des Euro ein schlimmer Fehler war, daß er Eu-ropa geistig und materiell spaltet und in den Ruin treibt – darüber sind sich ernstzunehmende Ökonomen inzwischen einig, allen politischen Nebelwerfereien zum Trotz. Die Frage ist nur noch, wieviel uns diese Mißgeburt kosten und was billiger sein wird: ihre baldige Abschaffung oder ihre künstliche Beatmung und Hätschelung bis zum bitteren Ende. Die Summen werden auf jeden Fall beträchtlich sein.

Auf dem wuseligen „Weltwirtschaftsgipfel“ vorige Woche in Davos überwogen, soweit Pankraz das mitbekommen hat, die Stimmen, denen zufolge eine schnelle Abschaffung teurer wäre als eine klinische Dauerbehandlung, besonders für die deutsche Wirtschaft, die doch „so unendlich viel von dem unsere Exporte verbilligenden Euro profitiert“. Joe Stiglitz der ebenso scharfäugige wie scharfzüngige amerikanische Global-Ökonom, ist freilich entgegengesetzter Meinung. Und im Gegensatz zu den meisten anderen wartet er mit konkreten Zahlenprognosen auf.

Für die Dauer von etwa fünf Jahren gerechnet, so seine Einschätzung, würde eine Euro-Abschaffung die deutsche Wirtschaft, alle Umstellungsmaßnahmen und erwartbaren Exporteinbußen eingerechnet, wohl weniger als eine halbe Billion kosten. Eine Dauerbeatmung im gleichen Zeitraum hingegen würde sich auf mindestens 3,5 Billionen summieren, also auf das Siebenfache der Abschaffung. Und damit wäre wahrscheinlich immer noch kein Ende der Rettungsschirme und Hilfsgelder-Aufstockungen erzielt, die Zahlungen würden sich weiter hinschleppen.

Pankraz möchte hinzufügen: Es ist sehr fraglich, ob die Abschaffung des Euro die deutschen Exporte in unertäglicher Weise beeinträchtigen würde. Er erinnert sich noch gut der Vor-Euro-Zeit, als immer dann, wenn die Franzosen oder die Italiener wieder einmal ihre Währung abwerteten, in hiesigen Medien ein großes Wehklagen anhob, daß nun die deutschen Waren im Ausland eklatant verteuert würden und daß dadurch viele, viele Jobs im Inland gefährdet seien. Doch was geschah wirklich? Innerhalb kürzester Zeit war die Delle wieder ausgebeult, und die Industrie lief weiter wie geschmiert.

Jede dem natürlichen Wettbewerb geschuldete Währungsveränderung, so erwies sich, deprimierte die Wirtschaft keineswegs, sondern spornte sie im Gegenteil an, durch die Schaffung neuer, besserer Produkte die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Das Währungs-Auf-und-Ab zwischen unterschiedlich gewachsenen und strukturierten Volkswirtschaften war auf allen Seiten ein wohltätiges Stimulans, mittels dessen man die Verhältnisse zu Hause vernünftig in der Waage halten konnte, ohne den EU-Partnern auf die Füße treten zu müssen. Genau damit ist es seit dem Euro vorbei.

Bürokratie geht heute in der EU – fast wie einst im Osten zu Sowjetzeiten – auch in der Wirtschaft stets vor lebendiger, situativer Ad-hoc-Entscheidung, und das schlägt sich erkennbar schon in der Sprache und in der Mentalität der Euro-Europäter nieder. Man versteht nicht mehr exakt zu rechnen und die Zahlen in ein realistisches Verhältnis zu den anstehenden Entscheidungen zu bringen, auch und gerade in allerhöchsten Kreisen nicht. Ob Milliarde oder Billion – was verschlägt’s denen noch? Der nächste Rettungsschirm wird sowieso nicht reichen, und man wird weiter aufstocken müssen. Die Skala nach oben ist unendlich offen.

Es ist im doppelten Sinne des Wortes ein Nullsummenspiel. Erstens markiert die Null in diesem Spiel faktisch kaum noch eine Zahl (wieviel Nullen hat eine Billion?), zweitens verlieren die Spieler darüber peu à peu jegliches Gefühl für die Werte, die dahinterstehen und ob überhaupt noch welche dahinterstehen, ob man nicht längst über dem Abgrund tanzt. Es geht nur noch darum, „den Euro zu retten“, einerlei ob dabei Wichtigeres unrettbar den Bach hinuntergeht, der europäische Frieden beispielsweise oder die gesamten Spareinlagen der Nation inklusive Lebensversicherungen und Unternehmensbeteiligungen.

Laut Auskunft des Statistischen Bundesamtes belaufen sich die Gesamteinlagen in Deutschland auf 4,4 Billionen, sind also nur noch eine halbe Billion von der von Stiglitz genannten Summe entfernt, die innerhalb der nächsten fünf Jahre zur Rettung des Euro ausgegeben werden soll. Wem da nicht das Grausen ankommt, der ist wahrhaft abgehärtet gegen die Unbilden des Lebens, es sei denn, er hat sich das Billionenspiel der Euro-Retter seinerseits voll einverseelt und ist schon viel zu abgestumpft, um die realen Äquivalente der routinemäßig genannten Summen auch nur halbwegs noch wahrzunehmen.

Vor Zeiten, in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, als die Zeitungen und Rundfunknachrichten begannen, kontinuierlich über Finanzvorgänge zu berichten und die Leute mit der Nennung größerer, damals fast unvorstellbarer Summen zu verunsichern, beschloß die Bild-Zeitung, statt „Millionen“ künftig nur noch liebevoll „Mios“ zu schreiben, nicht nur der Abkürzung wegen, sondern auch, um ihre Leser zu beruhigen und den Mios gewissermaßen einen Platz in der Sofaecke freizuräumen. Inzwischen sind die Mios längst aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden, tauchen nur noch gelegentlich im Lokalteil auf.

Heute geht es nicht mehr um Millionen, sondern um Milliarden und Billionen, und zwar tagtäglich im Nachrichtenhauptteil. Demnächst wird es möglicherweise um Billiarden gehen – und kein niedliches Kürzel ist in Sicht, um uns mit ihnen zu versöhnen! Anbieten würden sich, in Parallele zu den Mios, natürlich die „Bios“, doch diese sind schon längst vergeben, bezeichnen in der Computerbranche jenen informationellen „basic input“, ohne den wir unseren PC gar nicht starten könnten.

Gottlob ist das so, kann man nur sagen. Denn die „Bios“ der Euro-Rettung sind nie und nimmer ein „basic input“, eine notwendige Installation, sondern „an absurde output“, eine sinnlose, ruchlose Verschwendung.

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